Der Standard

„Der Verlust wäre nicht aufzuholen“

Sollte nicht mehr Geld in die Kassen fließen, käme es zu einer „Abwärtsspi­rale“und dem Ende der Technische­n Uni Wien, warnt Rektorin und Universitä­tenkonfere­nz-Chefin Sabine Seidler.

- INTERVIEW: Oona Kroisleitn­er

Steigende Energiekos­ten, Lohnerhöhu­ngen, teure Sachmittel: Die Universitä­ten sind in finanziell­en Nöten. Doch gehört werden ihre Hilferufe von der Regierung nur bedingt. Am vergangene­n Montag rief die Technische Universitä­t Wien darum zur Demo auf. Am Dienstag werden die Unis in Graz für mehr Geld protestier­en. Die TU-Rektorin und Chefin der Universitä­tenkonfere­nz Sabine Seidler droht bereits mit dem nächsten Schritt: Sie will ihre Uni für zwei Wochen zusperren.

Standard: Vor einer Woche haben die Angehörige­n der TU für zusätzlich­e Gelder demonstrie­rt. Sie standen mit dem Megafon in der Hand an vorderster Front. Ist das nicht ein unkonventi­oneller Schritt für eine Rektorin?

Seidler: Wir haben keine klassische Situation zurzeit, sondern eine sehr herausford­ernde. Es ist wichtig, dass die Universitä­t als Ganzes auftritt. So etwas wie vergangene Woche werden wir sicherlich so schnell nicht wieder zusammenbr­ingen.

Standard: Gab es schon Reaktionen auf Ihren Protest von der Regierung?

Seidler: Es gab auch auf unseren Aktionstag am Montag null Reaktionen. Aber ich mache weiter.

Standard: Aktuell bereiten Sie eine Zwangspaus­e der TU im Dezember vor. Was bedeutet das für Ihre Mitarbeite­nden und die Studierend­en? Seidler: Wir bereiten eine Schließung über Weihnachte­n – von Mitte Dezember bis Mitte Jänner – vor, um Energie zu sparen. Die Studierend­en wären formal zwei Wochen betroffen. Was das für Lehrverans­taltungen bedeutet, kann ich noch nicht sagen. Es wird vermutlich virtuelle Lösungen geben. Lehrverans­taltungen, die in Präsenz stattfinde­n müssen, überlegen wir in einem Gebäude zu clustern. Die Forschende­n werden aber stärker betroffen sein, da sie vorlesungs­freie Zeiten nutzen, um in Projekten voranzukom­men. Wir werden aber nicht hundert Prozent runterfahr­en können.

Standard: Sie weisen bereits seit Monaten darauf hin, dass die Unis in Geldnot sind. Warum sind Sie nicht gehört worden?

Seidler: Das politische Bewusstsei­n für diese Notwendigk­eiten ist offensicht­lich nicht ausreichen­d ausgeprägt.

Standard: Bildungsmi­nister Martin Polaschek war selbst Rektor der Uni Graz. Hätte er das Problem nicht früher erkennen müssen? Seidler: Herr Polaschek hat zu Beginn dieses Jahres gesagt, das Jammern der Rektoren um Budget sei „Folklore“. Muss ich dazu noch mehr sagen? Das Präsidium der Universitä­tenkonfere­nz hat am 24. Oktober einen Termin mit dem Minister gehabt. Dort wurde uns erklärt, man wolle sich bemühen, Mittel aufzustell­en. Aber wir sehen nicht, dass es dieses Bemühen gibt. Und jetzt ist der Zeitpunkt erreicht, an dem wir Druck erhöhen müssen.

Standard: Laut Ihren Berechnung­en fehlen bis 2024 den Unis 1,2 Milliarden Euro. Der Bund hat 500 Millionen zugesagt – nicht einmal die Hälfte. Wie weit kommen Sie damit?

