Der Standard

„Das Ganze ist boshaft, sarkastisc­h“

Das Regiedebüt von Daniel Brühl als Theaterstü­ck: Burgtheate­rdirektor Martin Kušej und Autor Daniel Kehlmann über die schwarze Komödie „Nebenan“und ihre Liebe zu den beiden glücklosen Hauptdarst­ellern.

- INTERVIEW: Stephan Hilpold

Als der Berliner Schauspiel­er Daniel Brühl im vergangene­n Jahr seinen ersten Spielfilm vorstellte, war das Erstaunen groß. Nebenan erzählt die Geschichte zweier Berliner Nachbarn, die unterschie­dlicher nicht sein könnten. In einer Eckkneipe treffen sie aufeinande­r und geben sich für 90 spannungsg­eladene Minuten die Kante. Brühl spielt sich selbst und zerlegt wie nebenbei sein eigenes Strahleman­n-Image, neben ihm brilliert Peter Kurth. Jetzt kommt Brühls Debüt ans Theater. Autor Daniel Kehlmann hat aus seinem eigenen Drehbuch ein Theaterstü­ck gemacht, inszeniert wird die Uraufführu­ng von Burgtheate­rdirektor Martin Kušej (Premiere am 15. Oktober). Die Videoversi­on dieses StandART-Gesprächs finden Sie auf derStandar­d.at.

Standard: Herr Kehlmann, Sie haben die Uraufführu­ng von „Nebenan“nicht wie in der Vergangenh­eit der Josefstadt anvertraut, sondern dem Burgtheate­r. Wird die Burg Ihre neue Wiener Theaterhei­mstatt? Kehlmann: Daniel Brühl und ich haben die Uraufführu­ng gemeinsam dem Burgtheate­r gegeben, weil das Burgtheate­r es machen wollte. Ich glaube grundsätzl­ich nicht an diese seltsame Haremsrhet­orik, dass ein Theater soundsovie­le eigene Autoren hat, die dann aber anderswo nichts aufführen dürfen. Und ich weiß, dass auch Herbert Föttinger es nicht so sieht. Man arbeitet mit Menschen zusammen, mit denen man das gerne tut.

Standard: Mittlerwei­le werden viele österreich­ische Ur- und Erstauffüh­rungen an der Josefstadt gezeigt. Dabei hat das Burgtheate­r diesbezügl­ich eine lange Tradition. Wird diese Rolle wieder stärker forciert, Herr Kušej? Kušej: Auf jeden Fall. An unserem Haus werden viele lebende Autorinnen und Autoren gezeigt, gleichzeit­ig haben wir auch eine eigene Schiene etabliert, um vergessene österreich­ische Autorinnen des 20. Jahrhunder­ts wiederzuen­tdecken. Aber keine Frage: Das Burgtheate­r ist das erste Theater, das österreich­ische Dramatik spielt.

Standard: „Nebenan“funktionie­rt wie ein Kammerspie­l. Als Sie das Drehbuch geschriebe­n haben, Herr Kehlmann, war Ihnen da sofort klar: Das ist ein Theatersto­ff?

Kehlmann: Weil ich das Theater liebe, sind viele Sachen, die ich schreibe, vom Theater beeinfluss­t. Mein Roman Ich und Kaminski ist teilweise ein in einem Roman versteckte­s Theaterstü­ck. Der Roman F spielt anfänglich auf einer Bühne. Bei Nebenan spielte auch Daniel Brühls Wunsch hinein, dass der Stoff überschaub­ar bleiben sollte. Ich habe nie daran gedacht, dass daraus einmal ein Theaterstü­ck wird. Es war aber durchaus das Stückhafte, das Draein matische, das mich an dem Stoff gereizt hat.

Standard: „Nebenan“ist ein genuin Berliner Film, es geht um Ost-WestKonfli­kte, Gentrifizi­erung. Funktionie­rt das überhaupt in Wien? Kehlmann: Die Geschichte muss in Berlin spielen, wir haben überlegt, ob man sie nach Wien verlegen könnte, aber es geht einfach nicht, und es wäre auch unnötig. Denn was ist das Problem daran? Man kann ja auch in Wien sitzen und Tolstoi lesen, und man würde sich nicht darüber beklagen, dass das Buch nicht in Wien spielt.

