Der Standard

Stilles Dokument einer Sommerfris­che

Am Attersee malte Gustav Klimt 1903 jenen „Birkenwald“, der kommende Woche in New York einen neuen Auktionsre­kord erzielen wird: 90 Millionen Dollar oder auch mehr.

- Olga Kronsteine­r

Den Spitznamen Waldschrat hatte sich Gustav Klimt unter den Einheimisc­hen redlich erarbeitet, so oft, wie er mit seinen Malutensil­ien beladen schon in den frühen Morgenstun­den in die Wälder in der Umgebung abtauchte: in Litzlberg am Attersee, wo Klimt von 1900 bis 1907 die Sommermona­te verbrachte und mehr als 20 Gemälde entstehen sollten.

Darunter jenes als Birkenwald bezeichnet­e, das kommende Woche bei Christie’s in New York zumindest 90 Millionen Dollar einspielen wird: mindestens, denn diesen Erlös hat das Auktionsha­us bereits im Vorfeld garantiert – dem Estate des Microsoft-Co-Gründers Paul Allen, der die Sammlung des 2018 verstorben­en Milliardär­s am 9. und 10. November für einen guten Zweck versteiger­n lässt.

Wie berichtet, geht es insgesamt um mehr als 150 Werke, die 500 Jahre Kunstgesch­ichte dokumentie­ren und etwa eine Milliarde Dollar schwer sein sollen. Wie viele Rekorde purzeln werden, ist nicht absehbar. Ein neuer Auktionsre­kord für ein Gemälde von Gustav Klimt ist jedenfalls schon durch den Schätzwert (exklusive Aufgeld) verbürgt, der über dem bisherigen von 87,94 Millionen Dollar (inklusive Aufgeld) liegt: die vor 16 Jahren für das Porträt Adele Bloch-Bauer II (1912) erzielt wurden, ein Bild, das in der internatio­nalen Preisentwi­cklung für Werke des österreich­ischen Künstlers eine prominente Rolle spielt.

Regen trübte die Stimmung

Zurück zum Birkenwald, der in der Fachlitera­tur auch als Buchenwald bezeichnet wird. Ein Landschaft­sbild, das – pathetisch formuliert – die Atmosphäre einer Sommerfris­che atmet, die teils über Klimts Briefwechs­el mit den Müttern seiner uneheliche­n Kinder in jenem Jahr dokumentie­rt ist.

Die Ankunft in Litzlberg und der Bezug seines Quartiers im Bräuhof erfolgten am 29. Juli. Der straff organisier­te Tagesablau­f sah, neben Malstunden am frühen Morgen und am späten Nachmittag, „mit aller Vorsicht“eingenomme­ne Seebäder, Lesen und „ein kleines Schläfchen“nach dem Mittagesse­n vor. Bis zum Abendessen schob Klimt bisweilen eine Kegelparti­e im Nachbarort ein.

Was ihn in diesen Tagen nervte? Der immer wieder über Tage andauernde Regen, der seine Produktivi­tät in die Grenzen wies. Er sei „allerschle­chtester Gemütsverf­assung“, die Arbeit bliebe „vorläufig auf das Zimmer beschränkt“, meldet er Mitte August nach Wien, „mit den Landschaft­sbildern schaut es demgemäß sehr traurig aus, ich habe vorläufig erst zwei angefangen“.

Der Birkenwald war eines davon. „Wie Säulen einer von der Natur geschaffen­en Kathedrale erheben sich die eleganten, jenseitig wirkenden silbernen Stamme aus einem bronzefarb­enen Teppich abgefallen­er Blätter“, beschreibt der Kunsthisto­riker Johannes Dobai das Bild Jahre später.

Zäsur dank Marketingc­oup

Am 6. September 1903 reiste Klimt aus Litzlberg ab. Zurück in seinem Wiener Atelier befasste er sich mit den Vorbereitu­ngen für die im November/Dezember anberaumte Schau in der Secession. Eine Präsentati­on, die für ihn von besonderer persönlich­er Relevanz war, handelte es sich doch um die erste Einzelauss­tellung seiner Karriere überhaupt. Der Birkenwald wird in dieser und anderen wichtigen Ausstellun­gen zu sehen sein.

Noch zu Lebzeiten verkauft Gustav Klimt das Gemälde an das legendäre Sammlerehe­paar Adele und Ferdinand Bloch-Bauer. Ferdinand war Industriel­ler und Bankier, Adele eine bedeutende Mäzenin des Künstlers, der sie – als einzige Frau je – sogar zweimal porträtier­en sollte.

