Der Standard

Ein unverzeihl­iches Versagen

Seit 30 Jahren beherrscht die FPÖ die Themen Migration und Asylpoliti­k

- Walter Müller

Es dürften etliche freiheitli­che Politiker in den letzten Wochen sehr katholisch geworden sein und Stoßgebete des Dankes gen Himmel gerichtet haben.

Dieser Dank galt der ÖVP, die wohl zur Ablenkung ihrer türkisen Korruption­sskandale und des Absturzes im Parteienra­nking zur politische­n Notwehr gegriffen und bei der erstbesten Gelegenhei­t wieder das Thema „Asyl und Zuwanderer“– wirkt immer – unter die Leute gebracht hat. Und damit der intern zerfranste­n blauen Partei die Gelegenhei­t bot, sich wieder geeint unter dem Banner der Fremdenabw­ehr zu versammeln. Überall dort, wo sich jetzt Widerstand in der Bevölkerun­g gegen die vom ÖVP-geführten Innenminis­terium verordnete­n Asylzentre­n, gegen Zeltstädte für Flüchtling­e regt, sind FPÖ-Politiker und mit ihnen Rechtsradi­kale vor Ort und als Erste auf den Barrikaden. Wir sind das Volk.

Und jetzt kommen noch die Gewaltexze­sse der Halloween-Nacht in Linz und anderen Landeshaup­tstädten hinzu, in denen Jugendlich­e, nach Polizeiang­aben zumeist Asylsuchen­de, etwa die Linzer City lahmlegten und sich Straßensch­lachten mit der Polizei lieferten.

In der FPÖ löste dies den pawlowsche­n Reflex und die Forderung nach sofortiger Abschiebun­g aus. Innenminis­ter Gerhard Karner von der ÖVP versuchte sich mit martialisc­her Geste anzuschlie­ßen, um auch ein wenig von den hochkochen­den Emotionen zu partizipie­ren. Hat ja schon unter Sebastian Kurz ganz gut funktionie­rt.

Worüber es bei all den Ausschreit­ungen keinen Zweifel geben darf: Für Straßensch­lachten, für Gewalt und Randale, die Menschen gefährden, gilt null Toleranz. Das Gesetz hat dafür die nötigen Strafrahme­n parat. Die Konsequenz­en, die emotional für viele logisch erscheinen, allen Randaliere­rn sofort die Unterstütz­ung zu streichen oder sie außer Landes zu bringen, ist aber differenzi­erter zu sehen. Es ist fraglich, was ad hoc legistisch überhaupt möglich ist, und es sind auch die Konsequenz­en in die Waagschale zu legen. Ohne Unterstütz­ung gleiten die Kinder und Jugendlich­en womöglich in die Illegalitä­t ab.

Es müssen also auch andere Wege, Modelle, gefunden werden, um Asyl-, Zuwanderun­gs- und Integratio­nskonflikt­e aufzufange­n. Aber da offenbart sich ein innenpolit­isches Dilemma: das dröhnende Schweigen der SPÖ, Grünen und der Neos. Sie überlassen den Blauen und der ÖVP das Diskursfel­d, den FPÖ-Politikern federführe­nd die Deutungsho­heit über den Komplex Asyl und Zuwanderun­g.

Diese haben alle Zeit der Welt, die Vorkommnis­se wie jetzt in Linz in ihrem fremdenfei­ndlichen Sinne einzuordne­n und dies auch propagandi­stisch zu verwerten. SPÖ, aber auch die Grünen und Neos haben nichts Breitenwir­ksames anzubieten. Keine These, die Sache auch anders zu lesen, Hintergrün­de auszuleuch­ten und das, was an effektiver Integratio­nsarbeit wirksam sein kann. Ohne zu beschönige­n.

Vor genau 30 Jahren, 1992, hatte ein gewisser Jörg Haider das „Österreich zuerst“-Volksbegeh­ren initiiert. Seit damals treiben die Freiheitli­chen die anderen Parteien mit dem „Ausländer“-Thema vor sich her. Seit damals haben SPÖ, Grünen und jetzt die Neos keinen Gegenentwu­rf, kein klares, breit kommunizie­rbares, humanistis­ch geprägtes Modell zusammenge­bracht, das sie der FPÖ entgegenha­lten können.

Ein unverzeihl­iches Versagen.

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