Der Standard

Überrasche­nder Frieden in Äthiopien

Zwei Jahre dauerte der Bürgerkrie­g in Äthiopiens Unruheprov­inz Tigray schon an. Bei Verhandlun­gen in Südafrika kam es nun zum Durchbruch. Doch der umfangreic­he Friedenspl­an weist auch gravierend­e Lücken auf.

- Johannes Dieterich aus Johannesbu­rg

Die Unterzeich­nung des Friedensve­rtrags in Südafrikas Hauptstadt Pretoria ist nur wenige Stunden her. Tausende Kilometer weiter nördlich funktionie­ren endlich die Leitungen wieder. Zum ersten Mal seit Monaten gibt es in der äthiopisch­en Bürgerkrie­gsprovinz Tigray zumindest teilweise wieder Strom. Die Drohnenang­riffe der äthiopisch­en Luftwaffe auf die Provinzhau­ptstadt Mek’ele haben aufgehört, die Menschen sind erleichter­t und voller Hoffnung.

Auf Hochtouren bereitet das Welternähr­ungsprogra­mm der Uno (WFP) die Wiederaufn­ahme seiner Nahrungsmi­ttelliefer­ungen in die abgeriegel­te Provinz vor, in der Millionen Menschen Hunger leiden und womöglich Tausende bereits den Hungertod gestorben sind. „Ein Neuanfang für Äthiopien und für ganz Afrika“, schwärmt Nigerias ExPräsiden­t Olusegun Obasanjo.

Als von der Afrikanisc­hen Union (AU) beauftragt­er Verhandlun­gsführer für die äthiopisch­en Friedensge­spräche gab Obasanjo am Mittwochab­end in Pretoria überrasche­nd einen Durchbruch bei den zehntägige­n Gesprächen bekannt: Beide Seiten hätten sich auf einen „sofortigen Waffenstil­lstand“, auf eine „systematis­che Abrüstung“, auf die „Wiederhers­tellung von Recht und Ordnung“, die „Wiederhers­tellung von Dienstleis­tungen“, den „ungehinder­ten Zugang zu Nahrungsmi­ttelhilfe“sowie den „Schutz der Zivilbevöl­kerung“geeinigt. Mit einem derartig umfangreic­hen Friedenspl­an hatte zuvor kaum jemand gerechnet.

Keine Herzlichke­it

Herzlichke­it wollte allerdings keine aufkommen, als sich die Chefs der beiden Delegation­en – der Sicherheit­sberater des äthiopisch­en Regierungs­chefs, Redwan Hussein, und TPLF-Sprecher Getachew Reda – gegenseiti­g die acht Seiten lange „Verständig­ung für einen dauernden Frieden“überreicht­en. Sie hatten Schwierigk­eiten, sich überhaupt in die Augen zu schauen. Beide begrüßten in ihren Reden jedoch den unerwartet­en Verhandlun­gserfolg: Das „konstrukti­ve Engagement“der beiden Kriegspart­eien beende eine „tragische Episode“in der Geschichte Äthiopiens, sagte Sicherheit­sberater Redwan. Die TPLF habe sich zu „schmerzhaf­ten Zugeständn­issen“bereiterkl­ärt, fügte Reda hinzu.

Die wesentlich­en Errungensc­haften der Vereinbaru­ng sind neben dem sofortigen Waffenstil­lstand die Aufhebung der Blockade Tigrays seitens der äthiopisch­en Regierung, die Anerkennun­g der äthiopisch­en Streitkräf­te als „einzige nationale Armee“sowie die Demilitari­sierung der TPLF-Kämpfer.

Die politische Führung Tigrays erkennt die Souveränit­ät der äthiopisch­en Grenzen an und gibt damit ihre Sezessions­bestrebung­en auf. Umgekehrt hebt Addis Abeba seine Klassifizi­erung der TPLF als „Terrororga­nisation“auf und verspricht, sich am Wiederaufb­au zu beteiligen. Fast auf den Tag genau zwei Jahre dauert der Bürgerkrie­g an.

