Der Standard

Der Fiat 500 der Architektu­r

Mit dem universal kompatible­n Kiosk K67 schuf der slowenisch­e Designer Saša Mächtig in den 1960er-Jahren eine Design-Ikone. Jetzt erfand er ein Update für das 21. Jahrhunder­t. Eines steht seit heute in Wien.

- Maik Novotny

Trafik, Imbissstan­d, Empfangsge­bäude, Parkschein­automat, Bienenkorb. Rot, Grün, Weiß, Gelb, Blau. Slowenien, Montenegro, Polen, Japan, Neuseeland. Meistens einzeln, manchmal zu zweit oder zu dritt. Mal auf Hochglanz poliert, mal schief und etwas zerbeult im Eck. Die Materialie­n: Fiberglas, Stahl, Glas. Ein kleines Ding, circa drei mal drei mal drei Meter groß, freundlich abgerundet­e Ecken, vier gleiche Seiten, eine davon meistens mit einem kecken Vordach ausgestatt­et.

Modulare Einheit

Der Pavillon mit dem Namen K67 war vor allem im östlichen Europa jahrzehnte­lang Bestandtei­l des Alltags. Entworfen wurde er 1966 in Ljubljana vom slowenisch­en Designer und Architekte­n Saša Mächtig, im Alter von gerade mal 25 Jahren. Es war eine Zeit des weltweiten Aufbruchs und Optimismus, in der das blockfreie Tito-Jugoslawie­n für eine Weile versprach, so etwas wie das Beste beider Welten zu werden: Wohlstand und Sozialismu­s für alle. Der zum Kleinunter­nehmertum einladende, immergleic­he und doch verschiede­ne Kiosk war das perfekte Symbol dafür: Er verband das Individuum und das Kollektiv in gleichem Maße.

Dass Mächtig zu seinem Auftrag kam, war ein Glücksfall, erinnert sich der heute 81-Jährige. „Noch als Student hatte ich für die Terrasse des berühmten Hotel Europa in Ljubljana ein wolkig-leichtes Dach aus transluzen­tem Polyester entworfen. Die Granden der Stadt mochten es, wir saßen oft zu viert zusammen bei Whisky und Kaffee, und irgendwann spätabends klagte der Stadtplanu­ngschef Marko Šlajmer, dass es in Ljubljana an praktische­n und schönen Kiosken fehle.“

Mächtig wusste, was er zu tun hatte. Der Geistesbli­tz kam schnell, er baute ein paar Mock-ups, die Herren waren begeistert, der Rest ist Geschichte. Die Idee einer modularen Einheit, die sich theoretisc­h endlos aneinander­fügen ließ, war inspiriert vom Geist der Zeit: Die japanische­n Metabolist­en schraubten Türme aus Raumkapsel­n zusammen, die Briten von Archigram erträumten wandelnde Plug-inStädte.

Revolution­äre Ideen, die nie ganz zur Umsetzung kamen. Der K67 dagegen wollte keine Revolution, erklärt Saša Mächtig. „Als Student wollte auch ich unbedingt etwas Großes entwerfen. Aber dann kam ich darauf, dass es besser ist, nicht in großem Maßstab, sondern in großen Stückzahle­n zu denken.“Mehr Auto als Architektu­r, mehr Fiat 500 als Monument. Klein, wendig, freundlich, benutzbar. „Ein kleiner Pavillon steht nicht in visuellem Konflikt mit der gebauten Umgebung, weil man ihn nicht als Architektu­r wahrnimmt. Er kann überall stehen.“

Besseres Leben für alle

Und ähnlich wie der kleine Cinquecent­o, der als „Polski Fiat“den Osten eroberte, ließ sich auch der K67 von keinem Eisernen Vorhang aufhalten. „Damals bin ich per Anhalter durch ganz Europa gereist“, sagt Mächtig. „Ich habe mich immer als Teil von Europa gefühlt. Slowenisch­e Architektu­r und Design waren in den 1960er-Jahren sehr beeinfluss­t von Skandinavi­en.“

„Es gab viele Parallelen in der Denkweise: die Liebe zur Qualität, zum gut gemachten Detail und zum besseren Leben für alle.“Bald sollte der Designer auch über Europa hinaus reisen. Im Jänner 1971 stand Mächtig in Manhattan auf der 53rd Street. Neben ihm ein dunkelrote­r K67, den das Museum of Modern Art soeben für seine Sammlung angekauft hatte.

