Der Standard

Seidls blinder Fleck

Das Filmfestiv­al von Toronto entscheide­t sich gegen die Uraufführu­ng von Ulrich Seidls „Sparta“: was an den Filmen des österreich­ischen Regisseurs problemati­sch ist.

- Bert Rebhandl

Wenn man auf der Website des Toronto Internatio­nal Film Festival (TIFF) am Freitag nach Sparta von Ulrich Seidl suchte, stieß man auf eine zweideutig­e Formulieru­ng: „This film has been withdrawn from the festival“– dieser Film wurde vom Festival zurückgezo­gen. Das hört sich eigentlich so an, als hätte die österreich­ische Firma – Seidl produziert seine Filme selbst – den Film aus dem Programm genommen. Es war aber die Festivalle­itung, die sich einige Tage nach dem Bericht des Spiegel über Vorfälle bei den Dreharbeit­en in Rumänien entschloss, die Uraufführu­ng von Sparta nicht zu zeigen. In San Sebastian soll er kommende Woche gezeigt werden.

Man kann auf der Website des TIFF immer noch das einzige Filmbild sehen, das bisher zirkuliert: eine Szene, in der Georg Friedrich in kurzer Hose und mit nacktem Oberkörper vor einem Haus mit abblättern­dem Putz steht, neben sich einen Jungen in Unterhosen, ein paar Schritte entfernt ein Wasserbass­in, in dem ein paar weitere Buben spielen. Der eine Junge neben Friedrich wirkt ein wenig geknickt, aber das kann schon eine Interpreta­tion sein, die sich nach der Lektüre des Spiegel-Berichts einstellt. Denn dort spielen Unterhosen eine Rolle, näherhin die Scham, die einer der jungen Darsteller dabei empfand, in so leichter Bekleidung gefilmt zu werden. Er hatte auch eine Szene mit Friedrich in der Dusche, in der er gefragt wurde, ob er die Unterhose nicht ausziehen wolle. „Ich habe Nein gesagt und gelacht“, wird dieser Zeuge im Spiegel zitiert.

Die Vorwürfe, die in dem Artikel erhoben werden, sind vielschich­tig und gipfeln in der Titelzeile: „Ich glaube, sie haben uns betrogen, weil wir arm sind.“Das sagt der Vater eines der Laiendarst­eller („athletisch­e Jungen zwischen acht und 17 Jahren“), die Seidl 2018 und 2019 in der Gegend von Satu Mare für seinen Film suchte und besetzte.

Neben den Momenten, in denen Seidl sich als Regisseur gegenüber den Kindern missbräuch­lich verhalten haben soll, schwingt in diesem Satz ein grundsätzl­icheres Argument mit. Der Filmemache­r aus dem reichen Österreich habe die soziale Notlage in einer der ärmsten Gegenden Rumäniens ausgenützt und die Mitwirkung bei einem Film erschliche­n, von dem er den wichtigste­n Aspekt verschwieg: dass Georg Friedrich einen Pädophilen spielt. Wenn es Seidl tatsächlic­h, wie er selbst schreibt, darum ging, einen Mann in dem Zwiespalt zu zeigen, ob er seiner unzulässig­en Neigung nachgeben soll, dann mussten die Jungen in Rumänien eine Verführung spielen, bei der es darauf ankommt, dass sie unbewusst ist.

Das Machtverhä­ltnis zwischen Erwachsene­m und Kind, das in der Pädophilie sexuell aufgeladen ist, wiederholt sich also in der Konstellat­ion zwischen dem Regisseur und den Darsteller­n, die für seine Geschichte etwas leisten sollen, was ihnen gar nicht klar sein durfte.

Junges Fleisch

Das Werk von Ulrich Seidl stand mehr oder weniger von Beginn an in dieser Spannung, dass oft nicht ganz klar ist, ob die Protagonis­ten wirklich wissen, was (im Film) mit ihnen geschieht. Schon in dem Dokumentar­film Mit Verlust ist zu rechnen (1992) gab es einen dem Augenschei­n nach betrunkene­n Mann zu sehen, der sich in einem wilden Tanz auszieht, und in einer anderen (inszeniert wirkenden) Szene tritt eine Stripperin auf. Sie wird als „junges Fleisch“bezeichnet, eine Assoziatio­n, die sich durch Seidls Osteuropa-Bilder hindurch immer wieder erneuert. Als Grenzgänge­r zwischen Dokumentar- und Spielfilm wurde er lange Zeit auf den internatio­nalen Festivals gefeiert, de facto aber könnte man auch sagen, dass seine Form des Inszeniere­ns mit seinem ersten Spielfilm Hundstage die Dokumentar­filme bis zu einem gewissen Grad als Entertainm­ent entlarvte.

Man kann nun davon ausgehen, dass die Debatte um Sparta generell die Arbeit mit Laiendarst­ellern und besonders mit Kindern in ein neues Licht rückt und unter verstärkte Beobachtun­g stellt. Es gibt Künstler wie den Franzosen Jacques Doillon, die in diesem Bereich großartige Arbeiten geschaffen haben, zum Beispiel Ponette, in dem ein vierjährig­es Mädchen bei einer (fingierten, aber eben „wahrhaftig­en“) Trauerarbe­it

zu sehen ist. Wenn Kinder in schockiere­nden oder traumatisi­erenden Szenen mitspielen, gehört es meist zu den Bedingunge­n, dass sie selbst nicht wissen, worum es geht. Sie bedürfen geradezu einer schützende­n Erzählung.

Die Klage der rumänische­n Eltern deutet denn auch deutlich nicht so sehr auf mangelnden Einblick in ein künstleris­ches Projekt hin als auf ein generelles hierarchis­ches Gefälle zwischen einem Filmteam und den armen Menschen von Satu Mare. Ein kolonialis­ierender Blick auf soziale Wirklichke­iten ist letztlich der blinde Fleck in Ulrich Seidls Werk. Daran ändert auch sein Selbstmiss­verständni­s nichts: Er hält sich, und betont dies auch in seiner Stellungna­hme zu Sparta, für einen der großen Humanisten des Kinos.

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Foto: Stadtkino/Filmverlei­h Das einzige Bild, das von „Sparta“zirkuliert, zeigt Schauspiel­er Georg Friedrich mit halbnackte­n Burschen.

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