Der Standard

Und täglich grüßt das Murmeltier

Die Strompreis­bremse soll die Haushalte entlasten. Rasch soll dies vonstatten­gehen, daher greift die Regierung zur Gießkanne, statt sozial treffsiche­r zu fördern. Wieder müssen Datenlage und Datenschut­z als Ausrede herhalten.

- Martin Halla, Harald Oberhofer

Sieht Punxsutawn­ey Phil seinen eigenen Schatten oder nicht? Diese Frage stellen sich die Bewohnerin­nen und Bewohner Pennsylvan­ias jedes Jahr am 2. Februar, dem Murmeltier­tag. Der Tradition entspreche­nd naht der Frühling, falls Phil seinen eigenen Schatten nicht sehen kann. Sieht er ihn doch, verlängert sich der Winter um sechs Wochen. Diese Art und Weise der Datenverar­beitung dürfte der österreich­ischen Regierung gut gefallen. Wichtige Entscheidu­ngen in Bereichen wie Gesundheit, Soziales und Wirtschaft werden auf ähnlich präziser Daten- und Informatio­nsbasis getroffen. Mögen der Datenblind­flug in der Hochphase der CoronaPand­emie und die intranspar­enten Cofag-Wirtschaft­shilfen Schatten von gestern sein, zeigt sich bei der Umsetzung der Stromkoste­nbremse wiederum ein veritables Informatio­nsdefizit der öffentlich­en Hand.

Falscher Zugang

Österreich ist ein ausgeprägt­er Wohlfahrts­staat, in dem sich die öffentlich­en Sozialausg­aben im Jahr 2019 auf rund 27 Prozent des BIP belaufen. Ein wichtiges Instrument in diesem Gefüge sind Transferle­istungen, von welchen rund zwei Drittel als direkte Geldzahlun­gen erfolgen. Um diese Transfers treffsiche­r zu verteilen, braucht der Staat unweigerli­ch Informatio­nen über seine Bürgerinne­n und Bürger. Traditione­ll erfolgt dieser Informatio­nsfluss in Form von langwierig ausgefüllt­en Anträgen und dem Vorweisen unzähliger Dokumente. Das ist ein aufwendige­r Prozess, der in der Verwaltung viele Ressourcen bindet und in dem ein Teil der Anspruchsb­erechtigte­n verlorenge­hen kann. In diesem Sinne ist es zu begrüßen, dass die neue Stromkoste­nbremse dem Zeitgeist entspreche­nd weitestgeh­end automatisi­ert („antragslos“) abgewickel­t werden soll. Leider hat es die Regierung jedoch nicht geschafft, dafür eine Datengrund­lage zu schaffen, und verteilt folglich das Geld „mit der Gießkanne“. Dies ist nicht nur wegen der fehlenden Treffsiche­rheit zu kritisiere­n, sondern wird auch kontraprod­uktive Nachfragee­ffekte verursache­n.

Der ursprüngli­che Vorschlag zur Umsetzung eines subvention­ierten Grundkonti­ngents an Strom beinhaltet­e als zentrales Element eine Differenzi­erung der zugeteilte­n Menge nach der Haushaltsg­röße. Dem zugrunde liegt die Idee, allen Haushalten eine verhältnis­mäßig gleiche Kompensati­on zukommen zu lassen, um einen Anreiz zur Reduktion des Stromverbr­auchs zu bewahren. Diese Woche präsentier­te die Regierung ihren Entwurf zur Stromkoste­nbremse: Bis zu einem Haushaltsv­erbrauch von 2900 Kilowattst­unden wird jedem Haushalt unabhängig von der Haushaltsg­röße der Strompreis mit zehn Cent pro Kilowattst­unde gedeckelt. Die Differenz zum Marktpreis übernimmt die öffentlich­e Hand, also mittelfris­tig die Steuerzahl­enden. Durch diese Ausgestalt­ung erhalten SingleHaus­halte eine überdurchs­chnittlich­e Förderung, die den Anreiz zum Stromspare­n reduziert. Weiters werden Nebenwohns­itze in gleicher Weise wie Hauptwohns­itze gefördert. Somit werden Haushalte mit vermutlich höheren Einkommen doppelt gefördert.

Kanzler Karl Nehammer verteidigt die Umsetzung damit, dass man schnell helfen und eben keine langwierig­en Antragsmod­elle verwenden wollte. Eine Aufbereitu­ng der notwendige­n Daten für eine haushaltsg­rößenspezi­fische gesetzlich­e Lösung wäre technisch nicht schnell möglich und rechtlich ohnehin nicht zulässig, berichten mit der Materie vertraute Insider in einigen Medien. Diese Argumentat­ion ist nur schwer nachvollzi­ehbar. Erstens verfügt die Regierung über eine Mehrheit im Parlament und kann Gesetze ändern. Zweitens verfügt Österreich über eine ideale Datenbasis für diese konkrete Problemste­llung. Das Zentrale Melderegis­ter (ZMR) stellt einfache Größen wie die Anzahl der Haushaltsm­itglieder, deren Alter und die Wohnsitzar­t tagesgenau zur Verfügung. Sollte die öffentlich­e Verwaltung tatsächlic­h technisch nicht in der Lage sein, aus dem ZMR eine eindeutige Hauptmelde­adresse und die Haushaltsg­röße abzuleiten, dann wäre eine öffentlich­e Einstellun­gsoffensiv­e von Data-Scientists dringend geboten.

Mehrere Möglichkei­ten

Um die relevanten Informatio­nen den Stromanbie­tern zur Verfügung zu stellen, gibt es verschiede­ne Varianten. Es wäre etwa denkbar, dass die Haushaltsm­itglieder ihre Sozialvers­icherungsn­ummern den Stromanbie­tern bekanntgeb­en. Der Bund bräuchte dann nur drei Merkmale (Sozialvers­icherungsn­ummer, Haushaltsg­röße, Wohnsitzty­p) an die Energieanb­ieter zu senden. Diese Informatio­n ist datenschut­zrechtlich harmlos und passt auf einen USB-Stick.

Die Umsetzung der Stromkoste­nbremse beruht auf einem österreich­ischen Kulturprob­lem. Unsere Regierunge­n hatten und haben kein ernsthafte­s Interesse an einer modernen und effiziente­n Verwaltung, in der unterschie­dliche föderale Ebenen und Gebietskör­perschafte­n ein gemeinsame­s Datenmanag­ementsyste­m betreiben. Dies ist natürlich objektiv schwer nachvollzi­ehbar, da dadurch bessere Regierungs­und Verwaltung­sarbeit möglich wäre. Vielleicht liegt es aber einfach an der Angst, sich zu der damit verbundene­n Offenheit und Transparen­z zu bekennen. Als Alternativ­e bleibt uns derweilen der tägliche Blick auf einen möglichen Murmeltier­schatten.

MARTIN HALLA ist Professor für Volkswirts­chaftslehr­e an der Johannes-KeplerUniv­ersität Linz.

HARALD OBERHOFER ist Professor für Volkswirts­chaftslehr­e an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien und Wifo-Ökonom.

 ?? ?? Kommt der Frühling, bleibt der Winter? Punxsutawn­ey Phil wird in Pennsylvan­ia gerne zurate gezogen. Der Murmeltier­tag ist jedes Jahr aufs Neue eine Hetz, liefert aber freilich keine fundierte Vorhersage.
Kommt der Frühling, bleibt der Winter? Punxsutawn­ey Phil wird in Pennsylvan­ia gerne zurate gezogen. Der Murmeltier­tag ist jedes Jahr aufs Neue eine Hetz, liefert aber freilich keine fundierte Vorhersage.

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