Wer entscheidet, was wirklich „grün“ist?
Die Bewertung von nachhaltigen Unternehmen und Finanzprodukten wird immer wichtiger. Einheitliche Kriterien gibt es dafür aber nicht. Das macht sinnvolle Vergleiche schwierig bis unmöglich.
ESG-Ratingagenturen sind ein relativ neues Phänomen in der Finanzwelt, deren Bedeutung in den letzten Jahren enorm gestiegen ist. Mittlerweile stützen nicht nur institutionelle Investoren, sondern zunehmend auch kleinere Anlegerinnen und Anleger ihre Investmententscheidungen auf ESG-Ratings. Ein niedriges Rating kann für Unternehmen oder Finanzprodukte daher von großem Nachteil sein.
Im Gegensatz zu herkömmlichen Ratingagenturen, die die Bonität der Emittenten bzw. Kreditnehmer bewerten, konzentrieren sich ESGRatingagenturen auf die drei Kernbereiche nachhaltigen Wirtschaftens des jeweiligen Emittenten bzw. Kreditnehmers. Dies sind Umweltfaktoren (E für Environmental), Soziales (S für Social) und Unternehmensführung (G für Governance). Bei der ESG-Bewertung liegt das Hauptaugenmerk demnach nicht auf herkömmlichen ökonomischen Kriterien wie etwa der Rentabilität oder Liquidität. Vielmehr beurteilen ESG-Ratingagenturen, welche Rolle Nachhaltigkeit innerhalb des jeweiligen Unternehmens spielt, inwieweit also die erwähnten drei Kernbereiche umgesetzt werden.
Starke Abweichungen
Hierzu sammeln ESG-Ratingagenturen verschiedenste Daten zur Nachhaltigkeit von Unternehmen, um diese anschließend zu analysieren und sodann zu bewerten.
Wie erwähnt, umfasst ESG neben ökologischen Komponenten auch soziale Gesichtspunkte sowie Grundsätze einer guten Unternehmensführung. Neben der Frage, was ein Unternehmen dahingehend tut, um CO₂ zu reduzieren, sind daher beispielsweise auch Aspekte wie Arbeitssicherheit, Menschenrechte sowie interne Kontrollprozesse maßgeblich.
Die ESG-Ratingagenturen agieren bei ihrer Bewertung allerdings nicht einheitlich. Sowohl die zugrunde gelegten Daten als auch die Methodik, anhand derer sich die entsprechende Bewertung errechnet, unterscheiden sich zum Teil grob voneinander. Dies gilt für die kleine Anzahl großer, multinationaler, am EU-Markt tätiger ESG-Ratinganbieter (z. B. MSCI ESG oder Sustainalytics) wie auch für die größere Anzahl kleiner und mittlerer ESG-Ratinganbieter in der EU (laut Europäischer Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde / Esma sind insgesamt 59 ESG-Ratingagenturen zum Stand Juni 2022 in der EU tätig). Dadurch können die ESG-Bewertungen desselben Unternehmens – abhängig von der bewertenden Ratingagentur – teilweise stark voneinander abweichen. Es gibt zurzeit auch (noch) keine anerkannte Institution, die Standards in der Methodik als Empfehlung geschweige denn als verpflichtend herausgegeben hätte oder in sonstiger Weise die Qualität oder auch nur Einheitlichkeit von Nachhaltigkeitsratings gewährleisten würde.
In diesem Zusammenhang sind auch Ergebnisse von ESG-Ratings zu sehen, nach denen beispielsweise Unternehmen (oder Finanzprodukte, die mit diesen Unternehmen assoziiert sind), die Produkte anbieten, die gemeinhin nicht als nachhaltig verstanden werden, jedoch ein starkes ESG-Management betreiben, bessere ESG-Ratings erhalten als Unternehmen mit nachhaltigkeitsverträglicheren Produkten, aber schwachem ESG-Management.
Wenig Zuverlässigkeit
Dies zeigt, dass die Bewertung nachhaltigen Wirtschaftens verschiedener Unternehmen bzw. Finanzprodukte sowie die Qualität und Zuverlässigkeit von ESG-Ratings zurzeit noch nicht unbedingt zufriedenstellend verwirklicht sind.
Diese unterschiedliche Herangehensweise in der Bewertung wird teilweise auch von den Aufsichtsbehörden kritisiert, die eine Vereinheitlichung der angewandten Methoden und eine präzisere Regulierung von ESG-Ratingagenturen fordern. Die Esma hat in einem Schreiben an die EU-Kommission bezüglich ESG-Ratingagenturen auf die Gefahren des unregulierten und unbeaufsichtigten Marktes von ESGRatingagenturen hingewiesen. Um Rechtssicherheit zu erlangen, müsste ein einheitlicher Rechtsrahmen für ESG-Ratingagenturen und insbesondere eine gemeinsame rechtliche Definition für ESG-Ratings, „die das breite Spektrum an Bewertungsinstrumenten erfasst“, geschaffen werden. Rechtssicherheit liegt diesbezüglich wohl auch im Interesse der ESG-Ratingagenturen selbst, die – so ist nicht auszuschließen – unter Umständen für Ratings sowohl von den bewerteten Unternehmen als auch den Investoren haftbar gemacht werden könnten.
Denkbar wäre, dass Gütesiegel für nachhaltige Finanzprodukte wie etwa das FNG-Siegel oder das Österreichische Umweltzeichen mit ihrem transparenten Kriterienkatalog als Ergänzung zu ESG-Ratings dienen. Um in diesem Zusammenhang nicht einen GütesiegelDschungel zu kreieren und das Problem nur von einer auf die andere Ebene zu verlagern (wer kontrolliert die Gütesiegel?), wäre eine Möglichkeit, dass entsprechende Gütesiegel etwa von der Finanzmarktaufsicht geprüft werden. Jedenfalls wäre es – wie von der Esma gefordert – begrüßenswert, wenn ESG-Ratingagenturen von einer öffentlichen Behörde registriert und beaufsichtigt werden würden. Aktuell bleibt abzuwarten, wie die (europäische) Gesetzgebung und die Aufsicht von ESG-Ratings in Zukunft ausgestaltet werden.