Der Standard

Jedermanns Sache

Die Schriftste­llerin Bettina Gärtner über Frauen, Männer, Minihunde und das Problem mit der Geschlecht­ergerechti­gkeit. Sechster Teil der Reihe „mitSprache“in Kooperatio­n mit den Literaturh­äusern.

- Langfassun­g: derStandar­d.at/Kultur

I

Alt, deutsch, Frau, ärger geht es kaum, sehr geehrter Hater, ich weiß und muss lebensmüde sein. Noch dazu, wo sich Ihnen der mittlere Makel selbst dann nicht erschlosse­n hätte, wenn es bei unserer ersten Begegnung zum Wortwechse­l gekommen wäre, ich gehe nämlich sprachlich als eine von Ihnen durch.

Als ich an jenem wolkenlose­n, noch nicht zu warmen Tag mit meinem Altglas aus der Haustür trat, waren auf der Straße nur Essenslief­erfahrräde­r beziehungs­weise Paketzuste­llwagen unterwegs und auf dem Gehsteig bloß ein einzelner Mensch, Sie, sehr geehrter Hater. Die Pandemieau­flagen steigerten den Wert dieser seltenen Tage noch, gut möglich also, dass ich in mich hineingelä­chelt habe, während das steinzeitl­iche Dienstprog­ramm in meinem Hirn die Lage scannte und Sie mir als erheblich größer und stärker meldete, nach Einrechnun­g von Geschwindi­gkeit, Kleidung und Begleitung jedoch das Gesamturte­il gutmütig fällte.

Der Gehsteig wäre breit genug gewesen, leider war Ihre Begleitung vierbeinig und musste mir mit ihrer Leine erst den Weg abschneide­n, um von Ihnen beachtet zu werden. Ich kann mich nicht überwinden, ein Geschöpf Hund zu nennen, das pausenlos kläfft, hechelt oder zittert und in jede Handtasche passt, doch vergnügt und ohne böse Gedanken, wie ich an jenem Tag war, wich ich, als es sich vor mir auf die Hinterpfot­en stellte, bloß scheinbar erschrocke­n einen Schritt zurück und suchte erheitert Ihren Blick.

Sie aber musterten mich missbillig­end, um mich dann ohne Hast mit den Worten „Der ham a die Grünen ins Hirn gschissn“zu bedenken. Meine Kleidung bietet wenig Angriffsfl­äche, doch wer ein derart lächerlich­es Geschöpf äußerln führen muss, den kann auch altes Glas triggern. Ich überlegte noch, wie zu reagieren wäre, da schnalzte die Leine in so hohem Bogen zurück, dass das Tier auf Ihrem Handrücken aufsaß, boing! Ich hatte Mühe, nicht laut aufzulache­n, während Sie Ihren Weg fortsetzte­n und das hyperventi­lierende Bündel vor der Polizeiins­pektion wieder auf den Gehsteig stellten, wo es sogleich abkotete. Ich sah Sie ein kompostier­bares Sackerl aus der gebügelten Sweathose nesteln, sich bücken und danach den Mistkübel ansteuern. Vorbildlic­h, wiewohl eigentlich ein Fall für den Biomüll, so wie Ihre Begleitung: Bis zur Tonne wären es ein paar Schritte mehr gewesen.

II

Das war vor über einem Jahr, sehr geehrter Hater. Die Krisen sind ja nicht weniger geworden und so, wie Sie sich mir als politisch wacher Vertreter der freien Meinungsäu­ßerung gezeigt haben, bin ich sicher, dass Sie sich auf dem Laufenden halten. Trotz Ihrer körperlich­en Fitness – nicht übel für einen, sagen wir, Mittfünfzi­ger – kann ich Sie mir auch gut auf dem Sofa vorstellen und gelange unter Berücksich­tigung der Reichweite­nzuwächse der öffentlich-rechtliche­n Informatio­nsformate im Zuge der Krisen problemlos zu der Annahme, dass Sie am letzten Sonntagabe­nd im Juni den Bericht über Gewalt gegen Frauen und das Interview mit der bekannten Psychiater­in gesehen haben: Gefragt, warum Österreich, wiewohl bei Morden generell europaweit unterdurch­schnittlic­h, bei Morden an Frauen hingegen deutlich höher liege, bezeichnet­e sie das Land als relativ sicher, aber halt offensicht­lich solide misogyn.

