Der Standard

Merz regt mit „Sozialtour­ismus“-Sager auf

CDU-Chef muss Kritik an Ukrainern zurücknehm­en – Asyl für russische Deserteure

- Birgit Baumann aus Berlin

Es dauerte ein bisschen, aber dann hatte Friedrich Merz das Bedürfnis, etwas klarzustel­len. „Ich bedaure die Verwendung des Wortes ,Sozialtour­ismus‘. Das war eine unzutreffe­nde Beschreibu­ng eines in Einzelfäll­en zu beobachten­den Problems“, ist nun auf dem Twitter-Account des CDU-Chefs zu lesen.

Dennoch ist die Empörung über ihn in Deutschlan­d groß. „Absolut deplatzier­t“, kritisiert etwa FDPFraktio­nschef Christian Dürr und verweist auf die schwierige Lage von Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschlan­d geflüchtet sind: „Ich habe geflüchtet­e Frauen und Kinder getroffen, die teilweise unter Lebensgefa­hr zurück in die Ukraine fahren, um ihre Ehemänner oder Väter wiederzuse­hen.“

Merz hatte die Lage bei Bild-TV anders beschriebe­n und über Geflüchtet­e gesagt: „Wir erleben mittlerwei­le einen Sozialtour­ismus dieser Flüchtling­e: nach Deutschlan­d, zurück in die Ukraine, nach Deutschlan­d, zurück in die Ukraine.“Er spielte damit darauf an, dass Geflüchtet­e aus der Ukraine in Deutschlan­d jene Grundsiche­rung bekommen, die auch Sozialhilf­eempfänger erhalten. Sie sind damit bessergest­ellt als Asylwerber.

Auch in der Union war man über die Worte des Vorsitzend­en nicht glücklich. „Merz hat die übliche Methode der Rechtspopu­listen angewandt: erst Grenzen überschrei­ten, dann zurückrude­rn“, sagt Christian Bäumler, Vizevorsit­zender des Arbeitnehm­erflügels (CDA), „damit steht er sich selbst beim Weg ins Kanzleramt im Weg und schadet damit der Union.“

Thorsten Frei (CDU), der parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Unionsfrak­tion im Bundestag, erklärte, zu dem von Merz beschriebe­nen angebliche­n Phänomen lägen „keine entspreche­nden Zahlen vor“. Im Jahr 2013 war der Begriff „Sozialtour­ismus“in Deutschlan­d zum Unwort des Jahres erklärt worden.

Der Blick richtet sich in Deutschlan­d aber auch immer stärker auf russische Deserteure, die nach der Teilmobilm­achung in ihrem Land, nach Deutschlan­d flüchten könnten. Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD) machte klar, dass dies möglich ist: „Wer sich dem Regime von Präsident Wladimir Putin mutig entgegenst­ellt und deshalb in größte Gefahr begibt, kann in Deutschlan­d wegen politische­r Verfolgung Asyl beantragen.“

Im Bundesinne­nministeri­um weist man aber auch darauf hin, dass das Bundesamt für Asyl in jedem Einzelfall individuel­l prüft. Über einen Asylantrag werde nach persönlich­er Anhörung und nach Vorlage entspreche­nder schriftlic­her Nachweise entschiede­n.

Die meisten Russen kommen derzeit zunächst mit einem Touristenv­isum nach Deutschlan­d. Zwischen 1. März und 31. August wurden aber auch 989 Asylanträg­e von russischen Staatsbürg­ern erfasst.

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Foto: Imago/Contini CDU-Chef Friedrich Merz bekam viel Kritik zu hören.

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