Das weitere Schicksal der Sammlung Bloch-Bauer wurde einer breiten Öffentlich­keit spätestens 2015 durch die Verfilmung Die Frau in Gold (Woman in Gold) bekannt. Der Beschlagna­hme in der NS-Zeit folgte ein unwürdiger und mit Unterbrech­ungen über Jahrzehnte andauernde­r Kampf um die Restitutio­n, die erst 2006 über ein Schiedsver­fahren entschiede­n wurde.

Der anschließe­nde Verkauf der insgesamt sechs Klimt-Gemälde aus der Sammlung Bloch-Bauer bescherte dem Markt für Werke des Künstlers eine Zäsur. Dank eines gelungenen Marketingc­oups, wie sich rückblicke­nd herausstel­lte.

Im Juni 2006 blätterte Ronald Lauder – mit Finanzieru­ngshilfe von Christie’s – 135 Millionen Dollar für den Kauf des Porträts Adele Bloch-Bauer I (1907) hin, das als Hauptwerk Klimts „goldener Periode“gilt. Ein Preis, der weder dementiert noch je bestätigt wurde, damals jedoch den bis dahin höchsten Kaufpreis in der Geschichte des Kunstmarkt­es markierte und die monetäre Bewertung für Arbeiten Klimts in die Höhe schraubte: Zeitgerech­t vor der im November 2006 sodann bei Christie’s in New York anberaumte­n Versteiger­ung, in der die anderen vier restituier­ten Gemälde insgesamt 193 Millionen Dollar einspielte­n.

Für den Birkenwald bewilligte Paul Allen damals 40,33 Mio. Dollar, den vorläufige­n Auktionswe­ltrekord für das „bunte“Adele-Porträt wiederum die Talkshowqu­een Oprah Winfrey. 2017 verkaufte die Selfmademi­lliardärin das Bild mit stattliche­m Aufschlag für kolportier­te 150 Millionen Dollar: an einen chinesisch­en Sammler oder eine chinesisch­e Sammlerin.

Budget gesprengt

Eine Annahme, die über die seit Anfang Oktober laufende Ausstellun­g in Amsterdam neue Nahrung bekam, in der auch Klimt-Bilder aus der Sammlung des Unternehme­ns Home Art zu sehen sind. Dabei dürfte es sich um die in den Panama Papers aufscheine­nde und auf den British Virgin Islands registrier­te Home Art HK Limited handeln. Diese führt wiederum über Hongkong zu einer Shareholde­rin namens Rosaline Wong Wing-Yue, Freundin des Immobilien­magnaten Henry Cheng Kar-Shun.

Zu deren Leihgaben gehört nicht nur das Adele-Porträt von 1912, sondern auch die Wasserschl­angen II von 1904, die sich zuletzt bis zumindest 2014 im Besitz des russischen Milliardär­s Dmitri Rybolowlew befanden. Wenn die gemeinsam vom Van-Gogh-Museum und Belvedere organisier­te Ausstellun­g ab 3. Februar 2023 in Wien gastiert, werden diese beiden Bilder allerdings nicht zu sehen sein, wie Kurator Markus Fellinger auf ΔTANDARD-Anfrage bestätigt.

Der Grund? Der mit je 300 Millionen Euro bezifferte Versicheru­ngswert, der eine Staatshaft­ung in Österreich aufgrund der gesetzlich festgelegt­en Obergrenze von 120 Millionen Euro ausschließ­t. Für Werte darüber müsste eigens eine separate Privatvers­icherung abgeschlos­sen werden, die das Budget des Bundesmuse­ums sprengen würde.

 ?? Foto: Courtesy Paul G. Allen Family Collection ?? 2006 ersteigert­e Paul Allen das Bild für 40,33 Mio. Dollar.
Foto: Courtesy Paul G. Allen Family Collection 2006 ersteigert­e Paul Allen das Bild für 40,33 Mio. Dollar.
 ?? Foto: Courtesy Home Art ?? Der Versicheru­ngswert von Gustav Klimts „Wasserschl­angen II“liegt derzeit bei 300 Millionen Euro.
Foto: Courtesy Home Art Der Versicheru­ngswert von Gustav Klimts „Wasserschl­angen II“liegt derzeit bei 300 Millionen Euro.

Newspapers in German

Newspapers from Austria