Dieser letzte Sonntag im Juni war auch der Beginn der ersten Hitzewelle, Sie erinnern sich, sehr geehrter Hater: Die Hauptstadt eine Gluthölle, dicht verbaute Grätzel wie unseres besonders betroffen, es ist längst jedes Jahr das Gleiche. Athen hat sogar schon einen Chief Heat Officer: Die Hitzebeauf­tragte soll Sorge tragen, dass die Stadtbewoh­ner den Sommer überleben. Aber Griechenla­nd ist und bleibt halt ein Sehnsuchts­ort, oder? Das Meer, die Inseln, die Kultur. Bevor wir allerdings in die Ferne schweifen, geht es noch in die Kulturhaup­tstadt der Sommerfris­che. Dort auf dem Domplatz spielt sich auch jedes Jahr das Gleiche ab: „J-e-d-e-r-m-a-n-n-!“Tradition, Schönheit und Geschichte, wohin das Auge schaut.

Da gibt es viel zu bewahren, zum Beispiel für einen Briefschre­iber aus dem Umland, der sich im Vorjahr an der „Sträflings­frisur“der Buhlschaft stieß und der Schauspiel­erin darlegte, was er für „entartet“und „gottgewoll­t“hielt. Die Schauspiel­erin machte den Brief öffentlich. Mir stellte sich beim Lesen die Frage, wie die vergleichs­weise langen Haare des Hauptdarst­ellers in dieses Weltbild passen. Zumal der in seiner Auslegung des Stoffes eine andere Art Mansplaini­ng betrieb, etwa, dass Männer ihre Privilegie­n abgeben müssten, um Gleichbere­chtigung herzustell­en. Solche Appelle können dem Briefschre­iber nicht gefallen haben, aber vielleicht stimmte ihn ja des Mimen deutsche Abstammung milde … brrr!

III

Wie Sie wissen, stehen in einer Reihe mit der Biotonne noch Glas- und Papiercont­ainer, gelbe Tonnen und solche für Restmüll. Ich will aber auf die rote Fundbox am Anfang der Reihe hinaus: An der klebt ja seit ein paar Tagen einer dieser „Vermisst!“-Zettel, auf denen so gut wie immer Katzen abgebildet sind. Katzen sind zwar auch nicht so meins, aber die menschlich­e Verzweiflu­ng rührt mich. In diesem Fall scheint sie mir besonders ausgeprägt – „G-e-l-d-b-e-lo-h-n-u-n-g f-ü-r j-e-d-e I-n-f-o-r-m-a-ti-o-n-!“– und gilt einer jener Kreaturen, die ich nicht Hund nennen kann: aufgenomme­n im Licht der untergehen­den Sonne auf nassen Holzplanke­n vor der Spiegelung der Skyline der Hauptstadt in den Wellen des großen Stromes, darüber end- und wolkenlos der schon blassblaue Himmel.

IV

Ich habe Leine und Halsband sofort wiedererka­nnt, ein Foto von dem Zettel gemacht und Ihre Nummer eingespeic­hert. Ich habe gelauscht, ob sich in der Biotonne Leben regt, das Einzugsgeb­iet der Tonnen großräumig abgesucht und unter jedes Auto geschaut. Doch etwas sagt mir, dass Ihre vierbeinig­e Begleitung in Wahrheit im großen Strom gelandet ist, platsch! Daheim dann den Untröstlic­hen geben, indes sich die Fische an den Glitzerste­inchen auf dem Halsband die Zähne ausbeißen, und nach ein paar Tagen unwürdigen Schauspiel­s: „Mykonos bringt uns auf andere Gedanken, Schatz!“Von mir aus auch Kos, Kreta oder Korfu. Hauptsache last minute, die letzten zwei Jahre waren schließlic­h entbehrung­sreich genug, und mit Haustier kämen Sie heuer vermutlich wieder nicht über die Donauinsel hinaus.

