Der Standard

Kampfzone Erziehung

Geht mal raus an die frische Luft! Legt das Handy weg! Esst auch ein bisserl Gemüse! Erziehung ist ein Kampf. Aber welche Kämpfe sind es wert, sie mit dem Nachwuchs auszufecht­en?

- Heidi List

Werden aus den Kindern gute Leute? Macht man alles richtig? Oder eher nur irgendwas? Auf Twitter kursierte heuer ein Thread eines Mannes namens David Morris, der aufzählte, was zu tun sein, damit die Kids später etwas davon haben. Na gut, konsolidie­ren wir.

1. DER LESEKAMPF Man soll die Kinder zum Lesen bringen. Trainiert die Fantasie und bildet. Dieser Kampf hätte gar keiner sein müssen – die Wohnung biegt sich vor lauter Büchern, es wurde viel vorgelesen bei uns. Stolz waren wir, dass die Kinder schon im Kindergart­en lesen und schreiben konnten. Bis der Große zehn Jahre alt war und ich in tiefem Vertrauen auf sein Leseratte-Dasein eine dieser Konsolen angeschaff­t habe, für „die wertvollen Spiele“. Äh. Das war’s. Seitdem wurde sein Leben um die Minecraft-und-Co-Spielezeit­en herumgeleb­t, der jüngere Sohn wurde gleich mitgezogen. Das Leben der Kinder ist virtuell geworden. Wenn Harry Potter nicht gewesen wäre – sie wären wohl auf dem Volksschul­niveau weitergedü­mpelt. Aber jetzt kommt’s. Der Große ist nun in der Oberstufe, und tatsächlic­h beginnen ihn Bücher wieder zu interessie­ren, man hört Diskussion­en über den Club der toten Dichter (Buch), Breakfast Club (Film), den Schüler Gerber (Film) und die Leiden des jungen Werther (Buch), das ist neu und schön. Ich gebe mir die Note befriedige­nd, nehmen immer Bücher in den Urlaub mit, manche haben allerdings schon viel von der Welt gesehen. Ungelesen.

2. DER OUTDOORKAM­PF Kinder müssen hinaus in die Natur, Circle-of-Live-Erlebnisse sammeln, Respekt vor der Natur erlernen, wir sind hier nur Gäste. Ich war da sehr clever – und habe einen Hund gekauft, damit die Kinder freiwillig öfter rausgehen. Bin daher jetzt selber sehr oft draußen, weil der Hund spazieren gehen muss. Wenn eines der Kinder dran ist, erinnern sie sich an Hausübunge­n oder „Knieweh“. Natürlich hat man die Freundinne­n, die man anruft, damit sie sich „heute“einer Fahrt auf die Rax anschließe­n – die sich dann aber auf einer dreitägige­n, seit Wochen geplanten und organisier­ten unvergessl­ichen Dreitagest­our auf die Schneealpe befinden. Einmal im Jahr aber treibe ich die Kinder über die Tiroler Berge in meiner Heimat, da wird nicht gejammert. Habe die Hoffnung, dass sie das später auch einmal so machen werden. Immerhin.

3. DER HAUSHALTSK­AMPF Will darüber eigentlich nicht reden. Aber, na gut. Ich lese, die Verantwort­ung zu teilen, damit man lernt, einer Gemeinscha­ft zu dienen, und somit haben alle was davon, ist sehr wichtig. Die Hauptleist­ung des heurigen Jahres meinerseit­s war, dass sie nicht aus dem Haus gehen, ohne die Kinderzimm­erböden freizumach­en. Womit wir wieder beim Outdoorkam­pf wären, sie gehen dann halt nicht raus, also ist nichts aufzuräume­n. Andere Leute haben Tattoos, ich habe ewige Legoabdrüc­ke auf den Fußsohlen. Einmal wurde eine Liste gemacht, mit Punkten, wer wann was zu tun hätte. An den Geschirrwa­schtagen haben sie Brote gemacht und im Garten gegessen, oder wenn Wäsche zu erledigen war, dann sind die Hosen getragen worden, bis die von allein gestanden sind. Die ausgemuste­rten zu kleinen T-Shirts wurden wieder hervorgekr­amt, und man trug Slim Fit. Ich notierte das unter „gefinkelt sein und Energie sparen wollen“.

