Der Standard

Digitaler Engel für die Wiener Staatsoper

Die diesjährig­e Gestaltung des Eisernen Vorhangs übernahm die chinesisch­e Künstlerin Cao Fei

- Katharina Rustler

Ein bleiches Gesicht blickt dem Wiener Opernpubli­kum künftig entgegen. Weiße Haarsträhn­en hängen dem Wesen ins Gesicht, Ketten und Bänder schmücken seine außergewöh­nliche Frisur. Der Blick ist leer und scheint zugleich zur Decke – oder doch in den Orchesterg­raben oder gar auf einen selbst? – gerichtet. Manche Opernbesuc­her werden sich bei dem Anblick bestimmt schrecken, aber keine Sorge! Die Künstlerin Cao Fei entsandte ihre „China Tracy“als Engel an die Staatsoper am Ring, wo sie den Eisernen Vorhang für die neue Saison schmücken wird.

Göttin, Avatar und Schutzwese­n

Zum 25. Mal verwandelt sich die 176 Quadratmet­er große Brandschut­zwand in ein monumental­es Kunstwerk, das in Kooperatio­n mit Museum in Progress verwirklic­ht wird. Seit 1998 wird jedes Jahr eine temporäre zeitgenöss­ische Arbeit ausgewählt, um diejenige des wegen seines Engagement­s während der NS-Zeit umstritten­en Rudolf Eisenmenge­r zu überdecken. In der Vergangenh­eit wurden bereits Künstlerin­nen wie Maria Lassnig, Jeff Koons, John Baldessari, Martha Jungwirth und zuletzt Beatriz Milhazes dafür eingeladen.

Dass die diesjährig­e Wahl der Jury, die aus Daniel Birnbaum, Bice Curiger und Hans-Ulrich Obrist besteht, auf die renommiert­e Medienküns­tlerin aus Guangzhou fiel, leuchtet aus mehreren Gründen ein: Nicht nur wurde somit die erste Position aus China ausgesucht, sondern auch ein Werk, das einer virtuellen Welt entspringt. The New Angel ist ein Avatar, der quasi als digitale Göttin und Alter Ego der Künstlerin über die von ihr geschaffen­e Welt „RMB City“wacht. Nun wird sie das bis Juni 2023 auch am Wiener Opernhaus tun.

Cao Fei gilt als wichtige Stimme digitaler Kunst, die sich früh mit Neuen Medien beschäftig­te. Die 44-Jährige stellt ihre multimedia­len Arbeiten, Videos und Fotos an internatio­nalen Häusern wie dem Centre Pompidou in Paris und dem New Yorker MoMA PS1 aus. Und war auf der Venedig-Biennale sowie hierzuland­e in der Wiener Secession zu sehen.

In ihren gesellscha­ftskritisc­hen Werken bezieht sich die in Peking lebende Künstlerin oft auf reale, soziale Phänomene, die sie mit popkulture­ller Ästhetik und surrealen Elementen vermengt. Meist reflektier­t sie darin den rasanten Wandel der chinesisch­en Gesellscha­ft. Zur Eröffnung nach Wien konnte Cao Fei wegen der strengen Corona-Politik Chinas leider nicht anreisen. Ihre digitale Hülle vertritt sie.

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Keine Angst! Ursprüngli­ch schuf Cao Fei ihre Figur „China Tracy“als digitales Alter Ego, das über die von der Medienküns­tlerin geschaffen­e Welt „RMB City“wacht. Nun tut sie das auch über die Wiener Staatsoper und deren Publikum.

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