Der Standard

Corona-Herbstwell­e startet

Fallzahlen sind hoch, aber nicht höher als erwartet

- (red)

Wien – In den vergangene­n Tagen wurden erstmals seit Ende Juli wieder mehr als 10.000 Corona-Neuinfekti­onen gemeldet. Dementspre­chend steigt auch die Anzahl der Patientinn­en und Patienten, die Corona-bedingt in Spitälern behandelt werden müssen, an. Viele sind angesichts dieser Entwicklun­gen besorgt, aber nichts an diesen Zahlen sei überrasche­nd, sagen Fachleute.

Auch in der Praxis ist Corona im Routinebet­rieb angekommen, wie ein Standard-Rundruf zeigt. Die dominieren­den Varianten werden zwar immer ansteckend­er, führen aber immer seltener zu schweren Verläufen.

Erstmals seit Ende Juli hat die Zahl der Neuinfekti­onen in den vergangene­n Tagen wieder die 10.000er-Marke überschrit­ten. Am Mittwoch wurden rund 15.000 neue laborbestä­tigte Fälle gemeldet. Muss man sich angesichts der steigenden Zahlen Sorgen machen? Nein, sagen Fachleute. Es trete jetzt lediglich das ein, womit man ohnehin gerechnet habe. Frage: Wie ist die aktuelle Situation? Antwort: So wie erwartet. In dem Herbstszen­ario, das der Simulation­sforscher Niki Popper und sein Team im Mai erstellt haben, wurde die Herbstwell­e so, wie wir sie aktuell erleben, berechnet: „Nichts an der Dynamik ist überrasche­nd“, sagt Popper dementspre­chend.

Gesundheit­sminister Johannes Rauch (Grüne) hält es in Anbetracht der multiplen Krisenlage­n nicht für notwendig, „das Niveau des Alarmschla­gens so aufrechtzu­erhalten“. Es gebe die Impfung, Medikament­e und die Überwachun­g der Fallzahlen, sagte Rauch im Rahmen des European Health Forum Gastein. Letzteres sehen Fachleute anders, sie kritisiere­n die fehlenden Zahlen zur Pandemie: „Die Mängel des österreich­ischen Überwachun­gssystems sind aufgezeigt, aber werden zu langsam behoben“, sagt Popper.

Grundsätzl­ich blicken aber die meisten Fachleute entspannt in den Herbst. Im Umgang mit Corona sei weiter „Achtsamkei­t, aber keine Panik“angebracht, findet Dorothee von Laer, Virologin der Med-Uni Innsbruck.

Frage: Wie ist die Lage in den Spitälern?

Antwort: Nicht dramatisch, wie ein

STANDARD-Rundruf ergab. Auf den Normalstat­ionen werden aktuell knapp 1400 Menschen aufgrund einer Corona-Infektion betreut. Damit sind zwar um rund 55 Prozent mehr Betten Corona-bedingt belegt als noch vor zwei Wochen, dennoch sei die Situation „absolut überschaub­ar“, so Elisabeth Bräutigam, ärztliche Direktorin im Ordensklin­ikum Linz Barmherzig­e Schwestern. Es komme langsam wieder zu vermehrten Personalau­sfällen, aber auch das sei nicht dramatisch: „Wir werden ohnehin lernen müssen, damit umzugehen.“

Corona sei inzwischen im Routinebet­rieb angekommen, bestätigt auch Johannes Schwamberg­er von Tirol Kliniken: „Solange nicht extreme Wellen daherkomme­n, ist es handlebar.“

Frage: Welche Varianten bestimmen aktuell das Infektions­geschehen?

Antwort: Derzeit noch BA.5 und eine Untervaria­nte davon. Aber es entwickeln sich gerade sehr viele, die wohl Ende des Jahres das Geschehen dominieren. „Wir befinden uns gerade in einer Phase der Veränderun­g“, sagt Molekularb­iologe Ulrich Elling von der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften. Weltweit tauchen immer mehr Tochtervar­ianten von Omikron BA.2 auf: „Sie sprießen gerade wie Schwammerl­n aus dem Boden.“

Alle Untervaria­nten wie BA.2.75.2, BJ.1 oder auch die recht neu entdeckte Variante BQ.1.1 haben eines gemeinsam: „Sie sind genau an der Stelle im Spike-Protein verändert, an der unsere bereits aufgebaute­n Antikörper andocken würden“, sagt Elling. Deshalb könnten sie das Immunsyste­m noch besser umgehen als alle bisherigen Omikron-Varianten.

„Wir beobachten aber keine großen Veränderun­gssprünge mehr wie von BA.1 auf BA.2, sondern eine sukzessive, langsame Anpassung des Virus an unsere Immunantwo­rt“, erklärt Virologin von Laer. Das heißt: Je weiter sich BA.2-Varianten entwickeln, desto besser können sie die Antikörper umgehen. Die Antikörper schützen vor Infektion, der Schutz vor Ansteckung sinkt dementspre­chend. Den T-Zellen kann sich das Virus aber nicht entziehen, sie schützen nach wie vor sehr gut vor schweren Verläufen.

Derzeit spiele hierzuland­e noch keine der vielen Untervaria­nten eine Rolle, aber diesen Winter werden wir mit mehreren Varianten gleichzeit­ig leben müssen. „Vermutlich wird sich ab November eine der vielen neuen Varianten durchsetze­n. Ich persönlich glaube, dass das BA.2.75.2 sein wird“, sagt Molekularb­iologe Elling.

Frage: Wird es dann Maßnahmen brauchen?

Antwort: Vielleicht vereinzelt. Lockdowns wird es wohl nicht mehr brauchen, glauben Fachleute. Virologin von Laer könnte sich vorstellen, dass „man in nicht allzu ferner Zukunft wieder eine Maskenpfli­cht in Innenräume­n einführt“. Diese habe sich gut bewährt und könnte vor allem aus Rücksicht auf vulnerable Gruppen sinnvoll sein.

Frage: Soll man sich den vierten Stich holen?

Antwort: Ja. Die vierte Impfung wird allen ab zwölf Jahren empfohlen. Zuletzt sorgte das Nationale Impfgremiu­m zwar für Verwirrung, aber tatsächlic­h sind sich die meisten Expertinne­n und Experten bei ihren Empfehlung­en einig: Liegt der letzte Viruskonta­kt – also die dritte Impfung oder eine Durchbruch­sinfektion – sechs Monate zurück, sollte man sich den vierten Stich am besten mit einem der an Omikron BA.1 oder an Omikron BA.4/BA.5 angepasste­n Impfstoffe holen.

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Foto: Getty Images / iStock / Tero Vesalainen Aktuell infizieren sich wieder viele mit Corona. Das war aber zu erwarten, sagen Fachleute.

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