Der Standard

Bolsonaros Abwahl sehr wahrschein­lich

Umfragen unmittelba­r vor der Präsidente­nwahl in Brasilien sagen eine Niederlage des Rechtspopu­listen Jair Bolsonaro gegen Luiz Inácio Lula da Silva voraus – doch würde er eine solche überhaupt akzeptiere­n?

- VORSCHAU: Sandra Weiss Americas Quarterly.

Brasiliens Präsidente­n Jair Bolsonaro könnte das gleiche Schicksal drohen wie seinem US-Vorbild Donald Trump: Allen Umfragen zufolge wird der rechtspopu­listische Staatschef nach nur einer Wahlperiod­e abgewählt. Die erste Runde der Wahl findet am kommenden Sonntag statt, eine etwaige Stichwahl Ende Oktober.

Es dürfte wohl die Stunde eines alten Bekannten schlagen: Luiz Inácio Lula da Silva. Der ehemalige Gewerkscha­ftsführer von der linken Arbeitspar­tei PT war bereits von 2003 bis 2011 Präsident und geht als Favorit ins Rennen. Bei der letzten Wahl 2018 durfte er nicht antreten, da er unter Korruption­sverdacht inhaftiert war. Inzwischen wurden alle vier Prozesse gegen ihn wegen Verfahrens­fehlern kassiert.

Viele Unentschlo­ssene

Allerdings ist das letzte Wort bei der Wahl noch nicht gesprochen: Besonders die rund 20 Prozent Unentschlo­ssenen könnten das Blatt noch wenden – sofern sie abstimmen. In Brasilien herrscht zwar Wahlpflich­t, doch die Wahlbeteil­igung erreicht selten mehr als 80 Prozent. Meinungsfo­rscher geben Lula bis zu 44 Prozent, Bolsonaro bis zu 37 Prozent. Für den Sieg in der ersten Runde ist die absolute Mehrheit erforderli­ch.

Lula konnte mit seiner geschickte­n, diplomatis­chen Art einen Teil der Unternehme­rschaft und des bürgerlich­en Lagers auf seine Seite ziehen, vor allem durch die Wahl seines Vizekandid­aten Geraldo Alckmin, einem Vertreter der wirtschaft­sliberalen sozialdemo­kratischen Partei (PSDB). Außerdem kann er weiterhin auf die Unterstütz­ung der Unterschic­ht zählen – obwohl Bolsonaro versuchte, ihm durch wahltaktis­che Sozialhilf­eprogramme dort Stimmen abspenstig zu machen.

Bolsonaro ist bei Evangelika­len und Landwirten stark, verlor durch seine aggressive Art und seine machistisc­hen Sprüche aber Anhänger in der Mitte und bei den Frauen.

Die Stimmung in Brasilien ist aufgeheizt wie schon lange nicht mehr. 67 Prozent der Bevölkerun­g fürchten sich vor politische­r Gewalt. Radikale Anhänger Bolsonaros sind bis an die Zähne bewaffnet – die Zahl der im Umlauf befindlich­en Waffen hat sich in den vergangene­n vier Jahren verdreifac­ht. Und im Wahlkampf wurden bereits zwei LulaAnhäng­er von ihnen ermordet. Die Frage, die die Brasiliane­rinnen und Brasiliane­r daher in den vergangene­n Wochen besonders beschäftig­t hat, ist: Wird Bolsonaro gewaltlos den Präsidente­npalast Alvorada räumen, sollte er verlieren, oder wird er wie Trump zum Sturm auf die Institutio­nen blasen? Und welche Rolle wird das Militär spielen, das von Bolsonaro auf so viele Schlüsselp­osten in der Regierung gesetzt wurde wie seit der Militärdik­tatur nicht mehr?

Bereits im Vorfeld hat Bolsonaro seine Anhängersc­haft darauf eingeschwo­ren, dass eine Niederlage nur durch einen Wahlbetrug zustande kommen könne. Brasiliens Wahlsystem, das auf elektronis­chen Urnen beruht und in der Vergangenh­eit stets rasche und akkurate Ergebnisse geliefert hat, gilt als eines der solidesten des Kontinents. Die Wahlbehörd­e wird diesmal dem Militär sogar gestatten, parallel zur Auszählung Stichprobe­n zu nehmen – wohl mit dem Kalkül, die Streitkräf­te dadurch bei einem möglichen Nachwahlko­nflikt auf dem demokratis­chen Pfad zu halten.

Einen Staatsstre­ich schließen Experten wie der ehemalige Verteidigu­ngsministe­r Raul Jungmann aus. „Dafür gibt es weder ein entspreche­ndes internatio­nales Umfeld noch Gründe oder Pläne der Streitkräf­te“, schrieb er in der Zeitschrif­t

Der gewachsene Einfluss des Militärs ist eine der Herausford­erungen für Lula, sollte er gewinnen. Seine Spielräume sind gering, und das Erbe Bolsonaros wird auch im Kongress weiter wirken. Dort rechnen Beobachter mit einer Zunahme des opportunis­tischen Parteienbl­ocks Centrão, der sich traditione­ll in Brasilien dem Gewinner anbiedert, um daraus materielle Vorteile zu schlagen. „Im Falle eines Wahlsieges wird die Umsetzung einer progressiv­en Agenda schwierig werden“, schätzt Christoph Heuser, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brasilien.

Wenig Spielraum

Weitere Herausford­erungen, die den inzwischen 76-Jährigen erwarten, sind die wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie. 16 Prozent der Menschen leiden laut einer Studie der NGO Rede Penssan an Hunger – ein Rückschrit­t von 30 Jahren. Doch Lula dürfte in der aktuell schwierige­n internatio­nalen Wirtschaft­skonjunktu­r nur wenig Spielraum haben für große Sozialprog­ramme. Zumal, wenn er gleichzeit­ig den Amazonas wieder stärker schützen will, dessen Ressourcen Bolsonaro zur Plünderung freigegebe­n hat.

Auch das Regieren dürfte in der polarisier­ten Gesellscha­ft alles andere als einfach werden. Denn in vielen Regionen, besonders am Amazonas, werden sich bei den Regionalwa­hlen Bolsonaro-Anhänger durchsetze­n und dort der – verfassung­smäßig ohnehin eher schwachen – Zentralreg­ierung Steine in den Weg legen.

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Fans des amtierende­n rechtsextr­emen Präsidente­n Jair Bolsonaro bei einer Wahlverans­taltung. Werden sie letztlich in der Minderheit bleiben?

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