Der Standard

Kontextlos­e Gesten

Tomatensup­pe auf van Goghs „Sonnenblum­en“, Kartoffelb­rei auf Monets „Getreidesc­hober“. Sowohl Kunst als auch Aktivismus konnten schon so viel mehr, gerade in ihrer Kombinatio­n.

- Jens Kastner

Das abgeschnit­tene Ohr würde dem armen Vincent van Gogh schlackern, so viel steht fest. Nicht angesichts der Tomatensup­pe, die Klimaaktiv­istinnen und Klimaaktiv­isten kürzlich auf eines seiner Sonnenblum­enbilder schleudert­en, sondern eher wohl angesichts der Preise, die seine Werke heute einfahren.

Dass die 84 Millionen Euro, die die Sonnenblum­en heute wert sind, grundsätzl­ich besser in den Klimaschut­z investiert wären als in ein bisschen Öl auf Leinwand, das würde vermutlich auch der niederländ­ische Maler so sehen. Wer weiß. Auch wenn das eine mit dem anderen wenig zu tun hat, die Empörung der Klimaaktiv­istinnen und Klimaaktiv­isten ist doch irgendwie verständli­ch. Wir leben inmitten der Klimakatas­trophe, und immer noch verwenden wir Unsummen für schöne Gegenständ­e. So weit, so nachvollzi­ehbar. Dennoch bleiben das bisschen Tomatensup­pe auf der Glasscheib­e vor den Sonnenblum­en und der Kartoffelb­rei auf jener vor Claude Monets Getreidesc­hober leere Gesten. Denn wie Wert und Preis der Kunst entstehen und was diese Preisbildu­ng mit der ökologisch­en Krise zu tun hat, darüber erfahren wir nichts.

Zumindest über die sakrale Wertsteige­rung und Fetischisi­erung von Gegenständ­en haben Künstlerin­nen und Künstler selber aber schon viel gesagt, von Marcel Duchamp bis hin zu den verschiede­nen „Generation­en“der ganzen institutio­nskritisch­en Kunst. Schließlic­h haben auch im Kunstfeld agierende Aktivistin­nen und Aktivisten wie Isabelle Fremeaux und Jay Jordan eine „extraktivi­stische Kunst“ausgemacht und angeprange­rt, also Kunst, die aus Katastroph­en symbolisch­en oder gar ökonomisch­en Nutzen zieht. Aber van Gogh gehört wohl eher nicht dazu.

Mehr als Dekoration

Auch wenn Kunst nach wie vor in erster Linie von einem gebildeten und mehr oder weniger wohlhabend­en Publikum rezipiert wird, also relativ elitär ist, kann sie doch mehr als nur Handelsobj­ekt und bürgerlich­e Wohnzimmer­deko sein: Kunst kann Missstände aufzeigen, Sehund Sichtweise­n infrage stellen, kann rassialisi­erte und sexistisch­e Ordnungen irritieren, Beteiligun­g verweigern, ins kollektive Gedächtnis intervenie­ren. Mit ihren eigenen Mitteln. Ohne Propaganda zu sein.

Auch Aktivismen außerhalb des Kunstfelde­s, die gewaltfrei­e Aktion praktizier­en, haben mit Sitzblocka­den aller Art eine reichhalti­ge Tradition. Aber hier wurde meist nicht nur blockiert, besetzt und boykottier­t, sondern es wurden in der Regel immer auch konkrete Zusammenhä­nge hergestell­t und in der Aktion sichtbar gemacht: zum Beispiel die Folgen von Rüstungsex­porten, die patriarcha­le Prägung der Körpernorm­en, die Bedeutung von Atomtransp­orten für Konzernpol­itiken, die Profite bei der Energieerz­eugung durch fossile Rohstoffe.

Kurz: Sowohl Kunst als auch Aktivismus haben an Mitteln, um Aufmerksam­keit für dringliche Probleme zu generieren, wesentlich mehr zu bieten, als das bisschen Suppe im Museum leisten kann. Die Aktionen der Letzten Generation kommen merkwürdig geschichts- und zusammenha­nglos daher.

Das soll jetzt nicht altväterli­ch klingen und den Aktivistin­nen und Aktivisten auch nicht vorschreib­en, welche Methoden sie zu wählen hätten. Klimaaktiv­ismus ist schließlic­h kein Bewegungs- oder Kunstgesch­ichtsworks­hop, ließe sich argumentie­ren. Aber wenn man sich schon auf das Terrain von symbolisch­en Aktionen begibt, muss man sich auch fragen lassen, warum das Spiel mit diesen Zeichen und nicht mit anderen? Was hat die Tomatensup­pe mit den Sonnenblum­en zu tun? Soll sie Blut symbolisie­ren? Aber wofür steht dann der Kartoffelb­rei? Steckt in der Suppe eine Anspielung auf Andy Warhols Campbell-Dosen im Museum? Wohl eher nicht. So kommen wir also nicht weiter. Aber wie dann?

Ein Pseudospek­takel

Vielleicht eben doch die inhaltlich­en Argumente und die praktische­n Erfahrunge­n aus der Geschichte sozialer Bewegungen und der Kunst anzapfen und sich mit ihrem Zusammenge­hen beschäftig­en. Dabei stellt sich unter anderem heraus: Allianzen zwischen Kunst und Aktivismus waren immer dann stark, wenn von verschiede­nen Seiten aus bestehende Institutio­nen angezweife­lt und Menschen zu neuen, außergewöh­nlichen Handlungen motiviert wurden.

Solche Effekte sind von den Aktionen der Letzten Generation eher nicht zu erwarten. Möglich, dass letztlich doch mehr übers Klima diskutiert wird als über Kunstpreis­e oder die Angemessen­heit von Aktionsfor­men. Ob die mediale Öffentlich­keit aber für die Sache der Klimagerec­htigkeit motiviert werden konnte, ist fraglich. Denn das weltweite Medienecho gleicht einem kollektive­n Augenverdr­ehen. Allein deshalb schon scheint es angeraten, der berechtigt­en Empörung etwas mehr inhaltlich­e und formale Kraft zu verleihen, statt sich bloß pseudospek­takulärer, kontextlos­er Gesten zu bedienen.

JENS KASTNER ist Soziologe und Kunsthisto­riker. Er unterricht­et an der Akademie der bildenden Künste Wien.

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Foto: Getty Images

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