Happy Swipe to You!
Die erfolgreichste Dating-App der Welt wird zehn Jahre alt. Nichts hat die Suche nach Liebe oder Sex so sehr verändert wie Tinder – weshalb immer mehr Zusatzangebote die Erfolgsoptimierung versprechen.
Vor „Ja, ich will“kommt „Ich würd gern“– und wo ein Wille, da ein Weg. Aber wie weit wären Sie bereit für die große Liebe zu gehen? Für mittlerweile über 75 Millionen Menschen muss sich der künftige Partner zunächst in Klickdistanz befinden – also ab in den App-Store. Wobei es bei der Routenberechnung dort dann mehr um Verkehr als um die Straße geht. Bei Gelegenheit bitte rechts swipen: Das ist Teil des Erfolgsfahrplans von Tinder.
Am 12. September feiert die weltweit erfolgreichste Dating-App ihren unglaublichen zehnten Geburtstag. Tinder ist in 190 Ländern in mehr als 40 Sprachen verfügbar – und wurde mehr als 450 Millionen Mal heruntergeladen. Aus wie vielen Matches haltbare Partnerschaften wurden, ist zwar nicht überliefert, wie es jedoch mit dem initialen Matching besser klappt, wurde in zig mehr oder weniger seriösen Studien dafür akribisch aufgearbeitet. So strahlen Männer, die ihren Brustmuskel samt Sixpack präsentieren, weniger Kompetenz aus und werden seltener gematcht, Surprise!
Versuchskaninchen bis Bärchen
Rund um die Suche nach Tinder-Liebe hat sich in den zehn Jahren das eine oder andere Geschäftsmodell entwickelt. Da wäre etwa Fabian Fangmann, bürgerlicher Name Fabian Grubler. Der Deutsche verspricht auf tinderacademy.com höhere Erfolgschancen bei der geswipten Liebe. Der Besuch eines Onlinekurses soll ein Plus an Dates für die zahlenden Kunden herbeiführen. Satte 197 Euro lässt man dabei für die erste Kursstufe liegen und stolze 397 Euro für Kursstufe zwei. Gendern ist bei den Studenten der Tinder-Academy übrigens nicht nötig, der Service richtet sich ausschließlich an Männer.
Das meint Fangmann nicht böse – die Voraussetzungen für Männer und Frauen seien beim Tindern halt einfach anders. Männer bekämen teils gar keine oder nur sehr wenige Matches. Und sehr viele würden die potenziellen Partnerinnen dann während des Chattens und noch vor dem ersten Date verlieren. Da könne man klarer analysieren. „Die Probleme von Frauen sind viel komplexer“, sagt Fangmann und gibt ein Beispiel: „Warum finde ich nicht den Richtigen? Warum gerate ich immer an den Falschen?“Männer wären mit Handlungsanleitungen zufrieden. Bis zu 150.000 Seitenaufrufe hat die Tinder-Academy monatlich, genaue Kundenzahlen will Fangmann aber nicht verraten.
Das Curriculum der Tinder-Academy ist ziemlich schnell erklärt: Den Tinderern wird im ersten Schritt zumeist geraten, neue Fotos für die Dating-App zu machen – ein zusätzlicher Service, der wenig überraschend gegen Aufpreis von 748 Euro von der Academy angeboten wird. „Überzeugende Körpersprache, selbstbewusster Ausdruck, Persönlichkeit – darauf kommt es bei Datingfotos an.“Auf der Tinder-Academy-Website werden „überragende Ganzkörperfotos“angepriesen – so soll ein optimaler Kamerawinkel die bislang Glücklosen „maskuliner“wirken lassen. Dann folgt ein Videokurs für mehr Chaterfolg. 120 Einheiten habe der Kurs, sagt Fangmann.
Dabei „Key“: die Eröffnung der Chatkonversation. „Da braucht es Cliffhanger wie ‚Weißt du, Anna, eine Sache finde ich echt interessant an deinem Profil ...‘ oder ‚Dein Profil verwirrt mich, Anna‘“, meint Fangmann. 800 Textbausteine habe der Kurs in seinem Repertoire, Individualität wird damit fast zur Fleißarbeit. Fangmann verneint, die Textbausteine und Beispielphrasen seien eine Möglichkeit für Kunden, „ihren Humor und ihre Kreativität zu kultivieren“. Ein Schelm, wer an der Wirkung zweifelt.
