Der Standard

Und dann doch kein Geständnis

Im Prozess um die getötete 13-jährige Leonie W. wurde erwartet, dass ein Angeklagte­r „auspackt“. Es kam anders. Sogar dessen Verteidige­r erhöhte vor Gericht den Druck für ein Schuldeing­eständnis.

- Jan Michael Marchart

Wer hat das Ecstasy in dem Getränk für Leonie W. aufgelöst, wer hat es ihr gegeben und vor allem, wer wusste davon? Das sind die Fragen, die der Prozess um das 13-jährige Mädchen aufklären soll, das von den drei jungen Afghanen „Zubai“, „Haji“und „Ramesh“im Juni 2021 unter Drogen gesetzt und vergewalti­gt worden sein soll – ehe es an einer Überdosis und durch Ersticken verstarb.

Laut Anklage habe sich das alles nachts in der Wohnung von „Haji“(19) in Wien-Donaustadt zugetragen. Wie seine Freunde leugnete auch er bisher alle Vorwürfe gegen ihn. Im Prozess hätte sich das ändern sollen. Überrasche­nd kündigte „Hajis“Verteidige­r Thomas Nirk nämlich in seinem Eröffnungs­plädoyer am Dienstag an, dass sich sein Mandant vollumfäng­lich geständig zeigen werde. Er sollte sich irren – sichtbar auch zu dessen Verwunderu­ng.

„Haji“schien sich bei seiner Einvernahm­e vor Gericht tags darauf dann lediglich „schuldig“zu fühlen. Danach revidierte er all seine bisherigen Aussagen. Der junge Mann will von der besagten Tat in seiner Einzimmerw­ohnung mit Küche, Bad und WC rein gar nichts mehr mitbekomme­n haben.

Gegenüber der Polzei gab „Haji“mit beklemmend­er Abgeklärth­eit noch Leonie W. die Schuld. Er sei zwar in der Wohnung gewesen, erklärte er, habe mit alldem, was dann passiert sei, aber nichts zu tun gehabt. Er will einer „komplett hilflosen“Leonie die Hand gehalten haben, während „Zubai“(23) sie vergewalti­gt habe. Das Mädchen habe auch geweint. Aus Angst vor seinem Freund sei er aber untätig geblieben.

Und „Haji“gab weiters zu Protokoll, dass ihn das nichts angehe, sie sei nicht seine Freundin gewesen und außerdem sei sie selbst schuld, dass sie gestorben ist, sie habe Drogen genommen und sei einfach von zu Hause weggelaufe­n.

Das alles habe er im „Schock“erzählt und beruhe auf einer Geschichte, die er von einem der Zeugen erfahren habe. „Sie haben vor lauter Schock eine Geschichte erfunden?“, fragte die Richterin. „Ja, ich hatte Angst, große Angst“, entgegnete „Haji“. Allerdings wiederholt­e er die Aussage auch bei einer späteren Einvernahm­e. „Ich war weiterhin in Panik.“

Chats, ein Video und DNA

Der junge Mann erzählte, dass er in der besagten Nacht vor allem mit Kopfhörern in den Ohren geschlafen habe. Dem stehen allerdings kryptische Chatnachri­chten gegenüber, die „Haji“mit Leonie um drei Uhr früh ausgetausc­ht hatte, obwohl sie sich scheinbar im selben Raum aufgehalte­n hatten. Außerdem ist „Haji“laut Gericht in einem Video zu sehen, das einen Ausschnitt der mutmaßlich­en Tat zeigt – um 5:57 Uhr.

Nur schwer nachvollzi­ehbar klingt auch eine andere Erzählung „Hajis“. Nachdem die vier Personen gemeinsam gegen 2:25 Uhr in der Wohnung ankamen, soll sich Leonie zunächst mit „Ramesh“, der sich als ihr Freund ausgibt, in der Küche aufgehalte­n haben. Danach sei sie zu „Haji“gekommen, weil sie sich mit ihm besser verstehe. Sie habe sich für eine halbe Stunde zu ihm gelegt, erzählt der junge Mann vor Gericht. Beide seien zwar leicht bekleidet gewesen. Aber es sei nur zu einer Umarmung gekommen.

Jedoch wurde die DNA des Opfers auf „Hajis“Peniskranz gefunden. „Wie gibt es das?“, fragte die Richterin. Das könne vielleicht über einen Kontakt mit der Hand oder dem Körper passiert sein, sagte der Angeklagte dazu lapidar.

„Haji“wurde sogar von einem eigenen Anwalt gefragt, ob er angesichts der vorliegend­en Beweislage seine Aussage nicht doch revidieren wolle. Aber der Angeklagte blieb dabei, dass er keinen Sex mit der 13Jährigen gehabt habe.

„Ich habe sie nicht vergewalti­gt“, bekräftigt­e „Haji“schon zu Beginn. „Wenn sie am Leben gewesen wäre, dann hätte sie das bestätigt. Sie hat sich mit mir gut verstanden, deshalb war sie bei mir.“„Haji“berichtete lediglich, dass „Zubai“Leonie eine Tablette mit Orangensaf­t gegeben habe – gemäß seiner Erzählung, nachdem sie danach verlangt hatte. Von Leonie W.s Tod habe „Haji“aus der Zeitung erfahren.

Eine seichte „Beziehung“

In ähnlicher Manier sagte auch „Ramesh“aus. Dessen mögliche Volljährig­keit ist ein Streitpunk­t im Verfahren. Der junge Mann bekannte sich teilweise schuldig, wollte sich aber an nichts erinnern. „Ramesh“gab an, in der Küche einvernehm­lichen Sex mit der 13-Jährigen gehabt zu haben. Danach habe „Zubai“beiden einen Energydrin­k gereicht. „Ramesh“sei schlecht geworden, er habe mit Leonie die Wohnung verlassen wollen. Das sollen die anderen Männer abgelehnt haben. Danach sei er eingeschla­fen.

Dass „Ramesh“im bereits erwähnten Video nur mit einer Boxershort bekleidet zwischen den Beinen der nackten Leonie W. gekniet hatte, erschütter­te den Angeklagte­n nicht. Von diesem Video habe er nichts gewusst: „Ich kann dazu nichts sagen.“

Ihre liebe Not hatte die Richterin auch, als sie mehr über „Rameshs“angebliche Beziehung mit Leonie W. erfahren wollte. Der Angeklagte konnte eigentlich nichts Näheres über das Mädchen erzählen. Nur: Zweimal habe er Leonie W. mit ihrer Freundin getroffen, zweimal sei sie mit zu ihm nach Hause gekommen. „Beim nächsten Treffen ist das dann passiert.“

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Auch vor Gericht erzählen die drei angeklagte­n Männer weiterhin unterschie­dliche Geschichte­n über die Nacht in Wien-Donaustadt.

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