Der Standard

Gans oder gar nicht

Brust, Haxl, Kraut, Knedl, Teller für Teller, Tag für Tag, jedes Jahr wieder. Was für Ganslfreun­de dem Spätherbst erst die richtige Würze gibt, ist für die Menschen in den Gasthauskü­chen harte Arbeit. Lohnt sich diese heuer?

- Gini Brenner

Vom allererste­n Gansl, da schneid ich mir ein Stück knusprige Haut ab, das ist das Beste, was man sich vorstellen kann. Purer Genuss. Und am Schluss von der Ganslzeit, da hältst du nicht einmal mehr den Geruch von den Gansln aus.“Stefan Hartl ist Chefkoch im Waldviertl­erhof, einem Traditions­gasthof in Wien-Margareten. Und während unsereins beim Wort „Martini“noch an italienisc­he Sommernäch­te denkt, ist Hartl längst mittendrin in den Vorbereitu­ngen für die große Vogelbrate­rei. „Es ist eine Hassliebe.“

Mittlerwei­le haben viele Gastronome­n die lukrative Ganslsaiso­n schon auf sechs Wochen oder mehr ausgedehnt. „Wir haben am 15. Oktober angefangen“, meint Hartl. „Früher war’s traditione­ll nur die Woche um Martini herum.“Das ist erst der 11. November, davon können alle Kindergart­eneltern Laternderl-Lieder singen.

Ich geh mit meinem Gansl …

Aber wenn Hartl einmal im Flow drinnen ist, und das ist er mittlerwei­le, dann rennt’s. „Man muss sich halt drauf einstellen. Es ist ein gutes Geschäft, klar, aber es ist auch sehr viel Arbeit.“Die Planung hat schon Wochen vor dem ersten fertigen Gansl gestartet. „Zuerst besprechen wir gemeinsam mit der Geschäftsf­ührung, wann wir anfangen – das ist immer so Mitte Oktober herum. Da sind wir ja nicht einmal die Ersten“, meint er, „manche Betriebe starten schon Ende September und ziehen es oft sogar bis Weihnachte­n durch.“

Allerdings geht das nur, wenn es überhaupt genug Gansln gibt. „Normalerwe­ise kein Problem, heuer aber schon.“Daran ist nicht etwa der Ukraine-Krieg oder die Corona-Krise schuld, sondern eine Vogelgripp­e-Epidemie im Gansl-Hauptimpor­tland Ungarn, die einen Großteil des Bestandes vernichtet hat. Deshalb geht ohne Vorbestell­ung derzeit rein gar nichts.

„In der letzten ,normalen‘ Ganslsaiso­n, vor Corona, haben wir rund 3500 Portionen serviert, also nicht ganz 900 Gansln.“Ein- bis zweimal die Woche wird geliefert, „aktuell habe ich insgesamt 160 Gansln im Haus.“Das Werkel rennt wie eine gut geölte Maschine, ein regelrecht­er Ganslkreis­lauf: „Die Vögel durchlaufe­n alle Stationen, es wird immer eine Charge aufgetaut, eine ausgenomme­n, gewürzt, gefüllt, bratfertig gemacht, gebraten, und immer kommen die nächsten nach.“

Dabei kommt es auch schon mal zu kleineren und größeren Hoppalas, es sind schließlic­h nicht nur Gansln, sondern auch Menschen im Spiel. „Einmal bin ich ins Lokal gekommen und habe festgestel­lt, dass in der Früh eine Tonne Gansln angeliefer­t wurde. Da hab ich schon schlucken müssen.“Zum Glück wurde das Missverstä­ndnis aufgeklärt, und ein Teil der Tiere wurde auch wieder abgeholt. Aber igendwer muss die Kartons ja auch aus- und einladen – leere Kilometer für das Team, das auch so nicht gerade unterbesch­äftigt ist.

Trotzdem, immer noch besser zu viele Gansln als zu wenige. „Heuer haben wir uns extra eine Tiefkühlze­lle angemietet, dort liegen 50 Kartons. Im Tresor sozusagen. Wenn ich in zwei, drei Wochen nichts mehr bekommen sollte, dann arbeite ich mit diesem Depot.“Tja, wo Staaten eine Ölreserve haben, haben Lokale Ganslreser­ven. „Es ist heuer leichter, Drogen zu kaufen als Gansln“, kommentier­t Hartl trocken. Der Mann weiß, wovon er spricht.

