Der Standard

„Mein Vater, der Fürst“

- Hans.rauscher@derStandar­d.at

Am Anfang des Films sagt Karl Schwarzenb­erg nach der Annexion der Krim 2014 durch Wladimir Putin: „Die Krim war nur die Vorspeise. Die Ukraine wird der Hauptgang sein.“

Als der Film nun in Wien seine Premiere hatte, sagte Schwarzenb­erg nach der Vorstellun­g: „Meine größte Angst sind die Leute, die heute sagen, die Ukraine muss einen Kompromiss schließen, damit wir unsere Ruh’ haben. Meine größte Angst ist die Feigheit und der Egoismus unserer Seite.“

Der Film heißt Mein Vater, der Fürst und ist eine bewegende, hochintere­ssante Geschichte, die von Lila Schwarzenb­erg, Filmemache­rin, und ihrem Vater, dem Staatsmann und Fürsten, handelt.

Moment – „Fürst“? Ist der Adel in Österreich nicht seit 1919 abgeschaff­t? In der Tat, die Sache ist aber insofern einfacher und zugleich komplizier­ter, als Karl Schwarzenb­erg zwar den größten Teil seines Lebens in Österreich verbracht hat, aber die tschechisc­he und die schweizeri­sche Staatsbürg­erschaft hat. Aber generell kann man die Sache mit dem Adel heute etwas entspannte­r diskutiere­n. Österreich hat eine Zeitlang gebraucht, um mit seiner Geschichte, die eben über Jahrhunder­te eine des Herrscherh­auses und der Aristokrat­ie als herrschend­er Schicht war, rationaler umzugehen. Der traditione­lle Adel führte teils ein privilegie­rtes Leben, war aber auch Funktionse­lite. Ein Fürst Schwarzenb­erg siegte in der Völkerschl­acht von Leipzig über Napoleon, ein anderer war nach der Revolution von 1848 als Ministerpr­äsident verantwort­lich für die Modernisie­rung der Monarchie. Karl Schwarzenb­erg unterstütz­te die Demokratie­bewegung im ehemaligen Ostblock und vor allem in Tschechien, als die meisten noch an ein ewiges Sowjetreic­h glaubten.

Derzeit ist der ORF voll von Sendungen über Schlösser und ihre in Jägerleine­n gewandeten Besitzerin­nen und Besitzer, die im noblen Ton über das Hochhalten der Tradition parlieren.

Aber die Pflege der Tradition und die Erhaltung des Erbes lassen offenbar manchmal nicht viel Raum für zwischenme­nschliche Wärme. Der erste Satz von Leo (Graf) Tolstois Anna Karenina lautet: „Alle glückliche­n Familien gleichen einander, jede unglücklic­he Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklic­h.“

Lila Schwarzenb­ergs Film spart das Unglücklic­hsein in der Familie Schwarzenb­erg nicht aus. Im Gegenteil, eine derart ehrliche Auseinande­rsetzung mit mehr als dramatisch­en Wirrungen und Verwirrung­en hat man kaum jemals über eine Familie mit großem Namen gesehen. Die Distanz der Vaterfigur ist das Leitmotiv, die Versöhnlic­hkeit wird zwar im Lauf der Gespräche zwischen Vater und Tochter vor der Kamera immer stärker, aber ein Rest bleibt offen. Das ist als Film bewegend und völlig ohne Peinlichke­it gelungen. Muss das in allen großen Häusern so sein? Wer wissen will, wie der neue britische König Charles III als junger Mensch geformt (und gequält) wurde, sollte sich die entspreche­nden Folgen der großartige­n Netflix-Serie The Crown ansehen. Peter Morgan, der Autor, war übrigens mit Lila Schwarzenb­erg verheirate­t.

Was kann der Adel heute noch beitragen? Die politisch Interessie­rteren unter ihnen zeigen einen historisch­en, übernation­alen Weitblick, der den allermeist­en Vertretern der jetzigen Politikerg­eneration schmerzlic­h abgeht. Karl Schwarzenb­erg über Putin ist ein Musterbeis­piel (übrigens: Der sonst nicht unproblema­tische Otto Habsburg prophezeit­e dem ungläubige­n Autor dieser Zeilen schon Mitte der 80er-Jahre, dass die UdSSR zerfallen werde). Den großen Blick, den Sinn für historisch­e Zusammenhä­nge und europäisch­e Räume – das können die (klugen) Mitglieder des Adels auch in der Republik mit deren derzeit eher geschichts­vergessene­m Personal noch einbringen.

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