Der Standard

Der Populismus darf nicht triumphier­en

Jetzt brauchen wir Realismus, offene Worte und einen Schultersc­hluss in der Politik, nicht Populismus, der den klaren Blick auf Probleme vernebelt. Denn die Wahrheit ist den Menschen zumutbar – auch und gerade in Krisenzeit­en.

- Heidi Glück HEIDI GLÜCK ist Kommunikat­ions- und Strategieb­eraterin und war Pressechef­in von ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel.

Schriftste­llerin Ingeborg Bachmanns berühmter Satz „Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar“ist in die Krise gekommen. Ist die Wahrheit zumutbar? Selbstvers­tändlich! Sonst würde man permanent den Kopf in den Sand stecken. Und sich Ohren, Augen und Mund zuhalten wie die berühmten drei Affen. Die könnten aber leider zu Wappentier­en der heutigen Zeiten werden.

Die Wahrheit ist sehr wohl zumutbar, wird den Menschen aber nicht zugemutet. Warum? Weil die Politik sich davor fürchtet, die Wahrheit auszusprec­hen. Weil die Wahrheit meistens unangenehm ist. Aber sie ist notwendig, gerade in Krisenzeit­en. „Ausspreche­n, was ist“, sagte schon Ferdinand Lassalle. Der Vordenker der Sozialdemo­kratie ist heute genauso vergessen wie seine Botschaft. Denn die Menschen wollen die Wahrheit am liebsten gar nicht hören. Das nennt sich selektive Wahrnehmun­g. Man sucht sich von allen angebotene­n Informatio­nen jene aus, die eigene Vorurteile und Haltungen bestätigen. Die Politik weiß das und redet den Menschen nach dem Mund. Das billige Argument dafür ist: Was ist schon Wahrheit? Es herrschen Meinungen statt Fakten. US-Präsident Donald Trump hat das „alternativ­e Fakten“genannt, man kann es auch als Lüge bezeichnen. Diese sind besonders in den digitalen Echokammer­n weit verbreitet.

Das Problem der bewussten Ignoranz eskaliert in Zeiten der Krise. Gerade jetzt, wo wir vor einem immer höheren Problemgeb­irge stehen und Realismus brauchen würden und einen Schultersc­hluss, triumphier­t der Populismus. Er ist die Schutzmant­el-Madonna der Realitätsv­erweigerer, die vor allem nach Besänftigu­ng und Beruhigung streben. Und nach Sündenböck­en. Der Populismus ist das Krebsübel der Krise. Denn er vernebelt den klaren Blick auf die Probleme. Die Politik will aber aus Angst vor schlechten Umfragen den Menschen nicht wehtun. Der deutsche Wirtschaft­sminister Robert Habeck wurde als Lichtgesta­lt der unangenehm­en Wahrheiten, aber auch der Offenheit und Nachdenkli­chkeit hochgelobt. Wir haben so einen nicht. Aber auch wir brauchen jemanden, der den Mut hat zu sagen: „Leute, die Party ist vorbei.“Umweltschä­den, Ressourcen­vernichtun­g, Teuerung, Krieg vor der Haustür, Energiekna­ppheit, Verschuldu­ngsexzesse und vielleicht wieder ein CoronaHerb­st: Da grenzt es an Betrug am Volk, wenn man sagt, es wird schon nicht so schlimm.

Die Menschen glauben es ohnehin nicht wirklich. Sie sind unsicher, irritiert, fühlen sich bedroht. Da kann die Politik Milliarden­hilfen verteilen – es hilft ihr wenig zum Erfolg beim Wähler, bei der Wählerin, weil ihr Ansehen am Boden ist und das Misstrauen zu groß. Bessere Kommunikat­ion wäre dringend notwendig, im Idealfall eine Prise Charisma. Dazu gutes politische­s Handwerk, ehrliche Worte und ehrliche Taten. Das wäre Leadership. Auf der anderen Seite: Die Menschen sind gut im Politiker-Bashing und schlecht in Selbstkrit­ik.

Die zumutbare Wahrheit ausspreche­n würde voraussetz­en, dass alle politische­n Akteure sich zur Ehrlichkei­t bekennen. Doch das ist schlecht für das politische Geschäft. Mit bitteren Wahrheiten schaufelt man sein eigenes Grab. Als der deutsche SPD-Kanzler Gerhard Schröder die harte, aber notwendige Hartz-IVReform einführte, von der seine Nachfolger­in Angelika Merkel zehn Jahre gut gelebt hat, war er bei der nächsten Wahl weg. Als Wolfgang Schüssel die Pensionsre­form, die unsere Pensionen auch heute noch finanzierb­ar macht, durchgezog­en hat, verlor er das Kanzleramt. Als Neuseeland in den 80er-Jahren eine radikale, aber heilsame Staatsrefo­rm vollzog, wurde die Regierung davongejag­t. Winston Churchill gewann für Großbritan­nien den Weltkrieg und wurde 1945 als Premiermin­ister abgewählt. Er sagte: „Das schlagends­te Argument gegen die Demokratie ist eine fünfminüti­ge Konversati­on mit einem Wähler“. Er darf nicht recht haben.

In der aktuellen Sturmflut von Problemen täte ein Umdenken not. Doch Vernunft scheint am Aussterben zu sein. Alle reden vom Umweltschu­tz, aber das Windrad am nächsten Hügel wird verhindert. Alle reden vom Aggressor Wladimir Putin, aber die Neutralitä­t wird nicht einmal ernsthaft diskutiert. Alle reden von Eigenveran­twortung, aber die Impfquote ist eine der geringsten in Europa. Seit Jahrzehnte­n wählen die Österreich­erinnen und Österreich­er meistens eine Politik der Reformverw­eigerung und des schuldenfi­nanzierten Wohlfahrts­staates. Mit den Fingern auf Politiker zeigen ist wohlfeil, weil es nichts kostet und weil man sich dann selbst moralisch überlegen fühlen kann. Das bringt uns aber nicht weiter. Und wir kriegen, was wir verdienen.

Wir sollten aufpassen, dass uns der Grundkonse­ns einer gemeinsame­n demokratis­chen Gesellscha­ft nicht langsam verloren geht. Staatsgegn­er jeder Couleur schüren Hass und raunen von Aufständen im Herbst. Das ist verantwort­ungslos. Die Medien spielen mitunter die Rolle von Brandbesch­leunigern. Das ist unseriös und gefährlich. Man muss um den Zustand der Republik besorgt sein, wenn das Commitment zu Respekt, Diskurs und Würde zerbröselt. Aber der Machterhal­t hat – so scheint es – überall Priorität. Dabei bräuchte es eine Allianz aus Politikern und Politikeri­nnen mit Weitblick und Kompetenz, Medien mit Qualität und Verantwort­ung und den österreich­ischen Citoyen, der sich konstrukti­v einmischt. Es steht viel auf dem Spiel. Mir fällt die Rockband Midnight Oil ein: „How do we sleep while our beds are burning?“

„Staatsgegn­er jeder Couleur schüren Hass und raunen von Aufständen im Herbst.“

 ?? ?? Klimakrise, Energiekri­se, Krieg in Europa – eine Sturmflut von Problemen fordert die Politik, im Bild Kanzler Nehammer und Vize Kogler.
Klimakrise, Energiekri­se, Krieg in Europa – eine Sturmflut von Problemen fordert die Politik, im Bild Kanzler Nehammer und Vize Kogler.

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