„Es geht uns nicht um Zustimmung“
Suppe und Püree auf Gemälden von Monet und van Gogh, festgeklebte Hände auf Rahmen und Wänden: Klimaproteste finden inzwischen auch in Museen statt – und sorgen für Empörung. Wie weit darf Aktionismus gehen? Ein Streitgespräch.
Gewinnt man mehr Menschen für den Klimaschutz, indem man Kunstwerke mit Suppe bewirft? Darüber diskutierte DER STANDARD mit Martha Krumpeck und Harald Welzer. Krumpeck ist Mitglied der Bewegung Letzte Generation und klebt sich regelmäßig gemeinsam mit anderen an Straßen fest, um für eine andere Klimapolitik zu protestieren. Harald Welzer ist Soziologe, wohl einer der streitbarsten Intellektuellen Deutschlands, und beschäftigt sich ebenfalls mit der Klimakrise. Eine Debatte über Sinn und Unsinn der aktuellen Protestmethoden.
Standard: Frau Krumpeck, was steckt dahinter, dass jetzt nicht mehr nur demonstriert wird, sondern Aktivistinnen und Aktivisten sich auch auf Straßen festkleben oder Gemälde mit Suppe bewerfen? Warum machen Sie das? Krumpeck: Wir haben alles andere versucht – und es hat leider nicht gereicht. Wir waren demonstrieren, haben die Proteste einladend gestaltet, aber es hat leider nicht funktioniert. Stören, sich in den Weg stellen, auf die Nerven gehen ist offenbar das Einzige, bei dem die Politik nicht mehr sagen kann: Wir sitzen das aus. Sie müssen in irgendeiner Form handeln.
Standard: Was bringen solche Aktionen tatsächlich für den Klimaschutz? Krumpeck: Erstaunlich viel! Erstens bekommen wir Aufmerksamkeit, viel mehr als mit irgendeinem anderen Mittel. Gleichzeitig braucht man enorm wenig Budget. Bei den Gemäldeaktionen zum Beispiel benötigt man nur eine Dose Erdäpfelpüree, eine Dose Superkleber, zwei T-Shirts, Eintrittskarten – und schon ist man auf den Titelseiten internationaler Zeitungen. Mit welcher anderen Aktionsform könnte man so etwas erreichen?
Standard: Herr Welzer, Sie beschäftigen sich als Soziologe unter anderem mit der Klimakrise. Auch Sie sagen, dass es dringend notwendig ist, dass man die Zerstörung stoppt – genau dasselbe Ziel, das auch die Letzte Generation hat. Trotzdem sehen Sie die Bewegung kritisch. Warum? Welzer: Formen zivilen Ungehorsams haben alle Protestbewegungen entwickelt, und Frau
Krumpeck hat auch recht, wenn sie sagt, dass ihr Protest sehr viel Aufmerksamkeit erzeugt. Aber ich stelle mir einige Fragen, zum Beispiel zum Protestmittel des Klebens. Das hat für mich so eine statische Metaphorik – eine Bewegung sollte sich doch eigentlich bewegen. Außerdem frage ich mich, wieso sie die Letzte Generation heißt? Keine Generation sollte für sich beanspruchen, die letzte zu sein.
Krumpeck: Unser Name kommt von einem Zitat des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, der sagte: Wir sind die erste Generation, die die Folgen der Klimakrise spürt, und die letzte, die noch etwas dagegen tun kann.
Standard: Und warum das Festkleben? Krumpeck: Weil es ein effektives Mittel ist. Eine Blockade ohne Festkleben hält, wenn die Polizei da ist, vielleicht 15 Minuten. Eine Blockade mit Festkleben dauert um eine Dreiviertelstunde länger. Der Störfaktor ist größer.
Welzer: Ja, Sie erzeugen Aufmerksamkeit. Aber die Leute sagen nicht: Wow, das, was die da machen, ist supercool! Sie erzeugen eine Aufmerksamkeit voller Ablehnung.
Krumpeck: Es geht uns nicht darum, für unsere Aktionsformen die Zustimmung einer Mehrheit zu bekommen, wir wollen zeigen: Es gibt da Menschen, die sich die Vernichtung unserer Lebensgrundlage nicht mehr gefallen lassen und die sich sogar an einer Straße festkleben, um dagegen zu protestieren. Wir wollen aufrütteln.
Welzer: Da haben wir eine starke Differenz. Grundsätzlich bin ich auch der Auffassung, dass man gegen die Erderhitzung mobilisieren muss. Die Frage ist nur, wie. Ein Beispiel: Bei seinen ersten Aktionen hat sich Greenpeace mit Walfängern oder Energiekonzernen angelegt. Die Leute dachten dann: Die haben einen Punkt! Ich habe nicht den Eindruck, dass das, was Sie machen, zu einem vergleichbaren Effekt führt.
