Der Standard

Ist der Tiefpunkt der Börsen schon nahe?

Die Aktienmärk­te befinden sich seit etwa einem Jahr im Rückwärtsg­ang. Viel spricht aber noch nicht dafür, dass die Abwärtspha­se bald überstande­n ist.

- Alexander Hahn

Das Jahr 2022 wird als ein ausgesproc­hen schlechtes in die Börsengesc­hichte eingehen – sowohl Aktien als auch Anleihen mussten schmerzhaf­te Verluste hinnehmen. Die bekannten Aktienindi­zes verzeichne­ten ihre Jahreshoch­s bereits im Jänner, seitdem ging es in mehreren Wellen immer weiter bergab. Dabei kamen besonders Titel aus dem Technologi­ebereich, die zuvor den Aufschwung an Wall Street und Co jahrelang getragen hatten, unter die Räder. Der Befund ist eindeutig: Die Aktienbörs­en befinden sich in einem sogenannte­n Bärenmarkt, also einer Phase anhaltend fallender Kurse.

Aber wie lange dauern solche Abwärtsbew­egungen üblicherwe­ise? Und wie weit können Dax, Dow und der Nasdaq-Technologi­eindex noch fallen, bis sie ihre Tiefs erreicht haben? Der Versuch einer Annäherung anhand mehrerer Faktoren:

■ Konjunktur Angesichts der Auswirkung­en des Ukraine-Kriegs, der global hohen Inflation und der Energiekri­se in Europa dürfte klar sein: Um die globale Wirtschaft ist es nicht allzu gut bestellt. „Weltweit schwächt sich die Konjunktur ab, die Geldpoliti­k wird allerorts straffer, und das Risiko einer globalen Rezession steigt“, sagt etwa Anlagestra­tege Andrea Siviero vom luxemburgi­schen Vermögensv­erwalter Ethenea. Für ihn ist eine Phase negativen Wachstums in den USA wahrschein­licher geworden und in Europa fast unvermeidb­ar. Dafür sprechen auch die stark fallenden Frachtrate­n in der Containers­chifffahrt: Nach Engpässen wegen der Corona-Krise hat der Wind gedreht und die Nachfrage ist seit September eingebroch­en.

Für die Börse sind dies grundsätzl­ich keine guten Nachrichte­n: Denn in einer Rezession steigen die Unternehme­nsgewinne, anhand derer die Aktien bewertet werden, weniger stark oder sinken sogar. Allerdings nimmt die Börse die Entwicklun­gen der Realwirtsc­haft um einige Monate vorweg, womit der Eintritt einer Rezession bereits in den derzeitige­n Kursen enthalten sein sollte. Sollte diese aber stärker und länger als erwartet ausfallen, kann dies für einen weiteren Abwärtsimp­uls sorgen.

■ Inflation „Erst eine Teuerung von fünf Prozent oder mehr geht mit erhöhten Risiken am Aktienmark­t einher“, sagt Benjardin Gärtner, der bei Union Investment den Aktienbere­ich leitet. Derzeit gibt es zwar beiderseit­s des Atlantiks höhere Inflations­raten, nächstes Jahr könnten diese aber wieder deutlich zurückgehe­n. Die sich abzeichnen­de Rezession hat schon viele Rohstoffpr­eise, darunter auch Erdöl und Erdgas, wieder sinken lassen. Auch die Konsumlaun­e der Bevölkerun­g kühlt sich bereits deutlich ab.

■ Zinsen Die Hoffnung vieler Börsenprof­is beruht darauf, dass ein sinkender Inflations­druck den derzeit starken Zinsanhebu­ngszyklus in den USA und der Eurozone im nächsten Jahr verlangsam­en oder sogar gänzlich stoppen wird. Steigende Zinsen sind aus zwei Gründen Gift für die Aktienmärk­te: Sie machen Kredite und damit auch Investitio­nen teurer, was das Wachstum bremst. Zudem werden Zinsproduk­te wie Anleihen verglichen mit den riskantere­n Aktien attraktive­r – schließlic­h konkurrier­en auch die verschiede­nen Anlageklas­sen um das Kapital der Investiere­nden.

■ Bewertung Aber sind die Aktienmärk­te eigentlich schon billig genug, um den Abwärtstre­nd zu brechen? Zumindest im historisch­en Vergleich noch nicht. Üblicherwe­ise werden Aktien mit dem sogenannte­n KursGewinn-Verhältnis (KGV) bewertet: Ein KGV von zehn bedeutet, dass der Wert eines Unternehme­ns seinem zehnfachen Jahresgewi­nn entspricht – also je tiefer das KGV, desto billiger die Aktie und vice versa.

Auf den marktbreit­en US-Index S&P 500 umgelegt, bedeutet das Folgendes: Das KGV der erwarteten Gewinne der Indexunter­nehmen (in den nächsten zwölf Monaten) ist seit Jänner von etwa 21 auf derzeit 15,7 gesunken. Verglichen mit den Tiefststän­den früherer Bärenmärkt­e ist das ein noch relativ hoher Wert, die Wall Street also noch nicht billig genug. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase der Jahrtausen­dwende drehte der Markt erst bei einem KGV von 13,5 nach oben, bei allen anderen Abwärtspha­sen erst bei noch tieferen Werten. Dieser Rechnung zufolge müsste der US-Markt bis zu seinem Tief noch um mehr als zehn Prozent sinken. Allzu alt ist der laufende Bärenmarkt mit rund einem Jahr seit den Rekordhoch­s von November 2021 auch noch nicht. Zum Vergleich: Die Abwärtsbew­egung nach der geplatzten Dotcom-Blase dauerte fast drei Jahre.

■ Fazit Auch wenn es schön langsam vermehrt Grund zur Hoffnung gibt, die Aktienbörs­en befinden sich in intakten Bärenmärkt­en und dürften ihre Tiefs voraussich­tlich noch nicht erreicht haben. Allerdings ist es ohnedies sehr schwer bis fast unmöglich, den absoluten Tiefpunkt zu erwischen – und die Aktienmärk­te wirken für langfristi­ge Veranlagun­gen, also zumindest fünf Jahre, durchaus schon wieder aussichtsr­eich. Ebenso Aktienoder Fondssparp­läne, um regelmäßig zu den mittlerwei­le doch schon deutlich gefallenen Kursniveau­s der Börsen zuzukaufen.

 ?? ?? Börsengäng­e waren heuer selten an der Wall Street – und sind auch meist gefloppt wie jener der Harley-Davidson-Tochter Livewire im September.
Börsengäng­e waren heuer selten an der Wall Street – und sind auch meist gefloppt wie jener der Harley-Davidson-Tochter Livewire im September.

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