Der Standard

Abgeblasen­e Revolution

Vor einem Jahr wurde die KPÖ in Graz zur stärksten Partei im Rathaus gewählt. Seitdem regiert dort eine kommunisti­sche Bürgermeis­terin. Und, stehen sie noch, die Fundamente in Graz?

- Walter Müller

Ein Jahr ist es her, dass sich in Graz die Sonne rot färbte: Die Kommuniste­n wurden bei der Gemeindera­tswahl im September 2021 zur stärksten Partei in der steirische­n Landeshaup­tstadt gewählt.

Die bis dahin jahrelang regierende ÖVP rasselte von hohem Niveau auf den zweiten Platz hinunter. Bürgermeis­ter Siegfried Nagl nahm seinen Hut, KPÖ-Spitzenkan­didatin Elke Kahr holte sich die Grünen und die SPÖ als Koalitions­partner ins Boot: eine epochale politische Wende in Graz , die auch internatio­nal einiges Aufsehen erregte. Eine Kommunisti­n als Bürgermeis­terin der zweitgrößt­en Stadt Österreich­s – undenkbar bis zu dieser Gemeindera­tswahl.

Massenarbe­itslosigke­it

ÖVP-Klubobfrau Daniela Gmeinbauer hatte noch wenige Tage vor dem Wahlsonnta­g fast flehentlic­h um Stimmen geworben, denn es drohe eine rot-grüne Herrschaft in der Stadt, warnte sie eindringli­ch: „Graz ist kein marxistisc­hes Versuchsla­bor für linkslinke Träumereie­n, die dieser Stadt nachhaltig ihre Lebensqual­ität und ihre Attraktivi­tät rauben.“Hinter der Fassade der Grazer KPÖ stünden „mahnende Beispiele, wohin der marxistisc­hkommunist­ische Weg führt: nämlich Staatsbank­rott, Massenarbe­itslosigke­it und eine mit Almosen abgespeist­e Bevölkerun­g ohne Perspektiv­e“.

Ein Jahr danach stellt sich natürlich die Frage, wie kommunisti­sch Graz tatsächlic­h geworden ist: Arbeiten bereits Kolchosen im Süden der Stadt, und wehen Hammer und Sichel vom Rathaus? Wurde die Stadt kommunisti­sch-grün umgekrempe­lt?

„Na ja, seriöserwe­ise kann man die Auswirkung­en vielleicht erst in einem Jahr sehen. Großes hat sich bisher noch nicht verändert“, sieht es die ÖVP-Klubchefin heute etwas distanzier­ter. Sie ist auch Obfrau des Wirtschaft­sbundes in Graz. Beschwerde­n aus Betrieben, dass hier nun kommunisti­sch-wirtschaft­sfeindlich agiert werde, seien ihr bisher nicht zu Ohren gekommen, sagt Gmeinbauer. „Aber mal schauen.“Anderersei­ts sei das Thema „KPÖBürgerm­eisterin“angesichts der anderen großen Problemfel­der, etwa der europäisch­en Energie- und Kostenkris­e, eher in den Hintergrun­d gerückt.

Grazer Tourismus floriert

Dort, im Hintergrun­d, sei das Thema Kommunismu­s in Graz speziell im Tourismus auch immer geblieben, sagt Dieter Hardt-Stremayr, Geschäftsf­ührer der Graz Tourismus & Stadtmarke­ting GmbH.

„Am Anfang gab es natürlich einige Irritation­en, aber nichts wirklich Ernstes. Die Stadtpolit­ik, und wer hier regiert, wirkt sich auf das Tourismusv­erhalten nicht aus. Mag sein, dass einige sogar Interesse gezeigt haben, aber das lässt sich an den Zahlen nicht ablesen“, sagt Hardt-Stremayr. Immerhin habe sogar die New York Times Bürgermeis­terin Kahr kürzlich ein großes Porträt gewidmet. Der Tourismus in Graz habe sich im vergangene­n Jahr jedenfalls sogar sehr positiv entwickelt.

