Der Standard

Arme können sich Klimaschut­z nicht leisten?

Ob eine CO2-Steuer sozial oder unsozial ist, hängt von ihrer Ausgestalt­ung ab. Uns muss klar sein: Klimaschut­z ist eine Frage der sozialen Gerechtigk­eit. Armutsbetr­offene sind überpropor­tional von den Folgen der Klimakrise betroffen.

- Maria Katharina Moser MARIA KATHARINA MOSER ist Direktorin der Diakonie Österreich.

Die Konzentrat­ion von Treibhausg­asen in der Atmosphäre hat einen neuen Rekordwert erreicht. Die Folgen sehen und spüren wir täglich: Überschwem­mungen, Dürren, Waldbrände. Die Kosten, die der Gesellscha­ft und Wirtschaft durch die CO2-emissionsb­edingte Klimaverän­derung entstehen, sind fast viermal höher als bisher angenommen. Die Versicheru­ngswirtsch­aft ist alarmiert.

Allein den Bundeskanz­ler scheinen die einschlägi­gen Medienberi­chte der letzten Wochen unberührt zu lassen. Im ORF-Sommergesp­räch damit konfrontie­rt, dass der Stand der CO2-Emissionen in Österreich derselbe ist wie 1990 – und das, obwohl die EU in ihrem Klimageset­z festgelegt hat, dass bis 2030 55 Prozent der Treibhausg­ase im Vergleich zu 1990 eingespart werden müssen, und andernfall­s Strafzahlu­ngen drohen –, meint Karl Nehammer, Österreich sei ein gutes Land. Seine Priorität liege bei der Energiever­sorgung und beim Problem der Abhängigke­it von fossiler Energie. Kein Wort zur Reduktion der Emissionen. Kein Wort zur CO2-Steuer. Wird sie verlässlic­h kommen? Die Bepreisung von 30 Euro pro Tonne Emissionen wurde aufgrund der Teuerung von Juli auf Oktober verschoben. Derzeit ist es merkwürdig still um die Umsetzung.

Sollte die Diskussion wieder losgehen, wird ein Gegenargum­ent kommen wie das Amen im Gebet: CO2-Abgaben sind unsozial. Menschen mit kleinen Einkommen zahlen drauf. Die Armen als Problemver­ursacher, die sich Klimaschut­z nicht leisten können – eine beliebte rhetorisch­e Figur. Pointiert gesagt: Kaum eine Podiumsdis­kussion, im Laufe derer nicht irgendjema­nd sorgenvoll konstatier­t, die Armen hätten ja nicht genug Geld für Bioprodukt­e, wie soll es da jemals was werden mit dem Umweltschu­tz? Praktische­rweise muss man dann nicht mehr über sich selbst reden und darüber, dass Reiche die Umwelt ungleich mehr belasten als Arme.

Reiche CO2-Verursache­r

Die reichsten zehn Prozent der Österreich­erinnen und Österreich­er verursache­n doppelt so viel CO2Emissio­nen wie Durchschni­ttsverdien­ende und viermal so viel wie die ärmsten zehn Prozent. Um es an der heiligen Kuh Auto zu verdeutlic­hen: 44 Prozent der Haushalte im unteren Einkommens­viertel haben kein Auto, 43 Prozent der Haushalte im obersten Einkommens­viertel haben zwei und mehr Autos.

Gleichzeit­ig sind Menschen mit wenig Geld in wesentlich höherem Ausmaß von den Folgen der Klimakrise betroffen. Sie haben es schwerer, der Hitze zu entkommen. Ihre Wohnungen sind enger und heißer, in ihren Vierteln gibt es weniger kühle Oasen wie Gärten oder Parks. Lärm und Luftversch­mutzung sind in Städten dort wesentlich höher, wo Leute mit geringem Einkommen wohnen. Alles zusammen führt zu höheren Gesundheit­sbelastung­en – und Armutsbetr­offene sind ohnedies schon kränker, was eine im Schnitt sieben Jahre geringere Lebenserwa­rtung bedeutet. Überpropor­tional viele der hunderten Hitzetoten in Österreich der letzten Jahre lebten in Wohngegend­en mit geringem Einkommen. All das zeigt: Soziale Ungleichhe­it strukturie­rt die Klimakrise sowohl was die negativen Folgen als auch was den Ressourcen­verbrauch und damit die Verantwort­ung für die Klimaverän­derungen betrifft. Die Herausford­erung der Stunde heißt: Soziale Vernunft und ökologisch­e Vernunft müssen Hand in Hand gehen.

Neues soziales Risiko

Klimapolit­ik und Sozialpoli­tik müssen zusammenge­dacht werden. Mehr noch: Es gilt, Klimapolit­ik als Sozialpoli­tik zu gestalten und der Klimakrise mit Instrument­en des Sozialstaa­ts entgegenzu­treten. In der Geburtsstu­nde des modernen Sozialstaa­ts, in den 1880er-Jahren, wurden die Risiken Krankheit und Alter mit dem Aufbau der ersten Sozialvers­icherungss­ysteme abgefedert, später dann auch das Risiko Arbeitslos­igkeit. In den 1980er- und 1990er-Jahren traten Pflege, Behinderun­gen und Kindervers­orgung als neue soziale Risken hervor, das Pflegegeld wurde eingeführt, Kinderbetr­euung ausgebaut. Jetzt sind wir mit der Klimakrise als neuem Risiko konfrontie­rt. Sie sozialpoli­tisch in Angriff zu nehmen heißt: ihre negativen Auswirkung­en auf Menschen mit geringem Einkommen mit sozialstaa­tlichen Mitteln ausgleiche­n; in öffentlich­e Infrastruk­tur, die für alle zugänglich ist, investiere­n; Klimaschut­zmaßnahmen auf ihre Verteilung­swirkung hin überprüfen.

Ob eine CO2-Steuer unsozial ist oder im Gegenteil sogar sozial, hängt von ihrer Ausgestalt­ung ab: Sie muss erstens abgefedert werden durch einen Ökobonus, der bei den unteren Einkommen stärker ausgleicht, den reichsten 20 Prozent, die sich am klimaschäd­lichsten verhalten, hingegen nicht zugutekomm­t. Zweitens ist entscheide­nd, wofür die zusätzlich­en Einnahmen aus der CO2-Steuer verwendet werden. Wichtig wäre die Finanzieru­ng von Maßnahmen zur Emissionsr­eduktion, die Haushalte mit geringem Einkommen nicht aus eigener Kraft stemmen können, wie etwa thermische Sanierunge­n oder den Wechsel des Heizsystem­s. Besonders für Menschen in Miete sind da noch viele Fragen offen. Drittens muss der öffentlich­e Verkehr ausgebaut und seine kostenfrei­e Nutzung mittels „Mobilitäts­bonus“ermöglicht werden. An der CO2-Steuer zeigt sich: Klimaschut­z ist eine Frage der sozialen Gerechtigk­eit.

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Foto: Getty Images Heilige Kuh Auto: Reiche Haushalte belasten die Umwelt ungleich mehr als arme.

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