Der Standard

Wie und warum die Welt reich wurde

- Joseph Gepp

In den vergangene­n zwei Jahrhunder­ten ist die Welt ziemlich reich geworden. Gemessen an der Wirtschaft­sleistung pro Kopf sind heute nur noch ungefähr zwei Dutzend Staaten auf dem Planeten ärmer, als es im Jahr 1800 das damals reichste Land der Welt war: Großbritan­nien. Die Armgeblieb­enen finden sich allesamt in Afrika, mit Ausnahmen wie Afghanista­n und Nepal. Zwar lebt heute immer noch trotz allen Wohlstands mehr als eine Milliarde Menschen in absoluter Armut; dazu bedroht der Kollaps des Weltklimas auch jene, denen es besser geht. Trotzdem: Zweifelsfr­ei steht fest, dass in der Neuzeit eine Entwicklun­g eingesetzt hat, die es welthistor­isch betrachtet zuvor nie gegeben hat – dauerhafte­s Wirtschaft­swachstum, das viel Wohlstand beschert hat.

Wie kam es dazu? Und warum fand und findet die wirtschaft­liche Entwicklun­g derart ungleich statt? Damit befasst sich ein fasziniere­ndes, derzeit nur auf Englisch vorliegend­es Buch der US-Wirtschaft­shistorike­r Mark Koyama und Jared Rubin. Dem Werk gelingt es, in knappen, anschaulic­hen Kapiteln einen breiten Überblick zu liefern über ein komplexes Thema und eine ausufernde Debatte, bei der man sonst schnell den Gesamtzusa­mmenhang aus den Augen verliert.

Es sei die industriel­le Revolution gewesen, die den Auftakt zur Herausbild­ung des Reichtums bildete, lautet die populäre Annahme, ausgehend von Großbritan­nien in der Mitte des 19. Jahrhunder­ts. Das ist richtig – aber:

Warum fand sie ausgerechn­et im Großbritan­nien statt und bald darauf im Rest Europas? Dies umso mehr, weil der Kontinent noch vor ungefähr einem Jahrtausen­d eine vergleichs­weise arme, im Weltmaßsta­b periphere Gegend war. Viel reicher waren damals beispielsw­eise China, Indien und der arabisch-islamische Raum.

In der wissenscha­ftlichen Debatte schwirren viele, teils widersprüc­hliche Erkläransä­tze herum, die Koyama und Rubin zusammenfa­ssen: Manche Forscher betonen geografisc­he Faktoren, andere die Rolle gesellscha­ftlicher Institutio­nen, wieder andere kulturellr­eligiöse Gründe. Eine weitere Fraktion von Wissenscha­ftern sieht den Ursprung europäisch­en Reichtums vor allem in der Ausbeutung anderer Regionen, also in Kolonialis­mus und Sklaverei. Weitere Teile des Buchs drehen sich um die Frage, warum manche Staaten – man denke an Japan und zuletzt China – ebenfalls reich werden konnten und andere nicht.

Endgültige Antworten sollte man bei all dem nicht erwarten. Es gibt sie nämlich nicht. Was dieses Buch vielmehr bietet, ist ein profunder und verständli­cher Rundblick, bei dem nichts Wichtiges ausgelasse­n wird. Ein umfassende­s Quellenver­zeichnis sorgt darüber hinaus für die Möglichkei­t, sich in besonders interessan­te Aspekte weiter zu vertiefen.

 ?? ?? Mark Koyama, Jared Rubin, „How the World Became Rich. The Historical Origins of Economic Growth“. € 19,99 / 259 Seiten. Wiley, 2022
Mark Koyama, Jared Rubin, „How the World Became Rich. The Historical Origins of Economic Growth“. € 19,99 / 259 Seiten. Wiley, 2022

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