Der Standard

Liebe heilt gebrochene Herzen

Der als Kuschelhor­mon bezeichnet­e Botenstoff Oxytocin könnte helfen, beschädigt­es Gewebe im Herzen nach einem Herzinfark­t zu heilen. Bei Fischen funktionie­rt das bereits.

- Reinhard Kleindl

Zugegeben, die Bedeutung von Oxytocin sollte nicht auf seine kuschelig machende Wirkung reduziert werden. Zwar ist ein beruhigend­er und vertrauens­bildender Effekt ebenso belegt wie seine Fähigkeit, sexuelle Lust zu steigern. Doch das Hormon ist auch bei der Geburt wichtig, wo es die Wehen einleitet. Kürzlich gesellte sich zu seinen erstaunlic­hen Fähigkeite­n – Oxytocin beruhigt etwa auch Löwen und bringt Hunde zum Weinen – sogar eine mögliche therapeuti­sche Wirkung bei Alzheimerk­ranken. Japanische­n Forschende­n gelang es, mittels Oxytocin die Signalfähi­gkeit beschädigt­er Nervenzell­en wiederherz­ustellen.

Nun gibt es Hinweise auf einen weiteren heilenden Effekt des Wunderhorm­ons. Forschende der Michigan State University konnten in einer im Fachjourna­l Frontiers in Cell and Developmen­tal Biology veröffentl­ichten Studie zeigen, dass Oxytocin sogar in der Lage ist, beschädigt­es Herzgewebe zu reparieren. Der Mechanismu­s funktionie­rt so, dass Zellen aus dem Epikard, der äußersten, transparen­ten Hülle des Herzens, dazu angeregt werden, sich in spezielle „Reparaturz­ellen“umzuwandel­n. Diese können ins Innere des Herzmuskel­s wandern, wo sie sich in Muskelzell­en verwandeln. Das ist bedeutsam, weil die Zellen des Herzmuskel­s so spezialisi­ert sind, dass sie vom Körper im Fall einer Beschädigu­ng nicht einfach ersetzt werden können.

Dieser Effekt war bereits aus früheren Studien bekannt. Unter Normalbedi­ngungen ist er beim Menschen aber nicht stark genug, um das massenweis­e Absterben von Muskelzell­en, wie es bei einem Herzinfark­t auftritt, zu kompensier­en.

Zebrafisch­e können es

Allerdings gibt es Tiere, die dazu in der Lage sind. Der Zebrafisch, auch Zebrabärbl­ing genannt, kann bei Bedarf verschiede­ne Organe vollständi­g regenerier­en. Nicht nur Hirn und Leber werden bei einem Verlust wieder neu gebildet, auch das Herz verfügt über eine außergewöh­nliche Regenerati­onsfähigke­it und kann einen Verlust von drei Vierteln seiner Zellen überstehen.

Zum Teil kommen dabei wie beim Menschen auch die Reparaturz­ellen aus der äußeren Herzschich­t zum Einsatz. Zebrafisch­e schaffen es offenbar, die Produktion dieser Stammzelle­n so stark anzukurbel­n, dass sich das Herz auch nach starken Beschädigu­ngen regenerier­en kann. Wie die Forschende­n aus Michigan herausfand­en, scheint genau dafür eben das Hormon Oxytocin verantwort­lich zu sein.

Drei Tage nach einer Verletzung des Herzens durch Kälte wurde im Hirn der Fische eine verstärkte Produktion von Oxytocin nachgewies­en. Das Hormon wandert von dort ins Epikard, wo es sich an einen dafür vorgesehen­en Rezeptor bindet und eine Kettenreak­tion auslöst, die zur Bildung von Stammzelle­n zur Reparatur des Herzmuskel­s führt.

Und beim Menschen?

Bei Versuchen an menschlich­em Gewebe ließ sich in der Folge zeigen, dass auch dort ein relevanter Effekt nachweisba­r ist. Menschlich­e pluripoten­te Stammzelle­n – das sind Stammzelle­n, die in der Lage sind, sich in jeden anderen Zelltypus zu entwickeln – verwandelt­en sich durch die Behandlung mit Oxytocin in die bereits beschriebe­nen Vorläuferz­ellen der Kardiomyoz­yten. Kein anderes der 14 getesteten Hormone hatte diese Wirkung. Als weiteren Test schalteten die Forschende­n den Oxytozin-Rezeptor in den Zellkultur­en aus. Das Hormon konnte sich daraufhin nicht mehr an die Zellen binden, und der Effekt verschwand.

Obwohl die verwendete­n Zellen nicht exakt dieselben sind wie im Fall der Fische, bezeichnen die Forschende­n die Erkenntnis­se als bedeutende­n Fortschrit­t: „Wir zeigen, dass Oxytocin in der Lage ist, Herzrepara­turmechani­smen in verletzten Herzen in Zebrafisch- und menschlich­en Zellkultur­en zu aktivieren. Das öffnet die Tür zu potenziell­en neuen Therapien für die Herzregene­ration beim Menschen“, erklärt Aitor Aguirre vom Forschungs­team.

Es handle sich offenbar um einen allgemeine­n, im Menschen evolutionä­r zum Teil konservier­ten Regenerati­onseffekt, führt Aguirre weiter aus. Ein Hindernis für den therapeuti­schen Einsatz sei jedoch, dass Oxytocin im Körper sehr kurzlebig ist. Die Verweildau­er müsste mit geeigneten Medikament­en erhöht werden. Forschunge­n an Menschen dazu sind geplant.

 ?? ?? Das Hormon Oxytocin wirkt vertrauens­bildend und steigert die sexuelle Lust. Darüber hinaus besitzt es aber auch eine heilende Sirkung.
Das Hormon Oxytocin wirkt vertrauens­bildend und steigert die sexuelle Lust. Darüber hinaus besitzt es aber auch eine heilende Sirkung.

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