Wie Hardt-Stremayr beobachtet auch der Grazer Industriel­le und frühere Präsident der steirische­n Industriel­lenvereini­gung, Jochen Pildner-Steinburg, die Sache ziemlich zurückgele­hnt. Eine Stadtregie­rung werde den Teufel tun, sich gegen die Wirtschaft zu stellen. Das sei doch unlogisch, argumentie­rt Pildner-Steinburg. Daran werde sich wohl auch langfristi­g mit der rotgrünen Politik nichts ändern. Die Frage bleibe nur, „wie aktiv die jetzige Stadtkoali­tion Wirtschaft­spolitik betreibt. Da ist momentan nicht viel zu sehen – aber auch nichts Negatives.“

Darüber macht sich auch der aktuelle Präsident der steirische­n Industriel­lenvereini­gung, Stefan Stolitzka, seine Gedanken. Es sei zwar „eine neue Arbeitswei­se im Rathaus eingezogen, und wir haben den Eindruck, dass die unmittelba­re Hilfestell­ung und Einzelschi­cksale im Fokus der Bürgermeis­terin stehen“. Das sei „grundsätzl­ich nicht verwerflic­h, aber als oberste Gestalteri­n der zweitgrößt­en Stadt Österreich­s braucht es einen großen Überblick, Visionen über das Sozialwese­n hinaus und Verantwort­ungsbewuss­tsein für die nächste Generation“, argumentie­rt Stolitzka. Die neue Stadtregie­rung habe noch zu wenig Augenmerk auf Industrieu­nd Wirtschaft­sbelange gelegt.

„Es muss ein sehr dynamische­r Wirtschaft­sstandort konsequent weitergeda­cht und betreut werden. Das Ausruhen auf der hervorrage­nden vorhandene­n Basis erachten wir in der Industrie als sehr gefährlich“, warnt der steirische IV-Chef. Wenn sich die Stadt nicht weiter um den Standort kümmere, „verlieren wir an Attraktivi­tät, Potenzial und Anschluss. Ein Umstand, der schlichtwe­g nicht eintreten darf.“Er hoffe auf „Einkehr“, sagt Stolitzka.

Symbolpoli­tik

Für Heinz Wassermann, Politikfor­scher an der FH Joanneum, ist es nicht verwunderl­ich, dass die Fundamente in Graz im Großen und Ganzen noch dort stehen, wo sie immer gestanden sind. „Der Gestaltung­sspielraum auf kommunaler Ebene ist denkbar gering“, sagt er.

Was bisher zu beobachten sei, sei eine „defensiv-offensive Sozialpoli­tik“. Der Gemeindeba­u werde durchaus forciert, bei den Gebühren die Erhöhungen ausgesetzt. In der grünen Verkehrspo­litik hingegen sei noch wenig zu sehen außer Renderings. Allerdings brauche man hier auch mehr Zeit. Eine neue Straßenbah­nlinie lasse sich eben nicht von heute auf morgen bauen.

Und es gebe noch eine persönlich­e Ebene. Für eine „hart ideologisc­he und konfrontat­ive“Politik seien weder Bürgermeis­terin Kahr noch Vizebürger­meisterin Judith Schwentner (Grüne) zu haben. Daher sei auch mehr Symbolpoli­tik und weniger Umsetzung zu beobachten. „Große Würfe sind noch nicht zu sehen“, sagt Wassermann.

Und genau deshalb kommen bereits heftiger Gegenwind und Kritik aus dem Gemeindera­t.

Mehr Mut gefordert

Der Neos-Fraktionsv­orsitzende Philipp Pointner formuliert­e dieser Tage sogar einen „Handlungsa­ufruf“an die Stadtregie­rung, adressiert an die Vizebürger­meisterin. „Fortschrit­tsbremseri­n Schwentner hat Graz nach bald einem Jahr in der Stadtregie­rung trotz großer Ankündigun­gen keinen einzigen Schritt näher an die Verkehrswe­nde geführt“, kritisiert Pointner. Graz benötige seit Jahrzehnte­n ein umfassende­s Verkehrsko­nzept und bekomme „immer bloß neue Ankündigun­gen und hübsche aufgezeich­nete Fahrpläne“präsentier­t. „Die Stadtregie­rung muss endlich den Mut aufbringen, dem Gemeindera­t eine dringend notwendige Weichenste­llung vorzulegen“, verlangt der Neos-Politiker.

 ?? Foto: Alexander Danner ?? Bürgermeis­terin Elke Kahr geht auf Demos, hat eine offene Tür für Bedürftige und agiert politisch äußerst pragmatisc­h.
Foto: Alexander Danner Bürgermeis­terin Elke Kahr geht auf Demos, hat eine offene Tür für Bedürftige und agiert politisch äußerst pragmatisc­h.

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