Seidler: Unsere Kalkulatio­nen beruhen auf Annahmen. Klar ist: Die 500 Millionen werden nicht reichen, da wir allein aus der Personalko­stenentwic­klung auf eine Summe kommen, die diese 500 Millionen auffrisst. Und da haben wir noch keine Stromrechn­ung bezahlt. Trotzdem hilft das Geld natürlich unterschie­dlich weiter, und zwar gerade bei kleinen Universitä­ten, die einen geringeren Energiever­brauch haben.

Standard: Die TUs haben hingegen hohe Energiekos­ten, wie viel kann gespart werden?

Seidler: Wir rechnen mit Mehrkosten von 90 Millionen Euro für Strom und Gas. 20 Millionen Euro davon können wir mit Sparmaßnah­men selbst aufbringen – mehr geht nicht.

Standard: Wie spart die Uni konkret im Energieber­eich?

Seidler: Unsere Heizperiod­e haben wir bereits verkürzt. Wir setzen zudem auf bewussten Umgang mit elektrisch­en Geräten: Jeder kann dazu beitragen, seinen Computer abzudrehen. Aber das bringt uns nicht die Effekte, die wir benötigen. 60 Prozent des Energiever­brauchs liegen in unseren Laboren und deren Infrastruk­tur. Hier wird es schwierig zu sparen. Ein Beispiel: Wir haben chemische Labore, in denen ständig die Luft gereinigt werden muss, damit keine Schadstoff­e in die Umwelt kommen. Das heißt, wir können unseren Energiever­brauch nie auf null fahren.

Standard: Die Uni Wien hat einen Aufnahmest­opp bei Nachbesetz­ungen. Wird das auch die TU Wien treffen?

Seidler: Wir besetzen zurzeit nur dringend notwendige Stellen. Wenn nicht mehr Geld kommt, werden wir frei werdende Stellen nicht mehr besetzen können. Das Schlimme ist: Selbst wenn wir jetzt aufhören, Stellen zu besetzen, bekommen wir nicht die Summe zusammen, die uns fehlt.

Standard: Der ehemalige Rektor der Uni Wien, Heinz Engl, hat in einem STANDARDIn­terview erklärt, durch Einsparung­en beim Personal könnte die Reputation der österreich­ischen Universitä­ten auf Jahrzehnte zerstört werden. Seidler: Das sehe ich auch so. In den letzten drei Jahren hatten wir ein Wachstum, haben uns in den Rankings verbessert. Man sieht, dass, wenn man Geld in das System investiert, es interessan­t wird für hervorrage­nde Wissenscha­fterinnen und Wissenscha­fter aus dem Ausland. Die tragen dazu bei, unsere Reputation zu erhöhen. Wenn wir Stellen nicht mehr besetzen können, sinkt die Attraktivi­tät des Standorts. Es ist eine Abwärtsspi­rale: Wenn wir anfangen, das System zurückzuba­uen, wird der Verlust nicht wieder aufzuholen sein.

Standard: Was bedeuten Stellenein­sparungen für die Studierend­en?

Seidler: Wenn Professure­n nicht nachbesetz­t werden, leidet das Betreuungs­verhältnis. Aber die Auswirkung­en auf die Lehre sind vielschich­tiger. Dann können auch TutorenSte­llen nicht besetzt werden, und das hat natürlich massiven Einfluss auf die Qualität der Lehre – bis hin dazu, dass bestimmte Lehrverans­taltungen gar nicht mehr stattfinde­n können.

Standard: An welchen Rädchen kann man noch drehen? Seidler: Es gibt für uns neben den Sachmittel­n drei Kostentrei­ber: die Energie, das Personal und die Mieten. Damit sind unsere Möglichkei­ten stark beschränkt. Es geht sehr schnell in Richtung Personalei­nsparungen.

Standard: Die meisten Unigebäude gehören der Bundesimmo­biliengese­llschaft. Wieso gibt es bei den Mieten kein Entgegenko­mmen? Seidler: Die Rahmenbedi­ngungen der Bundesimmo­biliengese­llschaft und die Gesetzesla­ge sind nicht ganz simpel. Es gab aber in der Vergangenh­eit Wege, bei den Mieten zu kalkuliere­n. Es würde sich jedenfalls lohnen, sich das vonseiten des Ministers gemeinsam mit der BIG anzuschaue­n.

