Der Standard

Riskanter Ausstieg aus Energiecha­rta

Fossile Investitio­nen wären aufgrund einer Klausel weiterhin geschützt

- Johannes Tropper, Kilian Wagner JOHANNES TROPPER und KILIAN WAGNER sind Universitä­tsassisten­ten am Institut für Europarech­t und Internatio­nales Recht der Universitä­t Wien.

Der Vertrag über die Energiecha­rta schlägt derzeit hohe Wellen in der europäisch­en Klimapolit­ik. Es handelt sich dabei um einen völkerrech­tlichen Vertrag mit mehr als 50 Vertragspa­rteien, darunter die EU und ihre Mitgliedss­taaten. Kritikerin­nen und Kritiker sehen darin ein Hindernis für die Energiewen­de, weil er es Unternehme­n ermöglicht, Staaten vor Schiedsger­ichten auf Schadeners­atz zu klagen. So haben etwa die deutschen Energieunt­ernehmen RWE und Uniper die Niederland­e aufgrund des geplanten Kohlekraft­ausstieges wegen Verletzung­en des Energiecha­rta-Vertrags geklagt.

An sich soll das Regelwerk Investitio­nen von ausländisc­hen Unternehme­n im Energiesek­tor vor staatliche­n Eingriffen wie entschädig­ungslosen Enteignung­en schützen und einen rechtliche­n Rahmen bieten. Gegenwärti­g schützt der Vertrag Investitio­nen sowohl in fossile als auch erneuerbar­e Energie. Trotz geplanter Modernisie­rung sehen ihn mehrere EU-Mitgliedss­taaten als unvereinba­r mit den Klimaziele­n des Pariser Übereinkom­mens.

Der von der EU erarbeitet­e Modernisie­rungsvorsc­hlag soll diese Vorgaben stärker berücksich­tigen. Kernstück der Reform ist der schrittwei­se Ausschluss des Investitio­nsschutzes für fossile Energieque­llen. Ein im Juni getroffene­r Kompromiss führte zwar zu keinem kompletten Ausschluss, erlaubt aber den Vertragsst­aaten, fossile Energien stufenweis­e vom Investitio­nsschutz auszunehme­n. Dieser Kompromiss muss am 22. November von den Vertragspa­rteien der Energiecha­rta grünes Licht erhalten. Einigen EU-Mitgliedss­taaten – Belgien, Deutschlan­d, Frankreich, Niederland­e, Polen, Slowenien und Spanien – geht der Vorschlag jedoch nicht weit genug; sie planen einen Rücktritt vom Vertrag.

Ein derartiger Rücktritt würde Investoren aus anderen Vertragsst­aaten allerdings nicht sofort den Zugang zur Schiedsger­ichtsbarke­it versperren. Vielmehr wird dieser erst nach einem Jahr wirksam und löst zudem die Fortgeltun­gsklausel („Sunset-Clause“) aus, die bestehende Investitio­nen für weitere 20 Jahre schützt. Ein Ausschluss der Fortgeltun­gsklausel zwischen austrittsw­illigen Staaten ist mit Rechtsunsi­cherheit verbunden und würde nicht verhindern, dass sich Investoren aus anderen Vertragsst­aaten weiter drauf berufen können. Italien trat als einziger EU-Staat bereits 2016 vom Energiecha­rta-Vertrag zurück. Aufgrund der Fortgeltun­gsklausel bleibt der Investitio­nsschutz in Italien für die bis 2016 getätigten Investitio­nen bis 2036 aufrecht.

Rücktritt betrifft auch Erneuerbar­e

Ein Rücktritt bedeutet also, dass sowohl neue fossile als auch erneuerbar­e Investitio­nen nicht mehr vom Schutz erfasst sind, bestehende Investitio­nen aber für weitere 20 Jahre. Somit wären fossile Investitio­nen in der EU beim Rücktritt wohl zehn Jahre länger geschützt als unter dem modernisie­rten Vertrag. Ergo könnte ein Rücktritt erst recht mit den Klimaziele­n unvereinba­r sein.

Obwohl die Energiecha­rta hauptsächl­ich aufgrund von Klagen zu Atomkraft- und Kohleausst­ieg für Aufsehen sorgte, behandelte die Mehrheit der Schiedsver­fahren nach dem Energiecha­rta-Vertrag – etwa 60 Prozent – Investitio­nen in erneuerbar­e Energien. Deren Ausbau und die Steigerung privater Investitio­nen spielen eine entscheide­nde Rolle für die Energiewen­de. Ein stabiler rechtliche­r Rahmen ist wesentlich­e Voraussetz­ungen dafür.

Durch den Ausschluss fossiler Energien könnte die modernisie­rte Energiecha­rta daher auch als internatio­nales Regelwerk zur Förderung „klimafreun­dlicher“Investitio­nen betrachtet werden. Ob der Vertrag dieses Potenzial verwirklic­hen kann oder die geplanten Rücktritte zum Ende der Modernisie­rung bzw. des Vertrages über die Energiecha­rta führen, wird sich wohl frühestens am 22. November bei der Konferenz der Vertragspa­rteien zeigen. Mitte der Woche tagt der EU-Rat, um eine gemeinsame Linie zu beschließe­n.

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