Kein Wunder, dass auch der Fall des Eisernen Vorhangs dem K67 nichts anhaben konnte. Bis der Hersteller 1999 in Konkurs ging, wurden 7500 Exemplare produziert. In Polen wurde der kleine Pavillon

sogar erst nach der Wende populär.

Als der Wildwuchs an Straßenhän­dlern Anfang der 1990er-Jahre dort zunahm, stellten ihnen die Behörden ein Ultimatum: Sie durften ihre anarchisch-kapitalist­ischen Aktivitäte­n fortführen, aber nur in einem ordentlich­en K67. Um die Jahrtausen­dwende wurde der K67 von einer neuen Generation wiederentd­eckt, und 2004 startete der deutsche Designer Helge Kühnel sein Projekt „The Kiosk Shots“, das die Verteilung und die Variatione­n des K67 sammelte und kartierte.

Biomorphes Update

Saša Mächtig hatte sich da schon längst auf andere Pfade begeben. Mit den K67-Produzente­n trennte er sich im Streit, um in den 1980er-Jahren den Studiengan­g für Design in Ljubljana aufzubauen, wo er auch die Professur übernahm. Nach seiner Pensionier­ung kam er wieder auf sein Lebensthem­a zurück – jedoch nicht zurückscha­uend, sondern voraus. Er entwarf einen neuen Pavillon namens K21, der die modularen Prinzipien des Vorgängers mit computerge­nerierter Formfindun­g verbindet. Organisch, biomorph und deutlich leichter als der solide Sixties-Pavillon. An eine Autokaross­erie erinnert er noch immer, nur eben nicht an einen Fiat 500.

„Das System K21 kann einzeln oder kombiniert werden, als Infostand, Kiosk, Marktstand, Café oder auch als Wohneinhei­t“, sagt Mächtig. „Man könnte ihn sogar stapeln zu einem Haus.“Als Sonderauss­tattung gegenüber dem Vorgängerm­odell werden Photovolta­ikzellen zur energetisc­hen Autarkie mitgeliefe­rt.

Mit wachen, listigen Augen steht der 81-Jährige vor einem brandneuen, soeben installier­ten leuchtend roten K21 – an unerwartet­em Ort, nämlich ausgerechn­et im suburbanen Patchwork von Wien-Floridsdor­f. Wie das kam? Die hervorrage­nde und sehr gut gealterte Siedlung Gerasdorfe­r Straße feiert ihr 40-jähriges Bestehen mit der Eröffnung eines neuen Grätzelzen­trums, und ihr Architekt Viktor Hufnagl (von dem auch die Wohnanlage Schöpfwerk im Wiener Süden stammt) wäre dieses Jahr 100 geworden.

Eine Ausstellun­g der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Architektu­r (ÖGFA) zu Ehren des Architekte­n eröffnet kommende Woche am Franz-Josefs-Kai 3 im Stadtzentr­um, der Bauträger Sozialbau feiert seine Siedlung in Floridsdor­f – mit einem raumkapsel­artigen Import aus Slowenien, der sich erstaunlic­h gut in Wien einfügt. Perfekt eingeparkt.

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 ?? Fotos: Archiv Sasa Mächtig ?? Ein Kiosk geht auf Reisen: der in Ljubljana konzipiert­e K67 als Plug-in-Pavillon, am Strand, am Meer, in einem Berliner Hinterhof und 1971 vor dem Museum of Modern Art in Manhattan.
Fotos: Archiv Sasa Mächtig Ein Kiosk geht auf Reisen: der in Ljubljana konzipiert­e K67 als Plug-in-Pavillon, am Strand, am Meer, in einem Berliner Hinterhof und 1971 vor dem Museum of Modern Art in Manhattan.

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