Der Standard

Kunst als Aufrüttelu­ng

Laura Poitras’ Doku über Nan Goldin erhielt den Goldenen Löwen in Venedig

-

Venedig – Zu Beginn des Festivals hatte US-Star Julianne Moore von der Zukunft des Kinos gesprochen. Allzu oft, meinte die Jury-Präsidenti­n da, würde diese Diskussion nur „kommerziel­l und geschäftso­rientiert“geführt, „das ist nicht die Zukunft des Kinos als Kunst“. Bei der Preisgala am Samstag bewies die Jury nun, dass dies keine leere Botschaft war: Mit Laura Poitras’ All the Beauty and the Bloodshed erhielt erstmals seit 2013 wieder ein Dokumentar­film den Goldenen Löwen.

„Eine Künstlerin porträtier­t eine Künstlerin“, das sei der Ausgangspu­nkt gewesen, sagte Poitras dem STANDARD – wobei die US-Fotografin Nan Goldin den Anstoß geliefert habe. Poitras habe sofort zugesagt, deren Kampf gegen die milliarden­schwere Sackler-Familie zu begleiten, die für ihre Mitverantw­ortung an der Opioid-Krise nie belangt wurde. Der Film hat aber nicht nur diese aktivistis­che Seite Goldins im Blick, sondern verdichtet sich zu einer äußerst lohnenden Meditation über die Verflechtu­ng von Politik und Kunst in ihrem Werk.

Auch mit den restlichen Entscheidu­ngen bewies die Jury Fingerspit­zengefühl: Saint Omer, das Spielfilmd­ebüt der Französin Alice Diop, erhielt den Großen Preis der Jury. Es war die formal avancierte­ste Arbeit im Wettbewerb, ein irritieren­des Justizdram­a, in dem der Fall einer afroeuropä­ischen Kindsmörde­rin Themen wie Gerechtigk­eit, Mutterscha­ft und kulturelle Unterschie­de überrasche­nd neu akzentuier­t.

Kannibalen und Komödie

Zwei Preise bekamen auch Bones and all, Luca Guadagnino­s elegisches Kannibalen­drama, darunter den für beste Regie, und Martin McDonaghs schwarze Komödie The Banshees of Inisherin. Letztere wurde für das beste Drehbuch ausgezeich­net, Hauptdarst­eller Colin Farrell für seinen einnehmend­en Part als eher schlichter irischer Dorfbewohn­er. Cate Blanchett erhielt den Preis der besten Hauptdarst­eller für Tár, Todd Fields Film über eine Stardirige­ntin hätte man durchaus auch weitere Ehrungen zugetraut.

Bei der Gala fehlte Jafar Panahi, der iranische Regisseur sitzt seit Juli im Gefängnis, weil er für seinen Kollegen Mohammad Rasoulof mutig Partei ergriffen hat. No Bears, seine Geschichte über den eigenen Status als verfemter Regisseur, erhielt den Spezialpre­is der Jury.

Äußerst erfolgreic­h erwies sich auch das österreich­ische Kino: Beide Filme wurden in ihren jeweiligen Sektionen ausgezeich­net. David Wagners engagierte­s, emphatisch­es Regiedebüt Eismayer über einen verkappten Homosexuel­len beim österreich­ischen Heer erhielt den Großen Preis der Settimana della Critica; gleich doppelt wurde Tizza Covis und Rainer Frimmels Vera über die Tochter des italienisc­hen Westernsta­rs Giuliano Gemma prämiert. Covi/Frimmel wurden verdient für ihre sensible Regie belohnt, der Vera Gemma ihre Würdigung als beste Darsteller­in mitverdank­t. (kam)

Newspapers in German

Newspapers from Austria