Lücken im Frieden

Allerdings werden in dem Vertrag wesentlich­e Streitfrag­en gar nicht angesproch­en, die laut Experten zu einem erneuten Kollaps des Waffenstil­lstands führen könnten. Eine fünf Monate dauernde Waffenpaus­e war bereits im August kollabiert. So fehlt in dem Dokument jeglicher Hinweis auf die eritreisch­en Streitkräf­te, die an der Seite der äthiopisch­en Regierungs­armee kämpfen und sich noch in Tigray befinden.

Eritrea war zu den Friedensge­sprächen in Südafrika gar nicht eingeladen, weil seine Kriegsbete­iligung als völkerrech­tswidrig gilt. Ob der eritreisch­e Diktator Isayas Afewerki seine Truppen demnächst tatsächlic­h abziehen wird, muss sich erst noch herausstel­len. Seinen Soldaten werden die schlimmste­n Kriegsverb­rechen wie Massaker unter Zivilisten und Massenverg­ewaltigung­en vorgeworfe­n.

Außerdem fehlt in der Vereinbaru­ng jeder Hinweis auf den Westen Tigrays, der derzeit unter anderem von Milizen aus der benachbart­en Amhara-Provinz kontrollie­rt wird. Sie beanspruch­en diesen Teil Tigrays für sich: Er sei ihnen von der TPLF nach deren Sieg über den „roten Diktator“Mengistu 1991 weggenomme­n worden, heißt es. Wie der Streit zwischen Tigray und Amhara beigelegt werden soll und ob hunderttau­sende Flüchtling­en nach Westtigray zurückkehr­en können, ist derzeit noch unklar.

Einig waren sich alle Beteiligte­n in der Einschätzu­ng, dass es sich bei der Vereinbaru­ng nur um „den ersten Schritt“eines langwierig­en Friedenspr­ozesses handele. „Der Teufel steckt in der Implementi­erung“, sagte Kenias Ex-Präsident Uhuru Kenyatta, der Verhandlun­gsführer Obasanjo zur Seite stand: „Wir haben noch eine Menge zu tun, um den politische­n Prozess in Gang zu bringen.“

Afrika hat es Europa jetzt vorgemacht: Man kann auch den blutigsten Krieg beenden, wenn man nur will. Die Volksbefre­iungsfront Tigrays (TPLF) und die äthiopisch­e Regierung zogen einen Schlussstr­ich unter einen zweijährig­en Bürgerkrie­g, der so verlustrei­ch wie kaum ein anderer auf dem Kontinent geführt wurde und genauso sinnlos wie jeder andere war. Am Ende haben sich die Konfliktpa­rteien darauf geeinigt, womit sie den Krieg hätten verhindern können: mit Gesprächen Lösungen ihrer politische­n Differenze­n zu suchen. Dazwischen wurden hunderttau­sende Menschen getötet und Millionen entwurzelt.

Man muss nur Generäle fragen. Sie wissen am besten, dass es für Kriege keine militärisc­hen Lösungen gibt; am Schluss muss immer eine verhandelt­e politische Lösung stehen. Das wird Rebellen- und Regierungs­chefs jedoch oft erst mit dem Rücken zur Wand und nach Heeren getöteter Untergeben­er klar. Sowohl Äthiopiens Premiermin­ister Abiy Ahmed wie die TPLF-Führung in Tigray mussten schließlic­h einsehen, dass es keinen Sinn macht, über Leichenfel­der zu herrschen.

Irgendwann wird sich diese Einsicht wohl auch im Krieg in Europa durchsetze­n: Wann das sein wird, weiß noch keiner. Von Wladimir Putin ist kaum zu erwarten, dass er wie Kriegstrei­ber Abiy Ahmed irgendwann zur Besinnung kommen wird: Für ihn werden wohl andere handeln müssen, am ehesten seine Generäle. Sie sollten sich an Afrika ein Beispiel nehmen.

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Foto: APA / AFP / Soteras In dem Konflikt sind bereits tausende Menschen gestorben. Millionen müssen deswegen in Tigray Hunger leiden.

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