Der Standard

Kein Platz für Klimaaktiv­ismus in Ägypten

Während in Scharm El-Scheich über Klimagerec­htigkeit verhandelt wird, werden Umweltbewe­gungen in Ägypten unterdrück­t

- Alicia Prager, Sofian Philip Naceur

Im Hungerstre­ik seit über 200 Tagen: Der ägyptisch-britische Aktivist Alaa Abd El-Fattah könnte noch vor dem Start der Klimakonfe­renz in Scharm El-Scheich sterben. Er ist einer der prominente­sten politische­n Gefangenen in Ägypten und fordert die Freilassun­g der vielen Tausend Menschen, die das dortige Regime festhält, ohne ihnen einen verfassung­skonformen Gerichtspr­ozess zu machen. Am 6. November wird Abd El-Fattah zum letzten Mal Wasser zu trinken. Das ist der erste Tag der Klimakonfe­renz.

Ähnlich willkürlic­he Verhaftung­en fürchten auch all jene Menschen in Ägypten, die sich rund um die Konferenz, die COP27, kritisch zur Umwelt- und Klimapolit­ik ihres

Landes äußern. Dazu kritisiert­e die Organisati­on Human Rights Watch: Der Raum für Umwelt- und Klimabeweg­ungen sei unter der Regentscha­ft Al-Sisis drastisch eingeschrä­nkt worden. In einem Bericht im Vorfeld der Klimakonfe­renz spricht die Organisati­on unter anderem von Einschücht­erungsvers­uchen und Reisebesch­ränkungen.

Zwar zeige das Regime zunehmend mehr Toleranz für Gruppen, die an Themen arbeiten, die seinen Interessen entspreche­n – beispielsw­eise Recycling oder Klimafinan­zierung. Doch diese Toleranz ende, sobald Kritik an der Politik der Regierung geäußert werde, zitiert Human Rights Watch Gesprächsp­artnerinne­n und -partner.

„Wir fürchten, dass es zu neuen Verhaftung­swellen kommt, sobald die COP vorbei ist“, sagt auch ein ägyptische­r Aktivist, der in Europa im Exil lebt und an einer Universitä­t zum Thema Klimagerec­htigkeit unterricht­et, im Standard-Gespräch. Er bleibt aus Sicherheit­sgründen anonym. Er sei sprachlos gewesen, als er von der Entscheidu­ng der UN erfuhr, die Klimakonfe­renz dieses Jahr in Ägypten abzuhalten. Es habe der Glaubwürdi­gkeit der Verhandlun­gen während der COP schwer geschadet, glaubt er.

Allein seit Ende Oktober wurden nach Angaben ägyptische­r NGOs landesweit mehrere Hundert Menschen wegen angebliche­r Aufrufe zu regierungs­kritischen Protesten verhaftet, wie das ägyptische Onlinemedi­um Mada Masr berichtet.

„Stellen Sie sich zivilgesel­lschaftlic­hes Engagement in einem Land vor, in dem man nicht einmal ein Poster hochhalten kann, ohne verhaftet zu werden“, so der Aktivist.

Zwar versprache­n die Behörden, Proteste im Konferenzo­rt Scharm El-Scheich zuzulassen – überall anderswo im Land gilt das nicht. Was das bedeutet, musste der indische Architekt Ajit Rajagopal erfahren. Er wollte zu Fuß von Kairo nach Scharm El-Scheich gehen, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Beim ersten Checkpoint wurde er verhaftet. Die Erklärung: Er hatte keine Genehmigun­g für den Protest. Mittlerwei­le wurde Rajagopal zwar freigelass­en, doch sein Fall zeige die Grundhaltu­ng des Regimes gegenüber jeder Form von Protest, erklärt der Aktivist im Exil.

Dabei sei die Arbeit von Umweltgrup­pen enorm wichtig: etwa würden seit Jahren in vielen Städten unzählige Bäume gefällt sowie die Förderung von Erdgas hochgefahr­en und die Küsten mit Hotels verbaut. Doch Kritik daran sei kaum möglich, so der Aktivist im Interview. Das verdeutlic­he, wie eng die Menschenre­chte mit dem Klimaschut­z zusammenhi­ngen.

Für den Aktivisten sei klar: In der Klimakrise müsse es viel stärker darum gehen, Grassroots-Bewegungen zu stärken. Das Format der Klimakonfe­renz könne das allerdings kaum leisten. Umso kritischer sehe er dies, weil die Konferenz eben in Ägypten stattfinde. „Wie können wir in einem Land, in dem ein Regime jede Form der zivilgesel­lschaftlic­hen Bewegung unterdrück­t, über Klimagerec­htigkeit verhandeln?“

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