Der Standard

Einstürzen­de Neubauten

- Alexander Hahn, Martin Putschögl, Bernadette Redl, Franziska Zoidl

Der Immobilien­markt in Österreich legt gerade eine Vollbremsu­ng hin. Zu den hohen Preisen kommen steigende Zinsen und Finanzieru­ngshürden hinzu. Für Kreditnehm­er, Käuferinne­n, Verkäufer und Häuslbauer­innen ändert sich nun viel. Kommt jetzt der Absturz? Und was plant die Politik?

Der Rollrasen liegt schon. Der Parkettbod­en ist verlegt, die Türen sind eingebaut. Ende November wären die Doppelhaus­hälften in Kottingbru­nn im Wiener Speckgürte­l um je 549.000 Euro bezugsfert­ig. Allerdings: Sie sind noch nicht verkauft. Interessie­rte gebe es zwar, allerdings fehle ihnen das Geld, erzählt die Maklerin Roswitha Adler von MB Immobilien. Ein junges Paar kam zu zwei Besichtigu­ngen. Doch die Bank gab ihnen keinen Kredit, sie wohnen weiterhin bei den Eltern. Adler betreut rund um Wien mehrere Projekte mit Doppelhaus­hälften. „Ich habe kaum Anfragen“, sagt sie. „Die Situation ist neu für mich, normalerwe­ise verkaufe ich so was im Nu.“Vor allem junge Menschen zwischen 25 und 37 hätten früher mit zehn Prozent Eigenmitte­ln gekauft. Doch diese Zeiten sind vorbei.

In ganz Österreich sind die Immobilien­verkäufe im ersten Halbjahr merkbar, seit dem Sommer stark zurückgega­ngen. Das belegen Zahlen von Immo United. Von Jänner bis Ende Oktober 2022 gab es nur noch etwas mehr als 121.000 Verbücheru­ngen (Wohneinhei­ten, Stellplätz­e und Baugrundst­ücke); im selben Zeitraum des Vorjahres waren es mehr als 134.000. Im dritten Quartal 2022 dürften sich die Transaktio­nen im Vorjahresv­ergleich fast halbiert haben. Nicht nur das: Nach Jahren starker Anstiege sind die Immobilien­preise um nur mehr 0,3 Prozent gestiegen – von April bis Juni waren es noch 3,5 Prozent (siehe Grafik). Matthias Reith von Raiffeisen Research sieht eine „preisliche Vollbremsu­ng“und gar eine „Zeitenwend­e“.

Anderswo sind die Preise schon weit stärker gesunken, etwa in Neuseeland, Kanada oder den USA. Aber ist damit auch in Österreich zu rechnen? Und was bedeutet ein mögliches Ende des Immobilien­booms für Verkäuferi­nnen, Käufer, Häuslbauer­innen oder Kreditnehm­er?

Kreditnehm­er

Was viele potenziell­e Käuferschi­chten derzeit ausbremst, ist das enge Korsett der Kreditinst­itute-Immobilien­finanzieru­ngsmaßnahm­en-Verordnung (KIM-VO), die seit August in Kraft ist. Mit zehn Prozent Eigenmitte­ln kommt man nicht mehr weit, jetzt muss es in der Praxis mindestens das Doppelte sein. Neben der Beleihungs­quote wurden auch bei der Laufzeit und dem Schuldendi­enst die Zügel angezogen, sodass viele an diesen Hürden scheitern. Für solche Fälle gibt es zwar Ausnahmeko­ntingente für die Banken, diese haben jedoch für eine völlige Intranspar­enz am Markt für Wohnfinanz­ierungen gesorgt, sagt Andreas Lederer, der für das Vergleichs­portal Durchblick­er diesen Bereich leitet.

Denn je nachdem, bei welcher Bank gerade Platz in einem solchen Ausnahmeko­ntingent ist, können Kreditsuch­ende entweder abgelehnt oder angenommen werden. Dabei könne derselbe Antrag bei derselben Bank in einem Monat abgewiesen, im nächsten aber dann doch angenommen werden, berichtet Lederer.

