Ein unverzeihliches Versagen
Seit 30 Jahren beherrscht die FPÖ die Themen Migration und Asylpolitik
Es dürften etliche freiheitliche Politiker in den letzten Wochen sehr katholisch geworden sein und Stoßgebete des Dankes gen Himmel gerichtet haben.
Dieser Dank galt der ÖVP, die wohl zur Ablenkung ihrer türkisen Korruptionsskandale und des Absturzes im Parteienranking zur politischen Notwehr gegriffen und bei der erstbesten Gelegenheit wieder das Thema „Asyl und Zuwanderer“– wirkt immer – unter die Leute gebracht hat. Und damit der intern zerfransten blauen Partei die Gelegenheit bot, sich wieder geeint unter dem Banner der Fremdenabwehr zu versammeln. Überall dort, wo sich jetzt Widerstand in der Bevölkerung gegen die vom ÖVP-geführten Innenministerium verordneten Asylzentren, gegen Zeltstädte für Flüchtlinge regt, sind FPÖ-Politiker und mit ihnen Rechtsradikale vor Ort und als Erste auf den Barrikaden. Wir sind das Volk.
Und jetzt kommen noch die Gewaltexzesse der Halloween-Nacht in Linz und anderen Landeshauptstädten hinzu, in denen Jugendliche, nach Polizeiangaben zumeist Asylsuchende, etwa die Linzer City lahmlegten und sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten.
In der FPÖ löste dies den pawlowschen Reflex und die Forderung nach sofortiger Abschiebung aus. Innenminister Gerhard Karner von der ÖVP versuchte sich mit martialischer Geste anzuschließen, um auch ein wenig von den hochkochenden Emotionen zu partizipieren. Hat ja schon unter Sebastian Kurz ganz gut funktioniert.
Worüber es bei all den Ausschreitungen keinen Zweifel geben darf: Für Straßenschlachten, für Gewalt und Randale, die Menschen gefährden, gilt null Toleranz. Das Gesetz hat dafür die nötigen Strafrahmen parat. Die Konsequenzen, die emotional für viele logisch erscheinen, allen Randalierern sofort die Unterstützung zu streichen oder sie außer Landes zu bringen, ist aber differenzierter zu sehen. Es ist fraglich, was ad hoc legistisch überhaupt möglich ist, und es sind auch die Konsequenzen in die Waagschale zu legen. Ohne Unterstützung gleiten die Kinder und Jugendlichen womöglich in die Illegalität ab.
Es müssen also auch andere Wege, Modelle, gefunden werden, um Asyl-, Zuwanderungs- und Integrationskonflikte aufzufangen. Aber da offenbart sich ein innenpolitisches Dilemma: das dröhnende Schweigen der SPÖ, Grünen und der Neos. Sie überlassen den Blauen und der ÖVP das Diskursfeld, den FPÖ-Politikern federführend die Deutungshoheit über den Komplex Asyl und Zuwanderung.
Diese haben alle Zeit der Welt, die Vorkommnisse wie jetzt in Linz in ihrem fremdenfeindlichen Sinne einzuordnen und dies auch propagandistisch zu verwerten. SPÖ, aber auch die Grünen und Neos haben nichts Breitenwirksames anzubieten. Keine These, die Sache auch anders zu lesen, Hintergründe auszuleuchten und das, was an effektiver Integrationsarbeit wirksam sein kann. Ohne zu beschönigen.
Vor genau 30 Jahren, 1992, hatte ein gewisser Jörg Haider das „Österreich zuerst“-Volksbegehren initiiert. Seit damals treiben die Freiheitlichen die anderen Parteien mit dem „Ausländer“-Thema vor sich her. Seit damals haben SPÖ, Grünen und jetzt die Neos keinen Gegenentwurf, kein klares, breit kommunizierbares, humanistisch geprägtes Modell zusammengebracht, das sie der FPÖ entgegenhalten können.
Ein unverzeihliches Versagen.