Türen für Atomdeal schließen sich
Großbritannien, Frankreich und Deutschland haben in einem harschen Statement „ernsthafte Zweifel“geäußert, ob Teheran überhaupt noch an einem neuen Atomdeal interessiert ist. Hat der Iran bereits die Tür zugeschlagen?
Was die Aussichten betrifft, doch noch einen neuen Iran-Atomdeal zu erreichen, folgt derzeit eine kalte Dusche auf die andere: wobei naturgemäß Uneinigkeit darüber herrscht, wer damit angefangen hat. Der meist gebrauchte Vorwurf gegeneinander lautet im Moment: „nicht konstruktiv“. Das klingt relativ harmlos, zerstört aber mit einem Schlag den Befund, dass die Vorschläge der jeweils anderen Seite dergestalt sind, dass es sich lohnt, weiter um einen Text zu ringen. Er sollte den 2015 abgeschlossenen und 2018 von US-Präsident Donald Trump torpedierten Deal wiederherstellen.
Das Abkommen mit dem Namen JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action / Gemeinsamer umfassender Aktionsplan) würde das iranische Urananreicherungsprogramm wieder unter Kuratel stellen. Es hat zuletzt ein beängstigendes Ausmaß erreicht. Der Iran hingegen würde dafür die im Zusammenhang mit dem Atomstreit verhängten Wirtschaftssanktionen los.
Der jüngste Beitrag zum allgemeinen Pessimismus stammt von den sogenannten E3 – Großbritannien, Frankreich und Deutschland –, die den Iran am Samstag in einem Statement scharf kritisiert haben: Die europäischen JCPOA-Verhandlungsstaaten äußerten „ernsthaften Zweifel“am iranischen Willen zu einem Deal. Man sei dem Iran schon „bis zum Limit der Flexibilität entgegengekommen“, derweil Teheran sein Atomprogramm „über jede plausible Rechtfertigung für eine zivile Anwendung hinaus“eskaliere.
Der Knackpunkt IAEA
Die E3 sprechen auch den Punkt an, an dem es sich offenbar am meisten spießt: Der Iran versuche, den Atomdeal dazu zu benützen, seinen gesetzlichen Verpflichtungen unter dem Atomwaffensperrvertrag zu entkommen. Damit ist gemeint: Teheran verlangt, dass die offenen Fragen, die die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) zu den mutmaßlichen militärischen Aspekten des iranischen Atomprogramms in der Zeit vor 2003 hat, ad acta gelegt werden. Und zwar, wie es inoffiziell heißt, schon 60 Tage nach einer etwaigen Einigung auf einen neuen JCPOA. Das ist praktisch unmöglich, zumal der Iran ja nicht bereit ist, schlüssige Antworten auf die IAEA-Fragen zu liefern.
Die Erklärung der E3 ist harsch. Aber wenngleich Teheran die Europäer beschuldigt, damit der israelischen Regierung zu Willen zu sein, die die JCPOA-Verhandlungen ablehnt, so ist sie vielleicht sogar als gelinderes Mittel intendiert.
Denn heute, Montag, beginnt in der IAEA der Gouverneursrat. Bei jenem im Juni hatten die E3 eine Irankritische Resolution eingebracht. Teheran reagierte darauf, indem es seine Kooperation mit der IAEA, die die iranischen Atomanlagen überwacht, stark reduzierte. Wenn es auch diesmal eine Resolution gibt, könnten die Iraner mit einem Ende der Zusammenarbeit – und der Verhandlungen – antworten. Die Hoffnung ist wohl, dass sich am Rande der Uno-Generalversammlung ab Dienstag in New York Fortschritte ergeben könnten – und der Iran mag damit spekulieren, dass die US-Regierung von Joe Biden nach den Midterm-Elections nachgiebiger ist.
Was ein Zusammenbruch der Verhandlungen bedeuten würde? Man weiß es nicht. Der Chefredakteur von Keyhan, Hussein Shariatmadari, Sprachrohr der Hardliner, verlangt jetzt schon den Austritt des Iran aus dem Atomwaffensperrvertrag (NPT). Das heißt nicht, dass Teheran sofort Atomwaffen baut, das wäre gegen die derzeit offiziell geltende Doktrin von Religionsführer Ali Khamenei.
Aber gleichzeitig ist Irans atomare Breakout-Zeit praktisch bei null angelangt. Das heißt, Teheran hat bereits genügend angereichertes Uran produziert, um durch Weiteranreicherung innerhalb kurzer Zeit ausreichend waffenfähiges Material für mindestens eine Atombombe herstellen zu können.
Das Ziel eines neuen JCPOA wäre es, diese Entwicklung zu revidieren und den Iran wieder von der Atomwaffenschwelle fernzuhalten. Die Gegner des Deals hingegen wollen nicht, dass der Iran durch Sanktionsaufhebungen in den Genuss von viel Geld kommt, das er unter anderem für seine Stellvertretergruppen im Nahen Osten – die libanesische Hisbollah, irakische schiitische Milizen – einsetzen könnte.
Die Vorgeschichte des E3-Statements von Samstag ist lang: Im August hatte die EU, als Koordinator der Verhandlungen in Wien, einen Text vorgelegt, zu dem es eine Woche später iranische Anmerkungen gab. EUAußenbeauftragter Josep Borrell wertete sie als „vernünftig“. Die USAntwort soll relativ hart gewesen sein – keiner dieser Texte ist öffentlich –, und am 2. September folgte eine neue, laut USA „nicht konstruktive“Stellungnahme aus Teheran.
Moskau springt Iran bei
Dass das auch Großbritannien, Frankreich und Deutschland so sehen, zeigt ihre Erklärung von Samstag. Hingegen sprang dem Iran der russische Verhandler bei, Michail Uljanow, der – ohne die iranischen Forderungen zu erwähnen – den Schritt der E3 als „zur falschen Zeit“bezeichnete.
Vergangene Woche hatte die IAEA ihren vierteljährlichen IranBericht herausgebracht, aus dem die Fortschritte des iranischen Urananreicherungsprogramms deutlich abzulesen sind. Demnach hat sich der Bestand von auf 60 Prozent angereichertem Uran um ein Drittel erhöht, auf 55,6 Kilogramm. Von auf 20 Prozent angereichertem Uran gibt es jetzt 331,9 Kilogramm im Iran, insgesamt meldet die IAEA 3149 Kilogramm Uran unterschiedlicher Anreicherungsgrade (beginnend mit zwei Prozent).
Unter dem JCPOA, der in Wien 2015 abgeschlossen wurde, dürfte der Iran bis zu 300 Kilogramm auf nur 3,65 Prozent angereichertes Uran haben. Das ist demnach weniger, als der Iran momentan an 20Prozent-Uran im Land hat. Für bis auf 20 Prozent angereichertes Uran gibt es zivile Zwecke (Reaktorbrennstoff), für die Anreicherung auf 60 Prozent nicht, allerdings ist es auch nicht waffenfähig. Bis zum Austritt der USA unter Trump im Mai 2018 hat Teheran die Regeln eingehalten.