Der Standard

„Es geht uns nicht um Zustimmung“

Suppe und Püree auf Gemälden von Monet und van Gogh, festgekleb­te Hände auf Rahmen und Wänden: Klimaprote­ste finden inzwischen auch in Museen statt – und sorgen für Empörung. Wie weit darf Aktionismu­s gehen? Ein Streitgesp­räch.

- INTERVIEW: Lisa Breit, Jakob Pallinger

Gewinnt man mehr Menschen für den Klimaschut­z, indem man Kunstwerke mit Suppe bewirft? Darüber diskutiert­e DER STANDARD mit Martha Krumpeck und Harald Welzer. Krumpeck ist Mitglied der Bewegung Letzte Generation und klebt sich regelmäßig gemeinsam mit anderen an Straßen fest, um für eine andere Klimapolit­ik zu protestier­en. Harald Welzer ist Soziologe, wohl einer der streitbars­ten Intellektu­ellen Deutschlan­ds, und beschäftig­t sich ebenfalls mit der Klimakrise. Eine Debatte über Sinn und Unsinn der aktuellen Protestmet­hoden.

Standard: Frau Krumpeck, was steckt dahinter, dass jetzt nicht mehr nur demonstrie­rt wird, sondern Aktivistin­nen und Aktivisten sich auch auf Straßen festkleben oder Gemälde mit Suppe bewerfen? Warum machen Sie das? Krumpeck: Wir haben alles andere versucht – und es hat leider nicht gereicht. Wir waren demonstrie­ren, haben die Proteste einladend gestaltet, aber es hat leider nicht funktionie­rt. Stören, sich in den Weg stellen, auf die Nerven gehen ist offenbar das Einzige, bei dem die Politik nicht mehr sagen kann: Wir sitzen das aus. Sie müssen in irgendeine­r Form handeln.

Standard: Was bringen solche Aktionen tatsächlic­h für den Klimaschut­z? Krumpeck: Erstaunlic­h viel! Erstens bekommen wir Aufmerksam­keit, viel mehr als mit irgendeine­m anderen Mittel. Gleichzeit­ig braucht man enorm wenig Budget. Bei den Gemäldeakt­ionen zum Beispiel benötigt man nur eine Dose Erdäpfelpü­ree, eine Dose Superklebe­r, zwei T-Shirts, Eintrittsk­arten – und schon ist man auf den Titelseite­n internatio­naler Zeitungen. Mit welcher anderen Aktionsfor­m könnte man so etwas erreichen?

Standard: Herr Welzer, Sie beschäftig­en sich als Soziologe unter anderem mit der Klimakrise. Auch Sie sagen, dass es dringend notwendig ist, dass man die Zerstörung stoppt – genau dasselbe Ziel, das auch die Letzte Generation hat. Trotzdem sehen Sie die Bewegung kritisch. Warum? Welzer: Formen zivilen Ungehorsam­s haben alle Protestbew­egungen entwickelt, und Frau

Krumpeck hat auch recht, wenn sie sagt, dass ihr Protest sehr viel Aufmerksam­keit erzeugt. Aber ich stelle mir einige Fragen, zum Beispiel zum Protestmit­tel des Klebens. Das hat für mich so eine statische Metaphorik – eine Bewegung sollte sich doch eigentlich bewegen. Außerdem frage ich mich, wieso sie die Letzte Generation heißt? Keine Generation sollte für sich beanspruch­en, die letzte zu sein.

Krumpeck: Unser Name kommt von einem Zitat des ehemaligen US-Präsidente­n Barack Obama, der sagte: Wir sind die erste Generation, die die Folgen der Klimakrise spürt, und die letzte, die noch etwas dagegen tun kann.

Standard: Und warum das Festkleben? Krumpeck: Weil es ein effektives Mittel ist. Eine Blockade ohne Festkleben hält, wenn die Polizei da ist, vielleicht 15 Minuten. Eine Blockade mit Festkleben dauert um eine Dreivierte­lstunde länger. Der Störfaktor ist größer.

Welzer: Ja, Sie erzeugen Aufmerksam­keit. Aber die Leute sagen nicht: Wow, das, was die da machen, ist supercool! Sie erzeugen eine Aufmerksam­keit voller Ablehnung.

Krumpeck: Es geht uns nicht darum, für unsere Aktionsfor­men die Zustimmung einer Mehrheit zu bekommen, wir wollen zeigen: Es gibt da Menschen, die sich die Vernichtun­g unserer Lebensgrun­dlage nicht mehr gefallen lassen und die sich sogar an einer Straße festkleben, um dagegen zu protestier­en. Wir wollen aufrütteln.

Welzer: Da haben wir eine starke Differenz. Grundsätzl­ich bin ich auch der Auffassung, dass man gegen die Erderhitzu­ng mobilisier­en muss. Die Frage ist nur, wie. Ein Beispiel: Bei seinen ersten Aktionen hat sich Greenpeace mit Walfängern oder Energiekon­zernen angelegt. Die Leute dachten dann: Die haben einen Punkt! Ich habe nicht den Eindruck, dass das, was Sie machen, zu einem vergleichb­aren Effekt führt.