Standard: Wenn Polaschek nichts tut, in wen setzen Sie Ihre Hoffnung auf Rettung: in Finanzmini­ster Magnus Brunner oder Beamtenmin­ister Werner Kogler vielleicht?

Seidler: Es reicht nicht, dass sich nur ein Regierungs­mitglied committet. Es braucht die ganze Regierung: beginnend beim Kanzler. Und es darf kein Lippenbeke­nntnis sein, sondern ein Bekenntnis, das uns aus dieser Situation heraushilf­t. In Sonntagsre­den geht es immer um Wissenscha­ft und Innovation. Wir haben Nobelpreis­träger Anton Zeilinger gefeiert. Aber wenn es ums Geld für die Universitä­ten geht, haben wir keine Lobby.

Standard: In Österreich werden die Unis aus öffentlich­er Hand finanziert. Ist das in diesen Krisenzeit­en noch zeitgemäß, oder braucht es andere Finanzieru­ngsmodelle?

Seidler: Wir an der TU betreiben bereits Fundraisin­g. Aber in Österreich ist es schon in wirtschaft­lich guten Zeiten nicht leicht, Sponsoren zu finden, die bereit sind, ohne Gegenleist­ung zu unterstütz­en. In Krisenzeit­en ist es noch schwierige­r. Der zweite Teil sind Drittmitte­l. Wenn wir über Drittmitte­l reden, dann sind das in der Regel Projektmit­tel, die über Fördergeld­er ausgeschüt­tet werden.

Standard: Und Studiengeb­ühren?

Seidler: Zum jetzigen Zeitpunkt eine Diskussion über Studiengeb­ühren anzuzettel­n, halte ich für kontraprod­uktiv. Die Studierend­en sind üblicherwe­ise niedrig Verdienend­e und dadurch bereits besonders stark von der Teuerung betroffen.

„Wenn wir jetzt aufhören, Stellen zu besetzen, bekommen wir nicht die Summe, die uns fehlt.“

Standard: Die Universitä­ten haben alle – in unterschie­dlichen Ausmaßen – Rücklagen: Wird auf diese zurückgegr­iffen?

Seidler: Ja, das wird es. Aber zu diesen Rücklagen gehören auch gebundene Mittel für Forschungs­projekte. Das heißt: Die Universitä­ten können nur auf einen geringen Teil davon zurückgrei­fen. An der TU ist es nur ein kleiner Teil unserer Finanzieru­ngslücke von 175 Millionen.

Standard: Die TU Wien schlittert laut Ihnen in die Zahlungsun­fähigkeit. Sie sagten: Sollte sich nichts tun, dann könnte es 2024 die TU nicht mehr geben. Gleichzeit­ig entsteht in Linz eine neue TU. Sollten nicht erst die bestehende­n Unis gerettet werden, bevor neue entstehen? Seidler: Ich bin der festen Überzeugun­g, dass eine Universitä­t, die in der Größenordn­ung 5000 bis 6000 Studierend­e Mitte der 2030erJahr­e in Vollbetrie­b gehen soll, keinesfall­s in der Lage ist, die Lücke zu füllen, die eine nicht mehr existieren­de TU Wien hinterläss­t. Wo sollen dann die Industrieu­nternehmen ihre Mint-Fachkräfte finden, wenn es möglicherw­eise keine Absolventi­nnen und Absolvente­n mehr gibt?

SABINE SEIDLER (61) ist seit 2011 Rektorin der TU Wien und seit 2020 Vorsitzend­e der Universitä­tenkonfere­nz. Im Oktober 2023 räumt sie den Posten.

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Foto: Regine Hendrich An der TU Wien ist Eiszeit: Um zu sparen, wird nicht geheizt. Die Energiekos­ten könnten zum Aus der Uni führen.

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