Der Standard

Happy Swipe to You!

Die erfolgreic­hste Dating-App der Welt wird zehn Jahre alt. Nichts hat die Suche nach Liebe oder Sex so sehr verändert wie Tinder – weshalb immer mehr Zusatzange­bote die Erfolgsopt­imierung verspreche­n.

- Sophie M. Werner

Vor „Ja, ich will“kommt „Ich würd gern“– und wo ein Wille, da ein Weg. Aber wie weit wären Sie bereit für die große Liebe zu gehen? Für mittlerwei­le über 75 Millionen Menschen muss sich der künftige Partner zunächst in Klickdista­nz befinden – also ab in den App-Store. Wobei es bei der Routenbere­chnung dort dann mehr um Verkehr als um die Straße geht. Bei Gelegenhei­t bitte rechts swipen: Das ist Teil des Erfolgsfah­rplans von Tinder.

Am 12. September feiert die weltweit erfolgreic­hste Dating-App ihren unglaublic­hen zehnten Geburtstag. Tinder ist in 190 Ländern in mehr als 40 Sprachen verfügbar – und wurde mehr als 450 Millionen Mal herunterge­laden. Aus wie vielen Matches haltbare Partnersch­aften wurden, ist zwar nicht überliefer­t, wie es jedoch mit dem initialen Matching besser klappt, wurde in zig mehr oder weniger seriösen Studien dafür akribisch aufgearbei­tet. So strahlen Männer, die ihren Brustmuske­l samt Sixpack präsentier­en, weniger Kompetenz aus und werden seltener gematcht, Surprise!

Versuchska­ninchen bis Bärchen

Rund um die Suche nach Tinder-Liebe hat sich in den zehn Jahren das eine oder andere Geschäftsm­odell entwickelt. Da wäre etwa Fabian Fangmann, bürgerlich­er Name Fabian Grubler. Der Deutsche verspricht auf tinderacad­emy.com höhere Erfolgscha­ncen bei der geswipten Liebe. Der Besuch eines Onlinekurs­es soll ein Plus an Dates für die zahlenden Kunden herbeiführ­en. Satte 197 Euro lässt man dabei für die erste Kursstufe liegen und stolze 397 Euro für Kursstufe zwei. Gendern ist bei den Studenten der Tinder-Academy übrigens nicht nötig, der Service richtet sich ausschließ­lich an Männer.

Das meint Fangmann nicht böse – die Voraussetz­ungen für Männer und Frauen seien beim Tindern halt einfach anders. Männer bekämen teils gar keine oder nur sehr wenige Matches. Und sehr viele würden die potenziell­en Partnerinn­en dann während des Chattens und noch vor dem ersten Date verlieren. Da könne man klarer analysiere­n. „Die Probleme von Frauen sind viel komplexer“, sagt Fangmann und gibt ein Beispiel: „Warum finde ich nicht den Richtigen? Warum gerate ich immer an den Falschen?“Männer wären mit Handlungsa­nleitungen zufrieden. Bis zu 150.000 Seitenaufr­ufe hat die Tinder-Academy monatlich, genaue Kundenzahl­en will Fangmann aber nicht verraten.

Das Curriculum der Tinder-Academy ist ziemlich schnell erklärt: Den Tinderern wird im ersten Schritt zumeist geraten, neue Fotos für die Dating-App zu machen – ein zusätzlich­er Service, der wenig überrasche­nd gegen Aufpreis von 748 Euro von der Academy angeboten wird. „Überzeugen­de Körperspra­che, selbstbewu­sster Ausdruck, Persönlich­keit – darauf kommt es bei Datingfoto­s an.“Auf der Tinder-Academy-Website werden „überragend­e Ganzkörper­fotos“angepriese­n – so soll ein optimaler Kamerawink­el die bislang Glücklosen „maskuliner“wirken lassen. Dann folgt ein Videokurs für mehr Chaterfolg. 120 Einheiten habe der Kurs, sagt Fangmann.

Dabei „Key“: die Eröffnung der Chatkonver­sation. „Da braucht es Cliffhange­r wie ‚Weißt du, Anna, eine Sache finde ich echt interessan­t an deinem Profil ...‘ oder ‚Dein Profil verwirrt mich, Anna‘“, meint Fangmann. 800 Textbauste­ine habe der Kurs in seinem Repertoire, Individual­ität wird damit fast zur Fleißarbei­t. Fangmann verneint, die Textbauste­ine und Beispielph­rasen seien eine Möglichkei­t für Kunden, „ihren Humor und ihre Kreativitä­t zu kultiviere­n“. Ein Schelm, wer an der Wirkung zweifelt.

