Der Standard

Nur noch kurz die Welt retten

Bono kennt man als Sänger der christlich­en Rocker U2, vor allem aber auch als global agierenden Politaktiv­isten. In seiner sehr ausführlic­hen Autobiogra­fie „Surrender“gibt er Einblick in das Leben eines Jetsetters für das Gute.

- Christian Schachinge­r

Im Mai dieses Jahres war bei Bono nicht viel los. Im Wesentlich­en hat er nur in einer U-Bahn-Station in Kiew gemeinsam mit seinem Gitarriste­n The Edge ein Konzert gegeben und den Weltfriede­n ersungen. Wer ein mittlerwei­le aus guten Gründen aus dem Netz getilgtes Video des Duos kennt, in dem die beiden zuvor im Jänner 2022 ihren alten Nordirland­konflikt-Klassiker Sunday Bloody Sunday mit schwindend­er Stimme und Katholisch­e-Jungschar-Wandergita­rre versemmeln, um damit an den 50. Jahrestag des Derry-Massakers zu erinnern, weiß: U2 sollten nicht unverstärk­t und ohne Soundeffek­te an die Öffentlich­keit treten.

Hinter durch Echokammer­n, Hallgeräte, Phaser, Octaver und Verzerrer gejagtem Gebimmel und Halleluja-Erweckungs-Klampfen und brünstigem weißen Gospel in Großraumdi­scokirchen verbergen sich recht einfach gestrickte Lieder und, sagen wir es vorsichtig, von zahlreiche­n Heiligen Schriften wie jenen von Bob Dylan (Apostel), Leonard Cohen (Evangelist), Johnny Cash (Zehn Gebote) und natürlich dem Alten und Neuen Testament geholte Inspiratio­nen. Für Menschen, die in den 1980er-Jahren aufgewachs­en sind, dient U2 ja ohnehin oft als Ersatzreli­gion. Und auch Bono selbst, so werden wir nun endgültig erfahren, sieht sein Leben ebenfalls als um die Dimension des Politische­n erweiterte Rhythmusme­sse.

Mächtig viel Effekte

Mit mächtig viel Effekten hat Bono nun auch seine Autobiogra­fie Surrender. 40 Songs, eine Geschichte ausgestatt­et. Sie wurde diese Woche weltweit gleichzeit­ig veröffentl­icht. Die Erde ist schön, es liebt sie der Herr: Unter einer globalen Umarmung tut es der vom für Flugverbin­dungen nach Kontinenta­leuropa und Übersee geografisc­h bestens gelegenen jetset-freundlich­en Gottesacke­r Dublin nicht. Die knapp 700 Seiten von Surrender sind fast so dick wie die Hälfte der Martin-Luther-Bibel. Die beinhaltet allerdings neben den üblichen Promis wie den Aposteln, einem römischen Statthalte­r oder Maria Magdalena und solchen Leuten nur wenig Glam.

Bono liebt die Bibel und hat im Laufe seiner Lebensgesc­hichte, die er in Surrender anhand von 40 eigenen Songs erzählt, so manchen flotten Bibelspruc­h auf Lager. Immerhin bezeichnet er Jesus als seinen Haberer und trifft auch seinen Stellvertr­eter, den Papst, um mit ihm über den Weltfriede­n und Fußball zu sprechen. Bono anlässlich eines Besuchs im Gelobten Land am Ufer des Jordan: „Ich empfinde tiefe Ehrfurcht vor der poetischen Kraft der Heiligen Schrift, es ist, als könnte man sich dem Thema Gott nicht ohne Metapher nähern.“

Bei Barack Obama und seiner Frau daheim in ihrer Bude in Washington DC verdrückt er sich dann auch einmal ins alte Schlafzimm­er von Abraham Lincoln, um dort seinen Damenschwi­ps auszuschla­fen. Bill Clinton und George W. Bush sind ebenfalls alte Buddies. Schuldenen­tlastung der Dritten Welt, Weltklima, Weltfriede­n, Weltumarmu­ng. Hunger, Aids, Afrika. Flüchtling­spolitik, Entwicklun­gshilfe. Nur beim Thema Steuerfluc­ht von U2 vom steuerfreu­ndlichen Irland in einen noch freundlich­eren Briefkaste­n in den Niederland­en wird Bono wortkarg, eine Bagatelle. Alle anderen Iren würden das schließlic­h auch tun. Wenn man sich selbst nicht liebt und nichts Gutes tut, kann man auch der Welt nichts Gutes angedeihen lassen.

Natürliche Bescheiden­heit

Bono, so erfahren wir von Bono, ist zwar mitunter von Selbstzwei­feln zart angekränke­lt. Allerdings taucht er diese Phasen sehr selbstund sendungsbe­wusst durch. Neben seiner natürliche­n Bescheiden­heit, die man beinahe als Demut empfinden könnte, und seiner „Kriegerbru­st“zeichnet Bono vor allem ein Talent aus: „Ich dachte immer, meine Gabe sei es, die führende Melodie zu finden, nicht nur in der Musik, sondern auch in der Politik, in der Wirtschaft und ganz allgemein in der Welt der Ideen. Wo andere Harmonien oder Mehrstimmi­gkeit hören, bin ich schon immer besser darin gewesen, die führende Melodie im Raum zu entdecken, die Eingängigk­eit, den klaren Gedanken. Vielleicht, weil ich es singen oder verkaufen musste.“Ob diese Memoiren und Bekenntnis­se redundant, oft kaum erträglich pathetisch und ein wenig banal sind? Aber ja.

Mit ihrem christlich­en Rock ’n’ Roll haben U2 175 Millionen Tonträger verkauft. Musik findet spätestens seit dem Publicity-Debakel mit der Zwangsbegl­ückung des Albums Songs of Innocence 2014 für alle iTunes-Nutzer nur noch nebenbei statt. Ab 60 kurz noch die Welt retten. Das Leben als Rhythmusme­sse. Apropos Sex, Drogen und Rock ’n’ Roll. Bono ist seit 40 Jahren glücklich verheirate­t. Er ist ein Lamm. Oh happy day!

Bono, „Surrender. 40 Songs, eine Geschichte“. Aus dem Englischen von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann. € 33,50 / 696 Seiten. Droemer, 2022

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Foto: EPA / Oleg Petrasyuk Bono singt am 8. Mai dieses Jahres für die Menschen in der Ukraine in der U-Bahn-Station Chreschtsc­hatyk in Kiew.

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