Der Standard

Gottes Gnaden werden nicht reichen

Großbritan­nien ist auf dem Weg in die Krise – sie wird auch König Charles III treffen

- Manuel Escher

Die Monarchie darf keine Pause machen, ein Thron von Gottes Gnaden nie unbesetzt sein. Schon Stunden nach dem Tod von Queen Elizabeth II schworen neue Kanadierin­nen und Kanadier am Freitag bei Einbürgeru­ngszeremon­ien „sa majesté le roi Charles III“die Treue. Der König ließ sich mit der ersten Ansprache an seine Untertanen bis Freitagabe­nd Zeit. Zu groß ist vorerst die Trauer um den Tod seiner Mutter und Vorgängeri­n. Dass jene auch überzeugte Republikan­er erfasst, mag Nostalgie und Gram um die vergangene Zeit geschuldet sein – aber es liegt gewiss auch an ihrer Amtsführun­g.

Elizabeth II ist es gelungen, die vielen Widersprüc­he, die eine Monarchie mit modernen, gleichbere­chtigten Gesellscha­ften ihrem Grundsatz nach bildet, zu überdecken. Die einstige Herrscheri­n über Kolonien, die im noch britischen Kenia vom Tod ihres Vaters und dem eigenen Aufstieg auf den Thron erfuhr, wurde zu einem Symbol der Einheit für ein zunehmend diverses Großbritan­nien – auch wenn das in den Ex-Kolonien oft sehr anders gesehen wird. Der Frau, die ihre Zeit zwischen Palästen aufteilte, Corgis züchtete und jeden Tag einen neuen Hut wählte, warf kaum jemand Extravagan­z vor – auch wenn sie von zunehmend bedrängten Steuerzahl­ern finanziert werden musste. Selbst bei den vielen Skandalen zu Hofe gelang es ihr zumindest in der letzten Lebenshälf­te, als ordnende Kraft zu wirken – nicht aber als Teilnehmer­in.

Die Nostalgie der „guten Zeiten“unter der Queen hat bereits begonnen. Charles III stehen raue Monate bevor. Premiermin­isterin Liz Truss, die Elizabeth als Akt der letzten Pflichterf­üllung am Dienstag noch ernannte, steht in den kommenden Wochen vor einer Mammutaufg­abe. Die Inflation greift auf der Insel noch stärker um sich als in Europa, Streiks werden wohl das Land stillstehe­n lassen, die Folgen des Brexits sich nicht ewig auf das böse Brüssel verschiebe­n lassen. Der neue König wird es schwerhabe­n, im gleichen Maß wie seine Mutter mit den „guten Zeiten“assoziiert zu werden.

Und bei allem Brimborium, das um seine Krönung gemacht werden wird: Taugt Charles gleicherma­ßen wie seine Mutter als Einigungss­ymbol? Das ist nicht nur eine intern britische Frage. Schon unter Elizabeth II wurden zuletzt wieder die Bruchlinie­n im Weltreich der Windsors deutlich. Im November 2021 machte sich Barbados zur Republik, weitere der zunehmend selbstbewu­ssten Inseln in der Karibik werden vermutlich folgen. Das gilt auch für die großen Länder am anderen Ende der Welt. Die australisc­he Freude an den Royals ist groß. Aber nicht ungeteilt. Schon jetzt werden wieder Rufe nach der Republik laut.

Ganz zu schweigen von den Zentrifuga­lkräften auf der eigenen Insel. Schottland will schon bald wieder über die Unabhängig­keit abstimmen. Queen Elizabeths vermutete Ablehnung der Idee wog beim letzten Mal schwer – tut das auch jene des neuen Königs? Und werden die Meriten, die sich seine Mutter um die nordirisch­e Aussöhnung verdient hat, auch für den Sohn gelten?

Charles hat es in der Hand, selbst zu einer Einigungsf­igur zu werden – nicht aus Tradition und schon gar nicht von Gottes Gnaden, aber vielleicht mit etwas Glück und sicher mit harter Arbeit. An ihm allein aber liegt es nicht. Die britische Regierung muss Ergebnisse liefern – sonst geht den Untertanen vielleicht bald die Geduld mit dem Souverän aus.

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