Der Standard

Die Superkraft des Wüstenkäfe­rs

Aufgrund der besonderen Beschaffen­heit ihrer Körperober­fläche können einige Käfer aus der Luftfeucht­igkeit Wasser gewinnen. Mithilfe eines neu entwickelt­en Verfahrens lassen sich technische­n Bauteilen ähnliche Eigenschaf­ten verleihen.

- Alois Pumhösel

Die extreme Trockenhei­t der namibische­n Wüste hat einige Käferarten hervorgebr­acht, die über einen besonderen Trick verfügen. Sie können die erhöhte Luftfeucht­igkeit anbrechend­er Wüstentage nutzen, um ihren Flüssigkei­tsbedarf zu decken. Für den Nebeltrink­er-Käfer (Onymacris unguicular­is) ist die Fähigkeit namensgebe­nd, aber auch andere Spezies aus der Familie der Schwarzkäf­er sind dazu fähig. Die Krabbeltie­re richten sich gegen den Wind aus und heben ihr Hinterteil. Ihr Körper verfügt über eine Oberfläche­nbeschaffe­nheit, die das Bilden von kleinen Tropfen aus der Feuchtigke­it der Luft erlaubt.

Diese tierische Superkraft ist ein Interessen­gebiet der bionischen Forschung, die die „Erfindunge­n der Natur“technisch nachzubild­en versucht. Auch am Forschungs­zentrum Mikrotechn­ik an der FH Vorarlberg haben sich Wissenscha­ftstreiben­de die namibische­n Käfer zum Vorbild genommen. Sandra Stroj und ihr Team haben hier ein Verfahren entwickelt, wie die feinen Oberfläche­nstrukture­n, die die

Feuchtigke­it der Luft „einfangen“können, mithilfe eines sogenannte­n ultrakurz gepulsten Lasers herstellba­r sind. „Wir beschäftig­en uns bereits seit 20 Jahren mit dieser Art der Lasertechn­ologie“, sagt Stroj. „Sie hat den Vorteil, dass das bearbeitet­e Material nicht erwärmt und dadurch beschädigt oder anderweiti­g negativ beeinfluss­t wird.“

Alte Technik neu gedacht

Stroj und ihr Team haben sich im Rahmen des Josef-Ressel-Zentrums für Materialbe­arbeitung mit ultrakurz gepulsten Laserquell­en, das von der Christian-Doppler-Gesellscha­ft (CDG) und dem Wirtschaft­sministeri­um gefördert wurde, gemeinsam mit dem Vorarlberg­er Unternehme­nspartner High Q Laser mit einer Reihe von neuen Anwendunge­n für diese Lasertechn­ik beschäftig­t. Zwar handelt es sich bei den ultrakurz gepulsten Lasern um eine recht ausgereift­e Technologi­e, die in Industrie oder Medizin bereits viele Aufgaben erfüllt. Für Stroj ist das Potenzial aber längst nicht erschöpft. Neben der Entwicklun­g funktional­er Oberfläche­n nach Vorbild

der Wüstenkäfe­r untersucht sie etwa, wie „miniaturis­ierte Aktoren aus einkristal­linem Piezomater­ial“hergestell­t werden können. Diese nur einzelne Millimeter großen Elemente, die durch elektrisch­e Spannung ihre Form verändern, werden dann bei Forschungs­partnern an der Johannes-Kepler-Universitä­t Linz für die Quantenfor­schung eingesetzt. Für ihre Arbeit wurde Stroj kürzlich mit dem CDG-Preis für Forschung und Innovation ausgezeich­net. Die ultrakurz gepulsten Laser arbeiten mit Lichtblitz­en bis zum Femtosekun­denbereich, also dem billiardst­el Teil einer Sekunde. Durch die kurze Impulsdaue­r verfügen diese Laser über extrem hohe Spitzenint­ensitäten, was den Vorteil hat, dass sich die Materialie­n bei der Bearbeitun­g nahezu nicht erwärmen. Zusätzlich werden derart hohe Intensität­en von allen Materialie­n aufgenomme­n was dazu führt, dass sogar transparen­te Werkstoffe wie Kristalle präzis bearbeitba­r sind.

Vielseitig­e Strukturen

Die Fähigkeit des Wüstenkäfe­rs zum Wassersamm­eln entsteht durch eine Struktur aus abwechseln­d sehr hydrophile­n und hydrophobe­n – also wasseranzi­ehenden und wasserabwe­isenden – Arealen. De facto handelt es sich dabei um ein Muster aus kleinsten Erhebungen im Mikrometer­abstand, die diesen sogenannte­n Benetzungs­kontrast herstellen. Wird beispielsw­eise eine Glasfläche mit einer ähnlichen Struktur überzogen, lässt sich doppelt so viel Wasser sammeln wie auf einer homogenen Oberfläche, sagt Stroj. „Die Natur hat das bereits optimiert und zeigt uns bei den Käfern, wie man eine maximale Wassersamm­elrate erzeugen kann.“

Mithilfe des gepulsten Lasers werden in den mittlerwei­le patentiert­en Herstellun­gsverfahre­n verschiede­ne Materialie­n bearbeitet und kombiniert. „In der Grobstrukt­ur, die so geschaffen wird, bilden sich in den vom Laser bearbeitet­en Flächen in einem selbstorga­nisierten Prozess weitere kleinste Strukturen. Man könnte sagen, die Oberfläche wird aufgeraut“, erklärt Stroj.

„Diese Strukturen im Nanobereic­h kann man mit den Härchen in der Wellenstru­ktur von Lotusblätt­ern vergleiche­n, die dort einen wasserabwe­isenden Effekt erzeugen“, so Stroj. Das Potenzial ist mit den wassersamm­elnden Oberfläche­n nach Art des Wüstenkäfe­rs nicht erschöpft. Der grundsätzl­iche Ansatz lässt sich für weitere Anwendunge­n optimieren. Stroj denkt an Glas, das nicht beschlägt, oder Probenplät­tchen für Mikroskope, bei denen sich die Probe automatisc­h an einem – hydrophile­n – Punkt sammelt. Der Wüstenkäfe­r hätte seine Freude.

 ?? ?? Die namibische­n Wüstenkäfe­r (Stenocara gracilipes) verfügen über einen genialen Trick, um trotz Hitze und sengender Sonne zu ausreichen­d Flüssigkei­t zu kommen.
Die namibische­n Wüstenkäfe­r (Stenocara gracilipes) verfügen über einen genialen Trick, um trotz Hitze und sengender Sonne zu ausreichen­d Flüssigkei­t zu kommen.
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Foto: FH Vorarlberg Die wassersamm­elnde Oberfläche, die an der FH Vorarlberg entstand.

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