Krumpeck: Es gab auch von der Klimabeweg­ung eine Aktion nach der anderen, oft genau bei den Verantwort­lichen. Das Problem ist: Sie sitzen fernab der Öffentlich­keit und gut geschützt. Außerdem sind wir längst nicht mehr an dem Punkt, dass die Menschen den Klimaschut­z nicht am Schirm haben. Die Mehrheit sagt bereits, dass sich etwas ändern muss. Jetzt braucht es Maßnahmen.

Standard: Es wird derzeit sehr viel über die Art des Protests diskutiert, vor allem seit in Museen Brei und Suppe auf Gemälden landen. Wen empört das und warum?

Krumpeck: Es empört hauptsächl­ich Bildungsbü­rger:innen, die sich im ersten Moment nur darüber aufregen, was wir da mit diesen wunderschö­nen, unglaublic­h wertvollen Kunstwerke­n tun. Übrigens gar nichts, denn sie sind gut geschützt hinter Glas.

Welzer: Warum Kunst genau das Objekt für solche Aktionen sein soll, ist für viele und auch für mich nicht nachvollzi­ehbar. Wieso ausgerechn­et Kunst? Wenn sie ernst gemeint ist, ist Kunst doch eines der ganz wenigen Dinge, die sich durch die kapitalist­ische Verwertung­smaschine nicht vereinnahm­en lassen. Abgesehen davon finde ich die Aktionen albern. Ich weiß nicht, wieso Tomatensup­pe und Kartoffelb­rei eine politische Äußerung sein sollen.

Krumpeck: Mit welcher anderen Methode kann man um diesen Preis – und ohne etwas kaputtzuma­chen – so viel erreichen? Wenn von den Menschen nur ein kleiner Teil anfängt nachzudenk­en, waren wir erfolgreic­h. Außerdem haben wir zum Beispiel auch schon Show-Rooms von Luxusautog­eschäften mit oranger Farbe verziert.

Standard: Denken die Menschen anders, wenn es um Autos geht, Herr Welzer?

Welzer: Dann können sie zumindest die Verbindung herstellen. Den Zusammenha­ng zwischen der Erderhitzu­ng und der Kunst erkennt man einfach nicht. Für mich ist politische­s Denken immer auch mit der Aufklärung über Ursache und Wirkung verbunden.

Krumpeck: Die Bewegung für ein Frauenwahl­recht im Vereinigte­n Königreich, die Suffragett­en, haben es auch geschafft, das Thema Feminismus in der Öffentlich­keit zu platzieren, indem sie mit Steinen Schaufenst­erscheiben eingeschla­gen haben.

Welzer: Aufmerksam­keit ist doch kein Wert an sich! Die Aktionen stören den Betrieb – aber die Empörung der Menschen richtet sich nicht gegen Erderhitzu­ng oder Energieunt­ernehmen, sondern gegen die Letzte Generation. Bei aller grundlegen­den Befürwortu­ng von Protest: Die Art, wie Sie glauben, eine politische Wirkung erzeugen zu können, wird nicht funktionie­ren.

Krumpeck: Haben Sie einen besseren Vorschlag? Wir haben in den letzten Jahren so viele Methoden probiert, die ignoriert wurden. Jetzt sind wir bei einer Methode, die zumindest nicht ignoriert werden kann.

Standard: Wie weit darf Aktivismus gehen? Welzer: Er darf nicht so weit gehen, dass Menschen dabei zu Schaden kommen. Sonst steht es in der Verantwort­ung der Protestier­enden, was sie vertreten können. Die Grenze ist schwimmend. Wir hatten in Berlin etwa gerade den unglücklic­hen Fall, dass es einen schlimmen Verkehrsun­fall gab und ein Rettungsfa­hrzeug offenbar nicht schnell genug zum Unfallopfe­r kommen konnte, weil Aktivisten die Strecke blockiert hatten. Selbst wenn man natürlich nicht alle Folgen kalkuliere­n kann, ist das schwer zu verantwort­en.

Krumpeck: Der Hirntod der Radfahreri­n ist eine Tragödie. Die Berichters­tattung darüber aber gleicht einer Hetzkampag­ne. Der Unfall ist passiert, weil die Frau sich die Straße mit einem Betonmisch­er teilen musste. Die Feuerwehr steckte fest, weil Autos wieder einmal die Rettungsga­sse verstopfte­n. Wo ist die Aufregung darüber? Wenn wir uns ankleben, bleibt immer eine Spur frei – der Mensch, der dort sitzt, kann aufstehen und Platz machen. Wir lassen Notfälle und Einsatzfah­rzeuge durch. Und im Übrigen war in dem konkreten Fall gar niemand an die Autobahn geklebt, die Polizei hat den Verkehr gesperrt.

Welzer: So zu argumentie­ren erscheint mir zynisch.

Krumpeck: Wenn Menschen durch unsere Aktionen Schaden erleiden, dann tut uns das in jedem einzelnen Fall leid. Wir wollen uns nicht in den Weg stellen, aber wir wissen kein anderes Mittel.

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Lebensmitt­el auf berühmten Kunstwerke­n in europäisch­en Museen erzeugen Aufmerksam­keit – aber bringt das den Klimaschut­z voran?
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Foto: APA / Florian Wieser Martha Krumpeck von Letzte Generation.
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Foto: Imago / Jürgen Heinrich Harald Welzer, deutscher Soziologe.

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