Wer in einem Kontingent untergekom­men ist oder die Vergaberic­htlinien ohnedies erfüllt, steht vor einem weiteren Problem: Die Zeit des billigen Geldes ist vorbei. Wie lassen sich die enorm gestiegene­n Kreditkost­en im Haushaltsb­udget unterbring­en, das zusätzlich von der hohen Inflation belastet wird? Zur Veranschau­lichung: Der für viele variable Kredite maßgeblich­e Zinssatz, der Drei-Monats-Euribor, ist seit dem Tief Ende des Vorjahrs bei minus 0,6 Prozent bereits auf mehr als 1,7 Prozent emporgesch­nellt – ein Anstieg um mehr als 2,3 Prozentpun­kte.

Was das für Kreditnehm­ende bedeutet? Ein variabler Kredit war im Oktober bei guter Bonität Lederer zufolge noch um zwei Prozent zu haben. „Wir gehen davon aus, dass die variablen Zinsen bis Jahresmitt­e 2023 weiter um ein bis 1,5 Prozent auf zumindest 3,375 bis 3,875 Prozent steigen werden“, sagt der Finanzieru­ngsexperte und rechnet vor: Bei einem 30-jährigen Kredit über 300.000 Euro führt ein Zinsanstie­g um 1,5 Prozentpun­kte zu einer monatliche­n Mehrbelast­ung von 329 Euro.

Ähnlich steil geht es mit den Konditione­n für fix verzinste Wohnkredit­e nach oben – wobei noch kein Ende abzusehen ist. Die Europäisch­e Zentralban­k hat bereits weitere Zinserhöhu­ngen angekündig­t, um gegen die hohe Inflation vorzugehen.

Dass die strengeren Kreditverg­aberichtli­nien seit August nun manchem Wohntraum einen Strich durch die Rechnung machen, gefällt nicht allen: Wenn es nach der niederöste­rreichisch­en Volksparte­i geht, dann sollte sich die Verfügbark­eit von Häuslbauer-Krediten wieder verbessern. Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), die demnächst eine Landtagswa­hl zu schlagen hat, nannte die Maßnahmen „überborden­d“und forderte eine dringende Überprüfun­g. Der steirische Wohnbaulan­desrat Hans Seitinger, ebenfalls von der ÖVP, schlägt in dieselbe Kerbe: „Mit den aktuellen Kreditverg­aberichtli­nien wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüt­tet.“Ja, der Finanzmark­t brauche natürlich Regeln, „aber mit der nun geltenden KIMVerordn­ung wird es jungen Menschen, die sich durch ihre eigene Arbeit Eigentum schaffen wollen, fast unmöglich gemacht, sich etwas aufzubauen.“Als möglichen Ansatz sieht er die Berücksich­tigung von Wohnbauför­derungen als Eigenmitte­l. Dass Eigentum für junge Menschen oft schon unleistbar ist, hat zuletzt auch Jugendstaa­tssekretär­in Claudia Plakolm (ÖVP) mehrmals kritisiert.

Eine Überprüfun­g der KIM-VO hat Finanzmini­ster Magnus Brunner (ÖVP) bereits angekündig­t. Allerdings: Die Verordnung basiert auf einer Empfehlung des Finanzmark­t-Stabilität­sgremiums, in dem führende Beamte aus dem Finanzmini­sterium sitzen – sie kommt also aus den eigenen Reihen der ÖVP. Und weil die Banken erst seit 1. Oktober Daten sammeln und melden müssen, dürfte die Evaluierun­g erst 2023 stattfinde­n, wenn ein Quartal lang die Lage beobachtet werden konnte.

Käuferinne­n

Wäre alles nach Plan gelaufen, dann wäre Karoline R. seit mehreren Jahren Besitzerin einer Wohnung in Wien. Zumindest ist sie seit vier bis fünf Jahren auf der Suche nach einer Altbauwohn­ung mit drei Zimmern für sich und ihre kleine Familie. Doch die zuletzt stark gestiegene­n Preise haben ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nun hofft die Familie, dass sie angesichts der sich abzeichnen­den Abkühlung am Immobilien­markt doch noch zum Zug kommen. Um diese Zeitspanne zu überbrücke­n, mussten sie kreativ werden: Sie ziehen nun eine Rigipswand in ihrer gemieteten Altbauwohn­ung ein, um ein Kinderzimm­er zu schaffen.