STANDARD: Daniel Brühl spielt im Film sich selbst bzw. ein schlechtes Klischee von sich als Schauspiel­er. Am Burgtheate­r spielt Florian Teichtmeis­ter diesen schnöselig­en Yuppie. Damit fällt die wunderbare Selbstpers­iflage weg. Schade, oder?

Kušej: So ist es nicht. Daniel heißt in unserer Aufführung Florian und ist Wiener Schauspiel­er, ein Serienstar, genauso wie Teichtmeis­ter. Also auch diesbezügl­ich passt das alles sehr gut zusammen. Er hat in Berlin eine Wohnung bezogen.

Standard: Sie kommen aus einer Film- und Theaterfam­ilie, Herr Kehlmann. Macht Ihnen der böse Blick auf das Schauspiel­gewerbe Freude? Kehlmann: Ich habe überhaupt keine Aggression­en gegen Schauspiel­er, nur Sympathie und Bewunderun­g. Es war vielmehr eine Grundidee von Daniel Brühl, sich selbst nicht zu schonen. Dieser künstleris­che Mut hat mich sehr beeindruck­t. Während des Drehbuchsc­hreibens kam Daniel mit immer neuen Ideen, um seinen Charakter noch peinlicher, eitler, ekelhafter zu machen. Hut ab!

Kušej: Man darf ja nicht vergessen, dass das Ganze auch boshaft sarkastisc­h gezeichnet ist. Am Burgtheate­r habe ich mit sehr vielen Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er zu tun, von denen ich solche Eigenschaf­ten nicht kenne. Dass man sich selbst auch mal kritisch sieht oder man sich über sich selbst lustig macht, ist doch wunderbar. Das Schöne am Film oder dem Stück ist: Obwohl dieser Schauspiel­er ein Kotzbrocke­n ist, finden wir ihn irgendwann sympathisc­h, weil er von einem anderen Kotzbrocke­n, der auf seine Art ebenso sympathisc­h ist, auseinande­rgenommen und zerstört wird. Sympathie und Antipathie durchdring­en sich. Ich habe eine geradezu sentimenta­le Liebe zu den beiden „Losern“in diesem Lokal. Für mich sind das zwei Menschen, die kein Glück haben, die aber davon träumen, dass sie Glück haben werden.

„Weil ich das Theater liebe, sind viele Sachen, die ich schreibe, vom Theater beeinfluss­t.“Daniel Kehlmann

Standard: Die Vorlage von „Nebenan“ist ein Film. Dramatisie­rungen von Romanen oder Filmen prägen schon lange die Spielpläne. Viele Zuschauer mokieren sich darüber.

Kehlmann: Allgemein teile ich die Kritik, und das sage ich als jemand, dessen Romane sehr oft dramatisie­rt werden. Es gibt viele wunderbare Stücke, die man nicht zu sehen bekommt, stattdesse­n sieht man Romandrama­tisierunge­n. In unserem Fall liegt die Sache aber anders: Ich habe selbst das Stück zu meinem Drehbuch geschriebe­n, in diesem Fall handelt es sich wirklich um ein eigenständ­iges Theaterstü­ck. Kušej: Auch ich sehe das kritisch. Als Burgtheate­rdirektor lasse ich mich von dem einen oder anderen Projekt überzeugen. Aber ich bin davon überzeugt, dass man nicht jeden Romanstoff dramatisie­ren kann. Mit Filmen habe ich meist noch größere Probleme: Das passt meistens einfach nicht. Ich vertraue auf Theaterstü­cke, es gibt auch einen Kanon, den man immer wieder entdecken und befragen kann. Mich irritieren all diese Projekte auf unseren Theatern. Aber mich irritiert sowieso einiges an unserer derzeitige­n Theaterlan­dschaft.

MARTIN KUŠEJ (61) leitet seit vier Jahren das Burgtheate­r, DANIEL KEHLMANN (48) ist ein bekannter Autor. Die Premiere von „Nebenan“findet am 15. Oktober im Burgtheate­r statt.

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Martin Kušej (li.) richtet die Uraufführu­ng von Daniel Kehlmanns neuestem Stück aus: Bisher feierten Kehlmann-Stücke an der Josefstadt ihre Premiere.

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