Fluchtwagenfahrerin der Liebe
Drittes Erfolgsprinzip und damit Schulungsinhalt: Vermeiden, dass die Konversation im Sand verläuft. Necken und Rollenspiele seien effektiv, um das Interesse des Gegenübers zu wahren und faden Small Talk zu vermeiden. Ein paar Beispieldialoge aus dem Tinder-Academy-Repertoire gefällig? Nun gut. „Du scheinst echt cool zu sein. Bist sicher so eine Frau, mit der man richtig Pferde stehlen kann, oder?“Sie: „Haha, echt? Mache ich so einen Eindruck. Aber ja, würde ich schon sagen.“Er: „Cool.
Hatte gleich so ein Bonny-&-Clyde-Gefühl bei deinem Profil. ;-) Wir sollten echt mal gemeinsam eine Bank ausrauben. Bist sicher eine gute Fluchtwagenfahrerin. Oder siehst du deine Stärken eher im Ablenken der Wachen?“
Die Jugendsprache hat dafür einen treffenden Ausdruck: Cringe! Aber Fangmann behauptet, derlei komme richtig super an.
Ist er eine Zehn?
Ein wenig gemahnt der Service der TinderAcademy an die sektenhafte Vereinigung der rein männlichen Pick-up-Artists (PUA), eine merkwürdige Subkultur, die sich 2005 mit der PUA-Bibel The Game des Ex-Musikjournalisten Neil Strauss in den Mainstream verschob und Aufreißen mit schalen Sprüchen, Küchenpsychologie und gezielter Körpersprache zum zweifelhaften Volkssport erhob. Fangmann ist beleidigt, wenn man sein Geschäftsmodell mit den manipulativen und Frauen abwertenden Methoden der Pick-up-Artists vergleicht. „Ich habe nichts damit zu tun – und will damit auch nichts zu tun haben.“Er wolle Männern einfach helfen, ihr Match zu finden, sagt er, manipulative Praktiken seien dabei ein No-Go!
Aber auch für Frauen gibt es ein TinderHilfsangebot: das Buch Tinder Akademie (diesmal mit k) der Österreicherinnen Ingrid Diem und Susanne Mathurin. „Das Buch war uns ein feministisches Anliegen“, sagt Autorin und Sängerin Ingrid Diem. Die Zielgruppe sei 35 plus, heterosexuell und weiblich so wie sie. Sie hätten sich nach dem Ende langjähriger Beziehungen beim Flirt auf Tinder etwas verloren gefühlt, sagen Diem und Mathurin. „Es ist eine andere Datingwelt.“Ihre Erfahrungen und Tipps wollen sie per Ratgeber weitergeben.
„Es gibt nur tolle Dates im Single-Leben – oder tolle Erkenntnisse“, wird das Buch auf Amazon beworben. Naiv? Diem findet nicht: „Es gibt wirklich nur tolle Lernerfahrungen. Wir sind keine Opfer, sondern machen es beim nächsten Mal anders.“Nur ein Tipp: „Seit ich mal auf einem Date war und die Stimme des Mannes für mich gar nicht gepasst hat, lasse ich mir jetzt immer vorab eine Sprachnachricht schicken.“
Man müsse einfach ohne Erwartungshaltung an Tinder herangehen, so die Autorin. Primär arbeite man dabei nicht mit einem potenziellen Partner, sondern an sich selbst: „Was erwarte ich von einem Partner?“und „Was kann ich mir selbst geben?“. Diese Denkweise verleihe eine gewisse Leichtigkeit, sagt Diem: „Mein Singleleben ist eine Neun, ein Mann, der dazustößt müsste eine Zehn draus machen. Aber sicher keine Acht oder Sieben.“Das gelte fürs Leben – und im Speziellen auf Tinder. Nun denn: Hoch soll es leben, Swipes soll es geben, dreimal so viel.