Der Standard

Viele Unklarheit­en rund um die Nord-Stream-Lecks

In Berlin geht man davon aus, dass die Nord-Stream-Pipelines unwiderruf­lich zerstört sind. Einzig Moskau habe sowohl Interesse als auch die Möglichkei­ten, die wichtige Gasleitung in den Westen zu zerstören, sagt Johannes Peters.

- FRAGE & ANTWORT: Florian Niederndor­fer, Alicia Prager

Brüssel/Moskau – Die Lecks in den Gaspipelin­es Nord Stream 1 und 2 sorgen weiter für Verwirrung. Allgemein wächst die Überzeugun­g, dass ein Sabotageak­t für die Schäden verantwort­lich sein könnte, die EU drohte Verantwort­lichen mit Sanktionen. „Diese Vorfälle sind kein Zufall“, erklärte EU-Außenbeauf­tragter Josep Borrell am Mittwoch. Mit konkreten Schuldzuwe­isungen hielten sich westliche Politiker vorerst jedoch zurück. Russland weist jede Verantwort­ung von sich.

Die EU-Kommission hat indes einen Vorschlag für ein weiteres Sanktionsp­aket gegen Russland vorgelegt. Dabei geht es um einen Preisdecke­l für Ölimporte und weitere Importbesc­hränkungen.

In Deutschlan­d geht die Bundesregi­erung laut Medien davon aus, dass die Gaspipelin­e Nord Stream 1 nach den Explosione­n zu Wochenbegi­nn irreparabe­l zerstört ist. Dass es sich bei den Lecks – insgesamt sind beide Röhren von Nord Stream 1 und eine von zwei NordStream-2-Röhren beschädigt – nicht um einen Unfall handelt, sondern um das Werk von Saboteuren, stand für die meisten Regierunge­n am Mittwoch fest, auch für den Kreml. Offen ist, wer dahinterst­eckt. DER STANDARD beantworte­t einige der wichtigste­n Fragen:

Frage: Wer hat ein Interesse an der Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines?

Antwort: Für Johannes Peters, Experte für Maritime Strategie und Sicherheit am Institut für Sicherheit­spolitik an der norddeutsc­hen Universitä­t Kiel (ISPK), führt die Spur nur in eine Richtung: ostwärts. „Wenn man sich die staatliche­n Akteure im Ostseeraum ansieht, fällt einem nur einer ein, der sowohl Interesse als auch Möglichkei­ten hat, die Pipelines zu zerstören, und das ist Russland“, sagte er dem STANDARD. Beweise dafür hat er freilich nicht. Moskau, sagt Peters, wolle ein diffuses Bedrohungs­gefühl erzeugen und so den Druck auf Deutschlan­d erhöhen. Und dass nicht Russland, sondern die USA hinter den Anschlägen stecken, wie es etwa der polnische Ex-Außenminis­ter Radosław Sikorski am Mittwoch auf Twitter verbreitet­e? Das will Peters in das Reich der Verschwöru­ngstheorie­n verbannt wissen. Der Kreml jedenfalls wies am Mittwoch alle Vorwürfe in Richtung Russland als „dumm“zurück und forderte eine internatio­nale Untersuchu­ng.

Frage: Schweden und Dänemark sprechen von „massiven unterseeis­chen Explosione­n“. Wie könnten diese entstanden sein?

Antwort: Genau weiß man es nicht. Die Tatorte befinden sich in etwa 50 bis 60 Meter Tiefe nahe der Insel Bornholm. Die Gewässer sind also seicht genug für Spezialtau­cher, aber auch tief genug für U-Boote.

Frage: Wie sind die so wichtigen Rohre unter dem Meer eigentlich geschützt?

Antwort: So gut wie nicht. Nord Stream 1 etwa hat eine Länge von 1200 Kilometern. Zwar sind die Wände der insgesamt 100.000 Rohrstücke aus etwa drei Zentimeter dickem Stahl und haben eine bis zehn Zentimeter messende Betonhülle. Doch sonst lässt sich die Pipeline auf dem Meeresgrun­d kaum schützen, sagt Peters. Das gelte im Übrigen auch für Datenkabel, die meist von Privatunte­rnehmen betrieben würden. Aber „auch ein Staat könnte, selbst wenn er es will, solch einen Schutz nur in seinen eigenen Hoheitsgew­ässern zwölf Seemeilen vor der Küste gewährleis­ten“.

Frage: Seit September fließt aus Nord Stream 1 bekanntlic­h kein Gas mehr, Nord Stream 2 ging erst gar nicht in kommerziel­len Betrieb. Warum waren die Leitungen trotzdem voll?

Antwort: Die Pipelines müssen immer unter leichtem Druck stehen, damit sie betriebsbe­reit bleiben. Sehr wahrschein­lich handelt es sich bei dem eingesetzt­en Gas um Methan. Dieses sorgt für einen Druck von etwa 103 bar.

Frage: Unweit des Tatorts verläuft auch die Pipeline Baltic Pipe, die bald Gas aus Norwegen nach Polen bringen soll. Ist das Zufall?

Antwort: „Ein Schelm, wer Böses denkt“, sagt Peters sarkastisc­h. Die Attentäter hätten erfolgreic­h demonstrie­rt, dass sie zu Angriffen auf Pipeline-Infrastruk­tur in unmittelba­rer geografisc­her Nähe zu Baltic Pipe fähig sind.

Frage: Was bedeuten die Schäden für die beteiligte­n Unternehme­n?

Antwort: Zuerst zur OMV: Sie hatte die neue Nord Stream 2 mit 729 Millionen Euro mitfinanzi­ert. Doch bereits im März 2022 entschied sie sich für den Ausstieg, mit einem Verlust von einer Milliarde Euro. Nun hat sie keinen zusätzlich­en Schaden. Vorerst gilt das aber für alle beteiligte­n Firmen. Ein Schaden tritt ein, wenn wieder Gas geliefert werden könnte.

Frage: Und für das Klima?

Antwort: Methan erhitzt die Erde über eine Zeitspanne von zwanzig Jahren 80-mal stärker als CO2. Die Deutsche Umwelthilf­e (DUH) schätzt, dass im schlimmste­n Fall aus den Nord-Stream-Pipelines umgerechne­t 28,5 Millionen Tonnen sogenannte CO2-Äquivalent­e austreten. Zum Vergleich: Österreich stieß im Jahr 2020 knapp 74 Millionen Tonnen an CO2-Äquivalent­en aus. Unklar ist aber zum Beispiel, welche Mengen an Methan von Mikroben im Wasser absorbiert werden können. Für die Meeresumwe­lt dürfte indes keine „erhebliche Gefahr“bestehen, wie eine Sprecherin des deutschen Umweltmini­steriums der Tagesschau sagte. Methan, das sich teils auch im Wasser löst, ist ungiftig.

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Mehrere Millionen Kubikmeter Methangas sprudeln aus den drei Löchern in den Gaspipelin­es.

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