Krumpeck: Es gab auch von der Klimabewegung eine Aktion nach der anderen, oft genau bei den Verantwortlichen. Das Problem ist: Sie sitzen fernab der Öffentlichkeit und gut geschützt. Außerdem sind wir längst nicht mehr an dem Punkt, dass die Menschen den Klimaschutz nicht am Schirm haben. Die Mehrheit sagt bereits, dass sich etwas ändern muss. Jetzt braucht es Maßnahmen.
Standard: Es wird derzeit sehr viel über die Art des Protests diskutiert, vor allem seit in Museen Brei und Suppe auf Gemälden landen. Wen empört das und warum?
Krumpeck: Es empört hauptsächlich Bildungsbürger:innen, die sich im ersten Moment nur darüber aufregen, was wir da mit diesen wunderschönen, unglaublich wertvollen Kunstwerken tun. Übrigens gar nichts, denn sie sind gut geschützt hinter Glas.
Welzer: Warum Kunst genau das Objekt für solche Aktionen sein soll, ist für viele und auch für mich nicht nachvollziehbar. Wieso ausgerechnet Kunst? Wenn sie ernst gemeint ist, ist Kunst doch eines der ganz wenigen Dinge, die sich durch die kapitalistische Verwertungsmaschine nicht vereinnahmen lassen. Abgesehen davon finde ich die Aktionen albern. Ich weiß nicht, wieso Tomatensuppe und Kartoffelbrei eine politische Äußerung sein sollen.
Krumpeck: Mit welcher anderen Methode kann man um diesen Preis – und ohne etwas kaputtzumachen – so viel erreichen? Wenn von den Menschen nur ein kleiner Teil anfängt nachzudenken, waren wir erfolgreich. Außerdem haben wir zum Beispiel auch schon Show-Rooms von Luxusautogeschäften mit oranger Farbe verziert.
Standard: Denken die Menschen anders, wenn es um Autos geht, Herr Welzer?
Welzer: Dann können sie zumindest die Verbindung herstellen. Den Zusammenhang zwischen der Erderhitzung und der Kunst erkennt man einfach nicht. Für mich ist politisches Denken immer auch mit der Aufklärung über Ursache und Wirkung verbunden.
Krumpeck: Die Bewegung für ein Frauenwahlrecht im Vereinigten Königreich, die Suffragetten, haben es auch geschafft, das Thema Feminismus in der Öffentlichkeit zu platzieren, indem sie mit Steinen Schaufensterscheiben eingeschlagen haben.
Welzer: Aufmerksamkeit ist doch kein Wert an sich! Die Aktionen stören den Betrieb – aber die Empörung der Menschen richtet sich nicht gegen Erderhitzung oder Energieunternehmen, sondern gegen die Letzte Generation. Bei aller grundlegenden Befürwortung von Protest: Die Art, wie Sie glauben, eine politische Wirkung erzeugen zu können, wird nicht funktionieren.
Krumpeck: Haben Sie einen besseren Vorschlag? Wir haben in den letzten Jahren so viele Methoden probiert, die ignoriert wurden. Jetzt sind wir bei einer Methode, die zumindest nicht ignoriert werden kann.
Standard: Wie weit darf Aktivismus gehen? Welzer: Er darf nicht so weit gehen, dass Menschen dabei zu Schaden kommen. Sonst steht es in der Verantwortung der Protestierenden, was sie vertreten können. Die Grenze ist schwimmend. Wir hatten in Berlin etwa gerade den unglücklichen Fall, dass es einen schlimmen Verkehrsunfall gab und ein Rettungsfahrzeug offenbar nicht schnell genug zum Unfallopfer kommen konnte, weil Aktivisten die Strecke blockiert hatten. Selbst wenn man natürlich nicht alle Folgen kalkulieren kann, ist das schwer zu verantworten.
Krumpeck: Der Hirntod der Radfahrerin ist eine Tragödie. Die Berichterstattung darüber aber gleicht einer Hetzkampagne. Der Unfall ist passiert, weil die Frau sich die Straße mit einem Betonmischer teilen musste. Die Feuerwehr steckte fest, weil Autos wieder einmal die Rettungsgasse verstopften. Wo ist die Aufregung darüber? Wenn wir uns ankleben, bleibt immer eine Spur frei – der Mensch, der dort sitzt, kann aufstehen und Platz machen. Wir lassen Notfälle und Einsatzfahrzeuge durch. Und im Übrigen war in dem konkreten Fall gar niemand an die Autobahn geklebt, die Polizei hat den Verkehr gesperrt.
Welzer: So zu argumentieren erscheint mir zynisch.
Krumpeck: Wenn Menschen durch unsere Aktionen Schaden erleiden, dann tut uns das in jedem einzelnen Fall leid. Wir wollen uns nicht in den Weg stellen, aber wir wissen kein anderes Mittel.