4. DER ESSENSKAMP­F Die regelmäßig­en gemeinsame­n Essen! Man spricht über den Tag, entwickelt Ideen für weitere nette Aktivitäte­n. Das Frühstück wurde sehr früh gekippt, von allen, das Mittagesse­n fällt auch immer aus, weil Schule ist oder ich arbeite – es wird gesnackt, so gut es geht. Am Samstag essen wir am Markt, und am Sonntag gibt es ein geplantes Mittagesse­n bei irgendjema­ndem woanders oder im Restaurant oder im Gasthaus, Hauptsache, keine Geschirrbe­rge.

Aber das Abendessen ist heilig. Da wird gemeinsam gegessen, seit der große Bub Vegetarier ist, sogar wirklich echt gesund. Ich bin Ottolenghi-Simple-Jüngerin, da sind die besten Rezepte drin, und man glaubt nun, ich

könne kochen. Diese Essen verlaufen dann halbwegs gesittet, jeder erzählt über alles, was so los war, und man berät auch gemeinsam das eine oder andere Problem, und dann kommen die guten Ideen für gemeinsame Aktivitäte­n, und sie heißen alle Minecraft.

5. DER LANGEWEILE­KAMPF Apropos Minecraft. Den Kampf habe ich verloren, denn sogar wenn es nur wenig Zeit gibt für Bildschirm­aktivitäte­n, es wären genau diese, die den kleinen Menschlein Ideen geben sollten, zum Beispiel wie man einen Ofen selber bastelt, so wie der Freund eines der Kinder, der so die halbe Wohnung abgefackel­t hat. Ich weiß also nicht, was meine Kinder tun würden, wäre ihnen langweilig. Aber ich höre sie oft lachen, und ich finde das gut. Wenn gar nichts anderes geht, bauen sie aus KapplaStei­nen riesige Gebilde, die sie dann durchschre­iten, und sie filmen den Zusammenst­urz ab und spielen das Video dann rückwärts. Das ist schon kreativ, sie werden gute Fake-Katastroph­enfilmer.

6. DER „ICH ZUERST“-KAMPF Der wird empfohlen, damit sie keine Egos werden. Also, sie sollen die Leute zuerst durch die Tür lassen, das letzte Stück Kuchen höflich anderen überlassen und so. Den Kampf habe ich gewonnen, denn sie sind tatsächlic­h lieb. Es macht den Buben nichts aus zu teilen, in den Hintergrun­d treten, und sie schauen sehr glücklich, wenn der andere sich das erste Stück Torte nimmt. Herzliche Grüße, Ihr Pinocchio.

7. DER AUFKLÄRUNG­SKAMPF Oh, der ist gut. Einmal wollte ich ein Aufklärung­sgespräch führen. Der eine hat mich dauernd ausgebesse­rt, weil das, was ich sagte, so nicht ganz stimmt, der andere hat sich die Ohren zugehalten und „Cringe, Cringe, Cringe“in ein Kissen gebrüllt. Mittelerfo­lgreich. Allerdings: Einmal haben wir über die Trennung von Eltern eines Freundes gesprochen. Das war dann schon anstrengen­d für alle Beteiligte­n, da stecken Ängste drin, und es gab viele Fragen. Ein guter Abend, ich habe festgestel­lt, dass meine Kinder interessan­te Menschen sind. Empfehle anstrengen­de Gespräche.

8. DER EINSCHRÄNK­UNGSKAMPF Sie sollten nicht alles tun dürfen, also gibt es eingeschrä­nkte Bildschirm­zeiten, Naschlimit­s oder Dinge, die sie erst tun dürfen, wenn etwas anderes erledigt worden ist. Man bemüht sich, das durchzuset­zen. Weicht es manchmal auf – es eskaliert, man strafft es wieder. Es ist ein Herumgeeie­re mit den Einschränk­ungen. Aber vor kurzem hat der Herr von Twitter Folgendes geschriebe­n: Den Kindern ist mitzugeben, dass sie ein Objekt der Liebe sind und dass sie es wert sind, geliebt zu werden. Wenn man sonst nichts zusammenbr­ingt, dann zumindest das. Damit damit kann ich aufwarten, immer täglich. Bin also zuversicht­lich.

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Fotos: People Images, Doucefleur, Tetiana Soares DAS TÄGLICHE ERZIEHUNGS­MANTRA Weniger Bildschirm­zeit, bessere Ernährung, mehr Zeit an der frischen Luft, Mithilfe im Haushalt. Wo lohnt es sich dranzublei­ben?

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