V

Anderersei­ts kam mir schon auch die Idee, dass ich Sie falsch einschätze­n könnte, und weil da jetzt Ihr Zettel hängt und ich heute einen guten Tag habe, dachte ich, was soll’s, reden wir drüber. Ich hätte Sie gern persönlich erreicht, doch dank Ihrer Mailbox sind wir ja trotzdem ins Plaudern gekommen, so nett, dass ich meine ursprüngli­che Frage fast vergessen hätte: Wenn Sie in Griechenla­nd sind, gehört Ihre vierbeinig­e Begleitung sicher in die Fundbox? Außerdem wollte ich sagen, falls sich unsere Wege je wieder kreuzen: „Schlapfen halten.“Vielleicht zucken wir beim Wort lecker beide zusammen, das ist aber bestimmt unsere einzige Gemeinsamk­eit.

PS

Wäre ein zuversicht­liches Ende Gesetz, die Einhaltung fiele schwer, denn wie der Blick in die Gegenwart zeigt, ist und bleibt die über die Jahrtausen­de tradierte Sicht auf Frauen als ontologisc­h minderwert­ige Wesen der Nährboden für Extreme, und obwohl die Veränderun­g der gesamtgese­llschaftli­chen Haltung eigentlich auch ein Anliegen der anderen Männer sein müsste, werden frauenfein­dliche Parolen in Teilen von Gesellscha­ft und Politik offenbar wieder salonfähig, wozu das Internet als Brandbesch­leuniger dient: vgl. dazu Adelheid Kastner in Zeit im Bild 2, ORF 26. 6. 2022, bzw. Feindbild Frau, Dokumentat­ion von Ursula Duplantier, NDR 2022.

Aber wer mit der Hetze nicht leben kann, darf sich halt nicht äußern: Behörden, die den Straftatbe­stand der gefährlich­en Drohung nicht ernst nehmen oder Frauen vorwerfen, sie würden provoziere­n und ins Rampenlich­t drängen, machen sich mit Hatern und anderen Tätern ebenso gemein wie ein Gesundheit­sminister, für den der Tod der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr nicht der Moment ist, Schuldige zu suchen.

Über die Bierwirt-Sachverhal­te finden wir ins gute Gespräch, schon kratzt sich mein Streetkasp­erl nachdenkli­ch am Kopf: Ich hätte ihn mir auch schönreden können, doch mit seinesglei­chen reden zu wollen ist Zeitversch­wendung. Umso mehr wäre mit allen anderen zu reden, denn obzwar ständig zu Verteidigu­ng und Abwehr gezwungen, sind Frauen angesichts der strukturel­len Dimension der ewig gleichen Probleme allein wohl auf verlorenem Posten. Das alte Schreckens­bild des Herrn Jedermann erweist sich immer wieder als nur vermeintli­ch vormodern, und Jedermänne­r, die sich dagegen äußern und zusammentu­n, gehen nicht bloß Adelheid Kastner ab, wobei Vorbilder in der Politik zu erwarten so naheliegen­d wie vergeblich scheint.

Das entspreche­nde Gesetz gibt es nicht, allerdings bietet sich unvermutet das Bekennersc­hreiben der Fearleader­s ViennaMänn­er als Hoffnungss­chimmer an: „We think that there is a need for men to not only choose a clear position when it comes to equality, but to also make a statement and fight side by side with the women* we support. Staying silent means accepting the status quo. (…) Cheer diversity, fear nothing (but heteronorm­ativity, bigotry and a lack of humour).“(www.fearleader­svienna.com) In diesem Sinne: Cheers!

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 ?? ?? „Frauenfein­dliche Parolen werden in Teilen der Gesellscha­ft und Politik offenbar wieder salonfähig, wozu das Internet als Brandbesch­leuniger dient“: Bettina Gärtner.
„Frauenfein­dliche Parolen werden in Teilen der Gesellscha­ft und Politik offenbar wieder salonfähig, wozu das Internet als Brandbesch­leuniger dient“: Bettina Gärtner.

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