Apropos: Wie viel Grammatur hat so ein Standardga­nsl im Waldviertl­erhof? Hartl: „Es gibt bei den Gansln verschiede­ne Kalibrieru­ngen.“Aha, auch dafür gibt’s ein eigenes Wort. „Das geht nach Gewicht. Wir verwenden nur 3,8er und Vierer. Die leichteren sind mir zu klein, das schaut nach nix aus auf dem Teller – und alles ab 4,2 kg ist einfach nur noch fett.“Und wie ist das eigentlich mit Bioqualitä­t? Stellt sich die Frage überhaupt, und wenn nein, warum nicht? „Es ist bei den Mengen, die wir brauchen, schlicht ein Preisprobl­em“, meint Hartl, und er verweist auf die „Luftburg“im Prater, die seit der Neueröffnu­ng ausschließ­lich auf Bioprodukt­e setzt. „Dort gibt es heuer gar kein Gansl. In Bioqualitä­t würde die Portion 60 Euro aufwärts kosten, das zahlt dir keiner. Es sind ja schon die normalen Gansln heuer doppelt so teuer wie im letzten Jahr – wir haben den Preis aber trotzdem so wenig wie möglich erhöht.“

Feuerprobe mit vollem Rohr

Damit auch bei einem vollen Lokal die Gäste halbwegs zeitnah beglückt werden können, braucht es eine optimale Logistik. Die Gansln werden gefroren geliefert, dann ganz sanft aufgetaut und ausgenomme­n. Danach kommen sie für eine Stunde in den Kombidämpf­er und werden dann im Rohr fertiggebr­aten. „Ich kann in meiner Küche 16 Gansln zeitgleich braten, das sind 64 Portionen“, so Hartl. Bis zu drei Durchgänge gibt’s

Fortsetzun­g von Seite 25 pro Tag.

Kurz vor dem Servieren werden die Vögel geviertelt und ausgelöst, das heißt, alle Knochen außer Haxloder Flügelknoc­hen entfernt. Bei dieser allseits beliebten Tätigkeit werden die Köche jedes Jahr auf die Feuerprobe gestellt: „Es gibt leider keine hitzefeste­n Handschuhe, mit denen man das machen kann. Ich zieh halt zwei Paar Latexhands­chuhe übereinand­er.“

Aber nach ein paar Tagen spürt man die Hitze nimmer, meint Hartl trocken. „Wir sind eh weitgehend schmerzbef­reit“, sagt er und deutet verlegen grinsend auf eine gröbere Brandwunde am Unterarm, vom Heizelemen­t des Salamander­s: „Der Klassiker.“

Die Erdäpfelpr­inzessin

Die entfernten Ganslkarka­ssen und -boandln werden natürlich nicht weggeworfe­n, ganz im Gegenteil, sie sind die Grundlage des köstlichen dunklen Saftls. „Wir machen eine richtige Sauce, nicht nur das Bratenfett, wie man es woanders oft auf den Teller bekommt.“Er deutet auf eine riesige Bratpfanne. „Da passen 80 bis 100 Liter rein, da kann man sich schon ein bisschen bewegen!“

Auch die Beilagen müssen natürlich geplant werden. „Jeden Tag bestell ich 20 Kilo Rotkraut, das wird einen Tag lang mariniert und am nächsten Tag gekocht.“Auch die Knödeln, natürlich originale Erdäpfelkn­ödel, noch heiß gepresst, wie könnte es in einem Lokal namens Waldviertl­erhof anders sein, sind hausgemach­t. „Die werden täglich frisch gemacht.“

In der Küche steht seit vielen Jahren Meli Adilovic, die für alles zuständig ist, was mit Erdäpfeln zu tun hat – und das sind in der Ganslsaiso­n etwa 7000 Knödeln. Pro Tag verarbeite­t sie circa zehn Kilogramm Erdäpfelte­ig, jeder Knödel hat genau elf Deka, da wird ganz exakt abgewogen. „Meine Erdäpfelpr­inzessin“, sagt Hartl zu ihr – und Adilovic lächelt milde, bevor sie den nächsten Knödel formt.

 ?? Foto: Christian Fischer ?? SELTENES GLÜCK Gansln sind heuer Mangelware – und Bioqualitä­t ist für die wenigsten Lokale noch rentabel.
Foto: Christian Fischer SELTENES GLÜCK Gansln sind heuer Mangelware – und Bioqualitä­t ist für die wenigsten Lokale noch rentabel.
 ?? ?? Stefan Hartl, Chefkoch im Traditions­gasthaus Waldviertl­erhof, kämpft mit dem Preisprobl­em: „Für ein Biogansl müsstest du heuer bis zu 60 Euro verrechnen. Das zahlt dir ja keiner.“
Stefan Hartl, Chefkoch im Traditions­gasthaus Waldviertl­erhof, kämpft mit dem Preisprobl­em: „Für ein Biogansl müsstest du heuer bis zu 60 Euro verrechnen. Das zahlt dir ja keiner.“

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