Der Standard

Lehrkräfte vor großer Herausford­erung bei Ukraine-Klassen

Eine Studie sieht mangelnde Qualifikat­ion der Lehrkräfte

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Wien – Dass Markus B. (Name von der Redaktion geändert, Anm.) morgens vor 18 fragenden Gesichtern stehen und versuchen würde, ihnen mit Händen und Füßen Deutsch beizubring­en, hatte er vor zwei Monaten noch nicht kommen gesehen. Eigentlich wäre der Lehrer für den Englischun­terricht an einer Wiener Volksschul­e zuständig gewesen. Daraus wurde nichts: Kurz vor Schulstart wandte sich die Direktorin mit einer Bitte an ihn. Er solle die Ukraine-Klasse übernehmen. Die Deutschleh­rerin sprang im letzten Moment ab.

Zwei Monate später ist auch ihm nach Absprung: In der Schule sitzt er bis am Abend, um die Unterlagen für die unterschie­dlich alten Kinder vorzuberei­ten. Über die sonst als reformpäda­gogisch geltende „Mehrstufen­klasse“kann Markus B. daher nur seufzen. „Diesen liegt ja zugrunde, dass zwei Lehrkräfte in der Klasse stehen.“Er selbst habe lediglich ein paar Stunden Unterstütz­ung von einer russischen Kollegin, die aber selbst überforder­t sei.

Separate Ukraine-Klassen

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine wurden allein in Wien 4130 geflüchtet­e Kinder eingeschul­t. In ganz Österreich sind es 12.000. Und es können noch mehr werden. Laut Bildungsdi­rektion Wien wurden an Standorten, wo es keinen Platz mehr gibt, separate Ukraine-Klassen eingericht­et. Ein Viertel der schulpflic­htigen ukrainisch­en Kinder wird in einer Ukraine-Klasse von einer Deutschleh­rerin und einer Ukrainisch-Lehrerin unterricht­et. Doch wie stehen diese Klassen nach deren Einführung nun da? Was sagen die, die darin unterricht­en?

Mit diesen Fragen hat sich eine Studie von Susanne Schwab von der Universitä­t Wien beschäftig­t. Erste Ergebnisse zeichnen ein klares Bild: Es fehlt an qualifizie­rtem Personal. Weil immer mehr Kinder mit traumatisc­hen Erfahrunge­n kommen, wäre eine Traumabegl­eitung essenziell. Doch es gebe zu wenig Schulsozia­larbeiteri­nnen und Schulpsych­ologen, hält die Bildungswi­ssenschaft­erin fest. Gleichzeit­ig fehle es auch an gut ausgebilde­ten Lehrkräfte­n. „Normalerwe­ise sind die Ukraine-Klassen doppelt besetzt, aber auch dort kriegen wir rückgemeld­et, dass viele keine Erfahrung mit der Materie Deutsch als Zweitsprac­he haben.“

Nicht nur deswegen zeigen sich die befragten Lehrerinne­n und Schulleite­rinnen mit Blick auf die Zielvorgab­en des Deutschler­nens pessimisti­sch. „Es haben uns fast alle rückgemeld­et, dass es besser wäre, wenn die Schüler nicht in separaten Klassen unterricht­et werden“, sagt Schwab. Es brauche den Kontakt zu Sprachvorb­ildern, mit denen man sich auf Deutsch verständig­en kann. In der Hoffnung auf baldige Rückkehr mangele es bei einigen Kindern auch an der Motivation, die Sprache zu lernen. Gänzliche Sprachverb­ote für Ukrainisch, wie sie in manchen Schulen herrschen, seien dennoch kritisch zu betrachten: „Sprachenle­rnen sollte positiv verknüpft sein, und das Sprachrepe­rtoire sollte von allen Schulkinde­rn genützt werden.“

Überrumpel­te Schulen

Für Unmut sorgte auch, dass einige Standorte mit der Einrichtun­g von Ukraine-Klassen überrumpel­t wurden – und Lehrer wie im Fall von Markus B. von ihren Klassen abgezogen wurden. DieBil dungs direktion zeigt dafür Verständni­s. Weil erst vor Schulstart die Gesamtzahl der Anmeldunge­n ukrainisch­er Schüler vorlag, konnte die Informatio­n aber erst so spät erfolgen, heißt es.

Was es für Markus B. bräuchte? „Eine zweite Lehrkraft.“Wenn das aufgrund des Lehrermang­els nicht möglich sei, dann müsste man die Klassen zusammenle­gen, sagt der Pädagoge. Dafür plädiert auch Schwab: Durch die Unterschei­dung von ukrainisch­en Kindern und Kindern aus Deutschför­derk lassen, von denen viele zwar in Österreich aufgewachs­en sind, aber schlecht Deutschspr­echen, erzeuge das derzeitige Systemno ch mehrUn gleichheit, sagtSchw ab .„ Als wäre die herkömmli ch eSeparieru­ng von Deutschför­derkl assen Kindern und Regelk lasse-Kindern nicht schon genug.“Die Direktion sieht hier allerdings Spielraum: Über eine Zusammenle­gung könnten die Schulen selbst entscheide­n. (etom)

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