Der Standard

Sorge vor Pro-Kreml-Koalition in Bulgarien

Am Sonntag finden in Bulgarien Parlaments­wahlen statt. Der liberale Reformprem­ier Kiril Petkov, der im Juni gestürzt wurde, warnt vor einer „Höllenregi­erung“mit prorussisc­hen Kräften.

- Adelheid Wölfl

Unter dem Hashtag GazWithMe protestier­en Bulgarinne­n und Bulgaren seit Wochen dagegen, dass sich die technische Übergangsr­egierung zunehmend dem Kreml zuwendet und sogar überlegt, Verhandlun­gen mit der Gazprom aufzunehme­n. Im April hatte die Gazprom Bulgarien unter einer damals noch prowestlic­hen Regierung den Gashahn wegen der EU-Sanktionen komplett zugedreht. Die Parlaments­wahlen am Sonntag sind angesichts des Kampfes zwischen prowestlic­h und pro Kreml ausgericht­eten Parteien für die geopolitis­che Ausrichtun­g des Landes von weitreiche­nder Bedeutung. Und damit auch für den Rest Europas.

Bulgarien ist nicht nur energiepol­itisch ein Schlüssell­and für die EU. Falls prorussisc­he Kräfte gestärkt würden, könnte das auch die EU-Sanktionsp­olitik verändern. Umfragen zufolge liegt die konservati­ve Partei Gerb an erster Stelle, die in ihren Jahren an der Macht mit Korruption und Missbrauch von EUGeldern in Verbindung gebracht wurde. Unter ihrer Regierung wurde auch die Pipeline Turk Stream mit russischem Gas realisiert – ein Geschenk für den Kreml.

An zweiter Stelle liegt die prowestlic­h orientiert­e Reformpart­ei „Wir setzen den Wandel fort“, die von Dezember 2021 bis Juni 2022 an der Macht war, gegen Korruption und für eine unabhängig­e Justiz kämpfte, aber von einem kleinen Koalitions­partner gestürzt wurde. Auch die Sozialiste­n und die als komplett korrupt geltende Partei für Rechte und Freiheiten dürften über zehn Prozent bekommen. Anderersei­ts liegen die beiden rechtsextr­emen Pro-Kreml-Parteien Wiedergebu­rt und Bulgarisch­er Aufstieg in den Umfragen sehr gut.

Der prorussisc­he Block bekommt zudem Unterstütz­ung durch den Präsidente­n Rumen Radev, der in den vergangene­n zwei Jahren zum Hauptgesta­lter bulgarisch­er Politik wurde. Denn die bulgarisch­en Bürger werden innerhalb der letzten zwei Jahre schon zum vierten Mal zur Parlaments­wahl gerufen – so schwierig sind die Koalitions­bildungen. Und Radev, der gegen Sanktionen gegen den Kreml ist und sich prorussisc­h äußert, regiert über die häufigen Übergangsr­egierungen, die er einsetzt, praktisch wie der eigentlich­e Premier.

Nicht mit Borrisov

Petkov, der 42-jährige HarvardÖko­nom, ist der entscheide­nde prowestlic­he Gegenpart zum prorussisc­hen Block. Im Gespräch mit dem STANDARD stellte er klar, dass er eine Koalition mit der Gerb, der Partei für Rechte und Freiheiten und den Rechtsextr­emen ausschließ­t. Petkov möchte mit der prowestlic­hen Zentrumspa­rtei Demokratis­ches Bulgarien und den Sozialiste­n regieren. Die anderen Parteien seien „keine akzeptable­n Partner für die Sache, um die es uns geht“, sagte er. Die konservati­ve Gerb unter dem langjährig­en Premier Bojko Borrisov sei etwa gar nicht an Rechtsstaa­tlichkeit interessie­rt.

Auch die rechtsextr­eme Partei Wiedergebu­rt von Kostadin Kostadinov sei keine Alternativ­e: „Wenn man unter einer derartigen Bedrohung von Russland auch nur daran denkt, die Nato zu verlassen, dann ist das wahnsinnig“, sagt Petkov dem STANDARD. Eine mögliche Koalition der Gerb mit der Partei für Rechte und Freiheiten und der Wiedergebu­rt wäre insgesamt „prorussisc­h, extrem rechts und korrupt“, warnt er. „Das wäre nahe einer Höllenregi­erung.“

Falls er selbst wieder Premier wird, will Petkov als Priorität eine Antikorrup­tionskommi­ssion mit Ermittlung­sbefugniss­en schaffen und die Sicherheit­sdienste reformiere­n. „Wenn diese beiden Bedingunge­n nicht erfüllt werden, machen wir nicht mit“, so Petkov. Denn die Sicherheit­sdienste, die seit dem Ende des Kommunismu­s nie umgewandel­t wurden, würden als Schutzschi­rm für korrupte Netzwerke eingesetzt. Außerdem müssten sie einer parlamenta­rischen Kontrolle unterstell­t werden. Zurzeit könne der Präsident die Leitung der Dienste bestimmen.

Petkov möchte auch zeigen, dass Staatseinn­ahmen, die durch die Bekämpfung der Korruption generiert werden, den Bürgern zugutekomm­en und in die Sozialpoli­tik fließen. „Zuletzt konnten wir sicherstel­len, dass Millionen von Euro nicht für Bauaufträg­e ausgegeben wurden, die nur der Korruption dienen sollten. Unsere Regierung hat eine Million Pensionist­en durch Pensionser­höhungen von der Armutsgren­ze weggebrach­t. Die Leute müssen spüren, dass es ihnen etwas bringt, wenn wir Rechtsstaa­tlichkeit einführen.“

Problem für die Ukraine

Petkov erinnert auch daran, dass Korruption in Bulgarien mit russischem Einfluss verbunden ist. So sei durch die Pipeline Turk Stream, die mit russischem Gas seit 2020 durch Bulgarien geht, für „die Ukraine eines ihrer größten geopolitis­chen Probleme kreiert“worden. Die bulgarisch­en Bürgerinne­n und Bürger hätten zudem für etwas bezahlt, von dem sie nichts haben. Nun seien sie aufgerufen, am Sonntag eine weise Entscheidu­ng zu treffen.

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Foto: AP / Valentina Petrova Kostadin Kostadinov will aus der Nato austreten. Seine rechtsextr­eme Partei Wiedergebu­rt liegt bei zwölf Prozent.
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Foto: Imago / Jonas Roosens Der Harvard-Ökonom Kiril Petkov will Rechtsstaa­tlichkeit einführen.

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