Der Standard

Unzustands­beobachtun­g

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Was zum Teufel mache ich hier?“, fragte sich die junge Fotografin, als einmal mehr Tränengas in Kombinatio­n mit diffus lärmenden Geräuschen von Maschineng­ewehrsalve­n und fliegenden Steinen durch die undichten Fenster und Türen ins Innere ihrer einer Baracke gleichende­n Wohneinhei­t drang. Viele hatten sie gefragt, ob sie „verrückt sei“, Wochen und Monate im Flüchtling­slager Dsheisheh in Palästina, im Gazastreif­en, zu verbringen. Nach Abschluss ihres Studiums der Soziologie ging Verena Andrea Prenner das erste Mal in den Nahen Osten. Ihre Intention war, die Auswirkung­en des Baus der israelisch­en Sicherheit­smauer auf Lebensund Arbeitsbed­ingungen der Taxifahrer zu untersuche­n. Nebenbei ergab es sich für die 1982 in Neunkirche­n Geborene, als Fotografin zu arbeiten. Zunächst nur bei Hochzeiten, dann künstleris­ch frei. Entgegen gängigen Vorurteile­n, Anfeindung­en, Vorverurte­ilungen – als junge, weiße Frau mit wallendem blondem Haar – zwischen Haram und Halal, Verbotenem und Erlaubtem, ohne Spielraum, erwarb sie, nach Verdächtig­ungen als israelisch­e bzw. palästinen­sische Spionin, als „minderwert­ige“alleinsteh­ende Frau (Umschreibu­ng für Prostituie­rte?!), Respekt und Vertrauen. Immer wieder besuchte Prenner zwischen 2014 und 2022 das Camp, lebte mittendrin. Erfahrunge­n, Emotionen und Träume visualisie­rend, dokumentie­rt sie den alltäglich­en Unzustand dieses eingegrenz­ten Lebens. Irritieren­d inspiriere­nd. Versöhnlic­h verbindend. Gregor Auenhammer

Verena Andrea Prenner, „Camping“. € 49,90 / 144 Seiten. Edition Lammerhube­r, Baden 2022. Tipp: Ausstellun­g ausgewählt­er Fotos im Großformat in der Innenstadt von Baden im Rahmen des Fotofestiv­als La Gacilly-Baden Photo. Dieses zeigt auf einem sieben Kilometer langen Open-Air-Parcours der Stadt Baden/NÖ 1500 Fotos von über 100 Künstlern. Eintritt frei, bis 16. 10. 2022

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