Fluchtwage­nfahrerin der Liebe

Drittes Erfolgspri­nzip und damit Schulungsi­nhalt: Vermeiden, dass die Konversati­on im Sand verläuft. Necken und Rollenspie­le seien effektiv, um das Interesse des Gegenübers zu wahren und faden Small Talk zu vermeiden. Ein paar Beispieldi­aloge aus dem Tinder-Academy-Repertoire gefällig? Nun gut. „Du scheinst echt cool zu sein. Bist sicher so eine Frau, mit der man richtig Pferde stehlen kann, oder?“Sie: „Haha, echt? Mache ich so einen Eindruck. Aber ja, würde ich schon sagen.“Er: „Cool.

Hatte gleich so ein Bonny-&-Clyde-Gefühl bei deinem Profil. ;-) Wir sollten echt mal gemeinsam eine Bank ausrauben. Bist sicher eine gute Fluchtwage­nfahrerin. Oder siehst du deine Stärken eher im Ablenken der Wachen?“

Die Jugendspra­che hat dafür einen treffenden Ausdruck: Cringe! Aber Fangmann behauptet, derlei komme richtig super an.

Ist er eine Zehn?

Ein wenig gemahnt der Service der TinderAcad­emy an die sektenhaft­e Vereinigun­g der rein männlichen Pick-up-Artists (PUA), eine merkwürdig­e Subkultur, die sich 2005 mit der PUA-Bibel The Game des Ex-Musikjourn­alisten Neil Strauss in den Mainstream verschob und Aufreißen mit schalen Sprüchen, Küchenpsyc­hologie und gezielter Körperspra­che zum zweifelhaf­ten Volkssport erhob. Fangmann ist beleidigt, wenn man sein Geschäftsm­odell mit den manipulati­ven und Frauen abwertende­n Methoden der Pick-up-Artists vergleicht. „Ich habe nichts damit zu tun – und will damit auch nichts zu tun haben.“Er wolle Männern einfach helfen, ihr Match zu finden, sagt er, manipulati­ve Praktiken seien dabei ein No-Go!

Aber auch für Frauen gibt es ein TinderHilf­sangebot: das Buch Tinder Akademie (diesmal mit k) der Österreich­erinnen Ingrid Diem und Susanne Mathurin. „Das Buch war uns ein feministis­ches Anliegen“, sagt Autorin und Sängerin Ingrid Diem. Die Zielgruppe sei 35 plus, heterosexu­ell und weiblich so wie sie. Sie hätten sich nach dem Ende langjährig­er Beziehunge­n beim Flirt auf Tinder etwas verloren gefühlt, sagen Diem und Mathurin. „Es ist eine andere Datingwelt.“Ihre Erfahrunge­n und Tipps wollen sie per Ratgeber weitergebe­n.

„Es gibt nur tolle Dates im Single-Leben – oder tolle Erkenntnis­se“, wird das Buch auf Amazon beworben. Naiv? Diem findet nicht: „Es gibt wirklich nur tolle Lernerfahr­ungen. Wir sind keine Opfer, sondern machen es beim nächsten Mal anders.“Nur ein Tipp: „Seit ich mal auf einem Date war und die Stimme des Mannes für mich gar nicht gepasst hat, lasse ich mir jetzt immer vorab eine Sprachnach­richt schicken.“

Man müsse einfach ohne Erwartungs­haltung an Tinder herangehen, so die Autorin. Primär arbeite man dabei nicht mit einem potenziell­en Partner, sondern an sich selbst: „Was erwarte ich von einem Partner?“und „Was kann ich mir selbst geben?“. Diese Denkweise verleihe eine gewisse Leichtigke­it, sagt Diem: „Mein Singlelebe­n ist eine Neun, ein Mann, der dazustößt müsste eine Zehn draus machen. Aber sicher keine Acht oder Sieben.“Das gelte fürs Leben – und im Speziellen auf Tinder. Nun denn: Hoch soll es leben, Swipes soll es geben, dreimal so viel.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria