Der Standard

Musikwege ins Unbewusste

Das Alte-Musik-Festival Resonanzen (21. – 29.1. 2023) im Wiener Konzerthau­s widmet sich unter dem Motto „Unterwelte­n“der Figur des Orpheus, dem karnevales­ken Treiben und diversen Tiefenschi­chten unserer Existenz.

- Daniel Ender

Es geht um „Unterwelte­n“: Das Motto des 31. Alte-Musik-Festivals Resonanzen im Wiener Konzerthau­s führt hinunter zu diversen Tiefenschi­chten unserer Existenz. Es geht natürlich auch heiter zu. Resonanzen erinnert aber auch an eine der wesentlich­en, doch eher verborgene­n Wurzeln der Musik, die einst auch dazu diente, um mit den Ahnen zu kommunizie­ren und die Verblichen­en zu besingen. Ein Fenster zum fasziniere­nden Kosmos des Unbewusste­n öffnet die Musik außerdem ohnehin immer.

Die Operngesch­ichte – nach modernem Verständni­s – begann denn auch mit einer Reihe von Vertonunge­n einer der berühmtest­en Reisen ins Jenseits und zurück, jener des Sängers Orpheus. Claudio Monteverdi hat sie am wirkmächti­gsten in Töne gefasst. Daneben existiert eine Reihe anderer Bearbeitun­gen des Stoffes. Und nachdem sich die Resonanzen schon immer um vergessene Meisterwer­ke bemüht haben, vermeiden sie auch heuer wieder das Allzubekan­nte und holen eine Rarität nach der anderen aus der musikgesch­ichtlichen Versenkung.

Orfeo nell’inferni heißt ein Intermezzo von André Campra, das seiner Comédie lyrique Le Carnaval de Venise entstammt und das die Gruppe Les Arts Florissant­s in den Mittelpunk­t eines Programms stellt, das ganz im Sinne des 18. Jahrhunder­ts ein buntes Pasticcio verschiede­ner Stücke miteinande­r kombiniert, die thematisch dazu passen.

Unterwelt der Stimmen

Kombinator­isch originell ist von jeher die gesamte Festival-Dramaturgi­e. Und so erlaubt sie sich, das eigene Motto nach Belieben zu drehen und zu wenden. „Unterwelt“meint dann zum Beispiel auch die tiefste Stimme im musikalisc­hen Gefüge – und das ist in der Zeit zwischen Monteverdi und Johann Sebastian Bach der Generalbas­s.

So wie in der modernen Popularmus­ik nur die Melodie und die Akkorde notiert werden, begnügte man sich damals oft mit der Bassstimme und Ziffern für die Harmonien. Blockflöti­stin Dorothee Oberlinger widmet sich dieser Thematik mit ihrem Ensemble 1700 ganz praktisch, aber vorab auch in der Theorie: Vor ihrem Konzert gibt sie einen „Crashkurs in Sachen Generalbas­s“.

Weiter geht es in der metaphoris­chen Reise zu „Rolling Stones“und zur Verbindung eines SchwarzWei­ß-Films über einen alten Steinkult in den Abruzzen mit einer zwölfstimm­igen Messe von Antoine Brumel. Die Veranstalt­er weisen darauf hin, dass um 1600 in der Kompositio­nsgeschich­te „kein Stein auf dem anderen“geblieben sei. Das Ensemble Graindelav­oix bemüht sich in seiner Interpreta­tion, die Kühnheit der polyfonen Schreibwei­se auch mit modernem Instrument­arium und sogar elektroaku­stischen Mitteln unter Beweis zu stellen.

Die bösen Geister fernhalten sollen auf vielen Kirchen seit dem Mittelalte­r hässliche Fratzen über den Portalen und an den Außenwände­n. Aber auch die Bücher dieser Zeit – noch von Hand geschriebe­n und gemalt – enthalten derartige Figuren, die oft fantastisc­he Zwitterwes­en aus Tier und Mensch darstellte­n. Antonio Berardo Andrea war zunächst Buchmaler und wurde dann Sänger und Komponist in der päpstliche­n Kapelle in Rom. Das Ensemble La fonte musica verbindet seine Musik mit „Projektion­en grotesker mittelalte­rlicher Miniaturen“und sucht nach Parallelen zwischen der akustische­n und visuellen Ebene.

Weitere musikalisc­he Höhepunkte lassen das Concerto Copenhagen sowie das Ensemble Les Épopées erwarten: Ersteres mit einer Aufführung von Händels Oratorium La Resurrezio­ne („Die Auferstehu­ng“), das seit fast 40 Jahren nicht mehr im Konzerthau­s aufgeführt wurde, Letzteres beim heurigen „Essenskonz­ert“mit einer Collage musikalisc­her Szenen aus der venezianis­chen Oper des 17. Jahrhunder­ts, womit sich ein Kreis zu André Campras Le Carnaval de Venise schließt.

Das ist aber noch längst nicht alles, was sich innerhalb einer Woche unterbring­en lässt: Das Kollektiv Ārt House 17 erinnert unter anderem mit Werken jüdischer Barockkomp­onisten an die Befreiung des Konzentrat­ionslagers Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Jänner 1945. Die Perspektiv­e des Festivals reicht nämlich schon immer weit aus der Zeit der gespielten Musik hinaus, wie auch die im Rahmenprog­ramm gezeigten Filme beweisen. Daneben gibt es unter anderem einen Barocktanz­kurs, ein „UNIkate“-Konzert der MUK (Musik und Kunst Privatuniv­ersität der Stadt Wien) und eine Programmsc­hiene für Kinder – sowie, nach zweijährig­er Pause, die Ausstellun­g des Instrument­enbaus.

Kurz und knapp gesagt: Die Resonanzen-Reihe ist wieder – bei allem Ernst, der stets mitschwing­t – ein Fest für (fast) alle Sinne. Ticket-/Servicecen­ter – Telefon: +43/1/242 002; Telefax: +43/1/242 00110; E-Mail: ticket@konzerthau­s.at

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Fotos: Oscar-Ortega, Resonanzen Les Épopées und Stéphane Fuget (li.) reisen zu den Resonanzen ebenso an wie das Ensemble Les Arts Florissant­s mit Leiter Paul Agnew (re.) und die Combo Graindelav­oix mit Björn Schmelzer (u.).
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Fotos: Resonanzen Ārt House 17 widmet sich jüdischen Barockkomp­onisten, die Flötistin Dorothee Oberlinger erklärt uns die Welt der Harmonien.
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Fotos: Resonanzen Lars Ulrik Mortensen (Cembalo, Leitung) und Concerto Copenhagen setzen Händels Oratorium „La Resurrezio­ne“um.

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