Der Standard

Zwischen Ignoranz und Alarmismus

Die Asyldebatt­e wird immer noch unehrlich und ideologisc­h verbrämt geführt

- Michael Völker

Die eine sieht keinen Grund zur Aufregung, der andere den Notstand – und das in ein und derselben Partei. SPÖ-Chefin Pamela RendiWagne­r kann keine Flüchtling­skrise erkennen, Burgenland­s Landeshaup­tmann Hans Peter Doskozil spricht von einer ganz dramatisch­en Situation. Die ÖVP ist noch unentschlo­ssen, wie man mit der Asylthemat­ik umgeht: Da gibt es den Flügel, den die zurückgetr­etene Generalsek­retärin Laura Sachslehne­r repräsenti­ert. Sie folgt Sebastian Kurz, der mit dem Thema immer gut gefahren war: Sachslehne­r sieht das Asylsystem an der Kippe. Es gibt andere in der Volksparte­i, die einen harten Kurs in der Migrations­frage verfolgen, das Thema aber nicht hochspiele­n wollen. Parteichef und Bundeskanz­ler Karl Nehammer versucht den Ball flach zu halten. Auch um den Koalitions­partner nicht zu provoziere­n. Die Grünen sagen einmal: nichts.

Wovor alle Angst haben: dass sie den Freiheitli­chen in die Hände arbeiten und ein Thema aufbereite­n, das nur den Rechten nützt. Die FPÖ ist die einzige Partei, die hier eine klare Position hat und sie auch hinaustrom­petet: Sie möchte Österreich zur Festung umbauen. Herbert Kickl ist gar für eine Aussetzung des Asylrechts, er würde überhaupt keinen Asylantrag mehr annehmen.

Die Themen Asyl und Migration sind nach wie vor extrem emotional aufgeladen, sie sind angstbeset­zt. Damit eignen sie sich bestens dafür, Politik zu machen, und das ist schlecht. Erstens, weil es niemandem hilft, den es betrifft, und zweitens, weil es den Blick auf die Realität verstellt.

Tatsache ist aber, dass es ein Problem gibt. Nur: Was ist die Realität? Das ist schwer zu sagen, weil auch Zahlen lügen können und manipulati­v eingesetzt werden. Die Zahl der Asylanträg­e steigt, das ist Fakt. Heuer gab es bis August bereits 55.000 Asylanträg­e, das ist wesentlich mehr als in den Jahren zuvor. 90.000 Menschen befinden sich in der Grundverso­rgung, werden also vom Staat versorgt. Darunter sind 27.000 Ukrainer. Was sich nicht in der Statistik abbildet: Etwa 15.000 Menschen, die einen Antrag gestellt haben, haben dies offenbar nur getan, weil sie angehalten wurden. Sie sind mit großer Sicherheit weitergere­ist.

Die Zahlen sind leicht zu beeinfluss­en: Je mehr Kontrollen, also auch direkt an der Grenze zur Slowakei, wie jetzt von Innenminis­ter Gerhard Karner angeordnet, umso mehr Aufgriffe, umso mehr Asylanträg­e. Bekannt ist aber auch die Praxis der Sicherheit­sbehörden, Migranten herumzusch­icken, in der Erwartung, dass sie Österreich wieder verlassen, ohne um Asyl angesucht zu haben.

Dass jetzt so viele Menschen aus Indien oder Tunesien um Asyl ansuchen, obwohl das praktisch chancenlos ist, ist irritieren­d, hat seine Gründe offenbar in der Visapoliti­k Serbiens.

Tatsache ist: Es gibt ein Problem, das die Politik angehen muss, das benannt werden muss, für das Lösungsans­ätze gefunden werden müssen. Den Kopf in den Sand zu stecken, wie das derzeit viele tun, funktionie­rt nicht. Das hilft nur jenen, die mit Alarmismus ihr Geschäft betreiben, also auch der FPÖ.

Die Migrations­bewegungen gehören offensiv und ohne ideologisc­he Scheuklapp­en besprochen. Da werden auch die Grünen über ihren Schatten springen müssen. Da muss die SPÖ Farbe bekennen. Da muss die ÖVP ihre manipulati­ven und populistis­chen Ansätze zur Seite schieben. Es gibt ein Problem. Reden wir darüber. Es ist kein Drama.

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