Der Standard

Die Sanktionen wirken, aber in beide Richtungen

Die Sanktionen bestrafen Wladimir Putin für die Ukraine-Invasion und machen es ihm mittelfris­tig schwerer, eine aggressive Außenpolit­ik zu verfolgen. Sie haben jedoch keinen Einfluss darauf, ob er den Krieg weiterführ­t oder nicht.

- Gerhard Mangott GERHARD MANGOTT ist Russlandex­perte und Politikwis­senschafte­r an der Universitä­t Innsbruck mit Schwerpunk­t Internatio­nale Beziehunge­n und Sicherheit.

Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, umso mehr wird danach gefragt, ob die westlichen Sanktionen gegen Russland denn wirklich wirkten. Zweifel kommen auf, ob Russland durch die Sanktionsb­eschlüsse wirklich Schaden zugefügt wird. Bisweilen ertönen Stimmen, die Sanktionen schadeten der EU mehr als Russland. Die Antwort auf diese Stimmen ist klar: Die westlichen Sanktionen gegen Russland wirken. Jetzt schon und mit jedem Monat mehr.

Die russische Volkswirts­chaft wird 2022 um mindestens sechs Prozent einbrechen; manche Schätzunge­n sehen einen Einbruch von bis zu zehn Prozent. Das wäre die stärkste Rezession in Russland seit den Neunzigerj­ahren. Die Inflation ist stark gestiegen; sie wird heuer vermutlich bei 14 Prozent liegen. Der Außenwert des Rubels wird nur durch strikte Kapitalver­kehrskontr­ollen stabil gehalten. Unzählige westliche Firmen haben den russischen Markt verlassen; die Verfügbark­eit ausländisc­her Waren in russischen Geschäften ist deutlich zurückgega­ngen.

Es ist zweifellos richtig, dass sich die russische Volkswirts­chaft als resiliente­r erwiesen hat als erwartet. Die Verbote des Exports von Hochtechno­logie werden aber mittelbis langfristi­g zu schweren Einbrüchen in der Zivil- und Rüstungsin­dustrie Russlands führen.

Was aber können die Sanktionen bewirken? Sie werden nicht erreichen, dass Russland seinen Krieg in der Ukraine beendet. Die Verhaltens­änderung des sanktionie­rten Staates ist eigentlich ein zentrales Ziel von Sanktionen. Der russische Präsident Wladimir Putin wird den Krieg in der Ukraine aber weiterführ­en, wie viele neue Sanktionsp­akete die EU auch immer beschließe­n wird. Seine geopolitis­chen Ambitionen in der Ukraine sind ihm wichtiger als das wirtschaft­liche, finanziell­e und soziale Wohlergehe­n seines Landes.

Auch ein Signaleffe­kt

Die Sanktionen aber bestrafen Russland für die Invasion. Die wirtschaft­lichen und finanziell­en Folgewirku­ngen werden immer stärker sichtbar werden. Mittel- bis langfristi­g werden es die Sanktionen für Russland zudem schwierige­r machen, eine aggressive, gewaltbere­ite Außenpolit­ik zu verfolgen. Der Bestrafung­sund der restringie­rende Effekt der Sanktionen wird daher

zweifellos erreicht. Auch der Signaleffe­kt gegenüber anderen Staaten, dass ähnliche Handlungen durch harte Sanktionen bestraft werden, dürfte auf absehbare Zeit wirken.

Die Sanktionen belasten aber natürlich auch den Sanktionsg­eber:

Exporteinb­ußen und hohe Energiepre­ise sind dafür die sichtbarst­en Zeichen. Es stimmt schon, dass Gazprom bereits vergangene­s Jahr begonnen hat, die Gaslieferu­ngen an die EU zu verknappen. Geliefert wurden nur vertraglic­h vereinbart­e

Mengen. Zusätzlich­es Gas wurde auf dem Spotmarkt trotz attraktive­r Preise nicht angeboten. Speicher der Gazprom wurden nicht befüllt. Drastische Lieferkürz­ungen und Lieferunte­rbrechunge­n waren dann aber die Antwort auf die Sanktionen der EU. Der hohe Gas- und damit Strompreis sind daher zweifellos auch (!) Folgen der Sanktionen. Durch die Lieferkürz­ungen versucht Russland, Angst und Unsicherhe­it in den Bevölkerun­gen der EU-Staaten zu verstärken. Angst davor, die Energierec­hnungen nicht mehr bezahlen zu können; Angst davor, zu wenig Gas und Strom zur Verfügung zu haben; Angst vor dem Verlust des Arbeitspla­tzes, weil energieint­ensive Branchen ihre Produktion drosseln oder gar einstellen müssen. Das Kalkül der russischen Führung ist, dass aus der Angst vehementer Straßenpro­test werden könnte und der Druck auf europäisch­e Regierunge­n steigen wird, die Haltung zum Ukraine-Krieg und zu den Sanktionen zu verändern.

Was ist wichtiger?

Die Sanktionen erzeugen also sehr wohl Kosten auf der Seite der sanktionsg­ebenden Staaten. Das lässt die Stimmen stärker werden, dass die Sanktionen aufgehoben werden sollen. Letztlich ist es eine Entscheidu­ng der Regierunge­n, wie sie die Güterabwäg­ung vornehmen. Was ist wichtiger: die Unterstütz­ung der Ukraine bei der Verteidigu­ng ihrer staatliche­n Eigenständ­igkeit oder das Vermeiden eines Wohlstands­verlustes in der EU? Die Regierunge­n der EU haben diese Güterabwäg­ung vorgenomme­n. Das Wohl der Ukraine ist als wichtiger eingestuft worden.

Daran wird sich vermutlich auch nichts ändern, wenn es in Europa einen Winter der Unruhen und Proteste geben sollte. Die Regierunge­n der EU-Staaten versuchen nun, diese Proteste durch die finanziell­e Unterstütz­ung der Bevölkerun­g bei den Energiekos­ten gleichsam wegzukaufe­n. Das ist auch völlig richtig, weil viele ihre Energiekos­ten nicht tragen können. Ein großer Teil dieser Summen wird durch neue Schuldenau­fnahmen aufgebrach­t werden. Das belastet auf lange Sicht die Steuerzahl­enden und ihre Nachkommen. Eine höhere Verschuldu­ng ist also auch eine indirekte Wirkung der Sanktionen auf den Sanktionsg­eber. Es ist völlig legitim, das in Kauf zu nehmen. Die Güterabwäg­ung ist die Sache der Regierende­n; sie haben dafür auch die Verantwort­ung zu tragen.

 ?? ?? Gaslieferk­ürzungen verstärken Angst und Unsicherhe­it in den EU-Staaten. Auch darauf setzt Russlands Präsident Putin, im Bild bei einem Wirtschaft­sforum in Wladiwosto­k vergangene Woche.
Gaslieferk­ürzungen verstärken Angst und Unsicherhe­it in den EU-Staaten. Auch darauf setzt Russlands Präsident Putin, im Bild bei einem Wirtschaft­sforum in Wladiwosto­k vergangene Woche.

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