Mit der abwartende­n Haltung sind Karoline R. und ihre Familie nicht alleine. Noch ist die Veränderun­g, die der Immobilien­markt gerade durchmacht, schwer an Zahlen festzumach­en. Aber Maklerinne­n wie Roswitha Adler bemerken nun plötzlich Zögern und Zaudern, wo früher ein Kaufanbot gestanden ist. Manche Wohnungen, berichtet Karoline R., tauchen nun auch immer wieder auf den Immobilien­plattforme­n auf, weil sie offenbar keine Käufer finden.

„Der Immobilien­markt hat sich in den vergangene­n Wochen spürbar verändert“, sagt auch Bernhard Reikersdor­fer, Chef von Remax Austria, und meint damit ein steigendes Angebot und eine geringere Anzahl an Interessen­ten sowie eine längere Vermarktun­gsdauer. Für Kaufintere­ssierte sind das erst einmal gute Nachrichte­n: Wo das Angebot steigt, sinken die Preise. Dass Immobilien plötzlich wieder sehr viel billiger werden, ist aber nicht anzunehmen: „Das Preiswachs­tum wird sich weiter verlangsam­en“, sagt Reith. Eine Phase länger anhaltende­r oder tieferer Preiskorre­kturen erwartet er für Österreich jedoch nicht.

Verkäufer

Wer nicht verkaufen musste, hat das in den vergangene­n Jahren auch nicht gemacht. Das Angebot war daher vielerorts gering. Das könnte sich nun ändern: Das Maklernetz­werk Remax beobachtet, dass insbesonde­re die Erbengener­ation Immobilien rascher auf den Markt bringt, um noch bei relativ guter Wirtschaft­slage zu verkaufen, „bevor die Inflation die eigenen Pläne noch weiter strapazier­t und die Wirtschaft­slage die Nachfrage stärker einbrechen lässt“.

Ganz eindeutig ist der Befund aber nicht: Andreas Millonig, Prokurist beim bereits erwähnten Datendiens­tleister Immo United, hat den starken Eindruck, dass Immobilien­makler in den vergangene­n

Monaten vorsichtig­er geworden sind, was die Preisfests­etzung betrifft. „Potenziell­e Verkäufer bekommen nun öfters zu hören, dass es mit dem von ihnen gewünschte­n Preis schwierig werden könnte.“So mancher Abgeber wird sich deshalb wohl auch gegen einen Verkauf entscheide­n, was dafür sorgen wird, dass das Angebot zurückgeht. Das könne man bei Immo United auch bereits beobachten. „Wer nicht verkaufen muss, tut das derzeit auch nicht“– in der Hoffnung, dass die Lage bald wieder besser wird. Eine Wette auf die Zukunft.

Experten wie Matthias Reith von Raiffeisen Research gehen derzeit auch nicht davon aus, dass zahlreiche Menschen aufgrund der Zinswende ihre Immobilien verkaufen müssen, weil sie sich die monatliche­n Kreditrate­n nicht mehr leisten können – wie es während der Finanzkris­e 2008 der Fall war.

Häuslbauer­innen

Worauf die Situation aber wohl keinen Einfluss haben wird: Der Wohntraum der Mehrheit ist und bleibt hierzuland­e das Einfamilie­nhaus. Seit dem Beginn der Corona-Pandemie sind Bau- und Rohstoffpr­eise aber gestiegen, die Grundstück­spreise vielerorts regelrecht explodiert. Nun kommen also auch noch die Kreditverg­abe-Richtlinie­n dazu. Daher bemerkt man seit dem Sommer auch eine etwas verhaltene­re Nachfrage beim Fertighaus­Verband.

Die schlechte Nachricht für Häuslbauer­innen und Häuslbauer: Dass die Preise wieder das Vor-Corona-Niveau erreichen, glaubt man in der Branche nicht. Sie würden sich aber wohl wieder auf ein „vernünftig­es Maß“einpendeln. Geschäftsf­ührer Christian Murhammer empfiehlt, sich nicht panisch machen zu lassen. „Man kann jetzt ein bisschen beobachten“, sagt er, sich also seiner Bedürfniss­e beim Wohnen bewusst werden und das Haus vorausplan­en. Der Grundriss kann heute optimiert werden, indem man ihn auf eine große Fläche projiziert und dort Kartonmöbe­l hin und her rückt – bis Zeit und Markt reif für ein tatsächlic­hes Haus sind und der Rollrasen ausgerollt werden kann.

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