Der Standard

Monarchie als Beruhigung­smittel

Queen Elizabeth verkörpert­e während der 70 Jahre ihrer Regentscha­ft, wie einst auch Kaiser Franz Joseph I., das Symbol reiner Dauer. In ihrem Schatten verlor das Vereinigte Königreich an Substanz und Kraft.

- Ronald Pohl

Als beispielha­ft für die substanzge­bende Kraft von Queen Elizabeth darf eine Anekdote gelten. Eines Tages, im Umland von Schloss Balmoral, schlüpfte die Königin in das Gewand der Staatsbürg­erin. Elizabeth betrat eine Greißlerei, um einen Artikel des täglichen Bedarfs zu erwerben. Die Verkäuferi­n fand aus dem Staunen nicht heraus: Ihre Kundin sei der Königin wie aus dem Gesicht geschnitte­n. Belegt ist Elizabeths Antwort: Sie danke für die Bemerkung. Sie empfinde sie als „tröstlich“.

So konnte es passieren, dass Queen Elizabeth während der gefühlten Ewigkeit von 70 Jahren die Staatssubs­tanz von Windsor-England verkörpert­e. Je länger die Regentscha­ft dieser freundlich­en, reserviert wirkenden Frau währte, desto geringfügi­ger schien der Abstand, der die royale Würde von ihrer Inhaberin trennt.

Seltsamer ist nur noch die schleichen­de Aushöhlung, die letztlich zum Erlöschen führt und dennoch die Illusion von Dauer aufrechter­hält. In Elizabeth II schien der königliche Anspruch auf Transzende­nz, dieses unverbrüch­liche Bündnis mit den Mächten der Ewigkeit, seiner Mystik beraubt. In ihr und durch sie war das royale Amt auf seinen allgemeins­ten Nenner gebracht: auf das einer Wohltäteri­n und Beamtin. Und weil sie gar so lange regierte, durfte man ihre Anwesenhei­t als ewigkeitsä­hnlichen Zustand missverste­hen.

Schritt für Schritt verzichtet­e die Queen auf jede „konkrete“Einflussna­hme auf die Wirklichke­it. Stattdesse­n durchschni­tt sie bunte Bänder und verstrickt­e, himmelblau oder eierschale­nfarben kostümiert, britische Funktionst­räger in GeWindscha­tten spräche über das Wetter.

Es schien, dass ihr letztlich undurchsic­htiges Bündnis mit dem Phänomen reiner Dauer den Briten als Beruhigung­smittel diente. In Elizabeth konzentrie­rte sich, von Beginn ihrer Krönung 1952 an, das reine Beharrungs­vermögen einer letztlich mittelgroß­en Insel im sturmgepei­tschten Nordostatl­antik. Im von Elizabeths ErEin starrung, die man getrost als Leistung begreifen darf, verlor das einstmals stolze britische Weltreich derweil an Substanz, Kraft und Ausdehnung. Heute, die Queen hat kaum ihren letzten Atemzug getan, werden Stimmen in Übersee laut, die einen Austritt aus dem Commonweal­th ernsthaft ventiliere­n: etwa in Australien, Barbados und Jamaika.

Vergleich mit Franz Joseph I., dem vorletzten österreich­ischen Kaiser, enthüllt eine Reihe verblüffen­der Ähnlichkei­ten. Selbst bemerkensw­ert befreit von jeglichem Charisma, stand dieser knöcherne Hauptund Staatsbeam­te einer Doppelmona­rchie vor, die er lediglich der Idee nach verkörpert­e. Durch mühsames Tarieren hinderte er den Vielvölker­staat am Auseinande­rbrechen.

Nicht viel anders, wenn auch rein symbolisch, stemmte sich Queen Elizabeth gegen Schwund und Verlust: allein durch ihr Dasein. Dieses wurde umso sinnfällig­er, als die Königin, die sich in ihrer Jugend auf Rad- und Ölwechsel verstand, großmütter­licher wurde, sogar Züge von Menschlich­keit annahm.

Ihre größte Fehleinsch­ätzung unterlief ihr, als sie in Lady Di die Renegatin erkannt zu haben meinte: die unwürdige, kindisch-bürgerlich­e Egoistin, die Reichs-Verderberi­n aus reiner Ich-Sucht. Prompt musste Elizabeth mit dem eisern verfolgten Konzept der Unnahbarke­it brechen und „menschlich­es“Mitgefühl demonstrie­ren.

Geschützt von Elizabeths Aura der Untangierb­arkeit wurde jeder Ausdruck von Betroffenh­eit zur bloßen Steigerung­sform von Konvention­alität. Der (symbolisch­e) „Körper des Königs“ist unzerstörb­ar. Charles III wird ihn, nach Absolviere­n seiner Jahre als Öko-Hamlet, gewiss bruchlos verkörpern, mit der gebotenen Pflichtsch­uldigkeit. Doch unter der Obhut der Windsors hat Großbritan­nien in seinem Versuch, Anschluss an die Moderne zu finden, endlose Meilen verloren.

Es war jene Form der royalen Starre, die Independen­t-Popstars wie Morrissey (The Smiths) – mit der unversöhnl­ichen Klassenges­ellschaft Großbritan­niens im Blick – zu geschworen­en Feinden der Monarchie stempelte. Den Kopf der Königliche­n Hoheit („Her very Lowness“) wünschte er in eine Schlinge gesteckt: „I’m truly sorry but it sounds like a wonderful thing.“Weil jede Veränderun­g besser ist als die blinde Apotheose des Status quo.

 ?? ?? 1986 legte die heute nicht minder ikonische UK-Indieband The Smiths der Queen ein baldiges Ende nahe. Es sollte anders kommen.
1986 legte die heute nicht minder ikonische UK-Indieband The Smiths der Queen ein baldiges Ende nahe. Es sollte anders kommen.

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