Einsamkeit in Echtzeit
Esbjörn Svensson gehörte zu den prägenden Figuren und Hoffnungen des europäischen Jazz. Nun erscheint mit „Home.s.“überraschend sein erstes Soloalbum, 14 Jahre nach seinem tragischen Unfalltod beim Tauchen.
Zeitlebens hat Esbjörn Svensson im Trio sein Improvisationsglück gesucht und gefunden. War nicht leicht. Das Trio war und ist jene jazzklassische Konstellation, die Größen wie Bill Evans, Oscar Peterson, Cecil Taylor ebenso maßstabsetzend prägten wie in den letzten Jahrzehnten der hochempfindliche Besessene Keith Jarrett. Unter dem Namen e.s.t. hat Svensson aber mit seiner eklektischen Offenheit, die Barock, elektronische Verfremdung, poppige Melodiosität und meditative Atmosphären mixte, individuelle Markanz erlangt und auch ein juveniles Publikum betört.
Als Vertreter des nordischen Jazz, mit Hang zu kontemplativen Stimmungen, gab er sich in Turnschuhen und T-Shirt als unbeschwert grübelnder Improvisator, der nach dem Konzert sicher gleich zu einem Clubbing aufbrechen würde. Das Trio strahlte denn auch weit über das Jazzgenre hinaus; etwa so wie Keyboarder und Trendsetter Bugge Wesseltoft, der mit seinem „New Concept of Jazz“raffinierte Ideen über tanzaffine Grooves transportierte. Dennoch landete Svensson sogar auf dem Cover des eher puristisch gestimmten USJazzmagazins Down Beat.
Am 14. Juni 2008 ging jedoch alles tragisch zu Ende: Svensson ging mit Freunden auf der Insel Ingarö (östlich von Stockholm) tauchen und verunglückte im Alter von nur 44 Jahren. Was später rekonstruiert wurde: Eine Luftleitung seines Anzugs hatte sich gelöst, Svensson geriet in Panik und wurde schließlich bewusstlos am Grund gefunden. Im Krankenhaus konnte ihm nicht mehr geholfen werden.
Soloräume gesucht
Wie das eben so ist: Postum kamen noch Einspielungen des Trios auf den Markt, etwa 301 oder diverse Konzertmitschnitte. Nichts wies allerdings darauf hin, dass sich bei dem Schweden längst Neues angebahnt hatte. Tatsächlich aber hat er ein paar Wochen vor seinem Tod im Kellerstudio seines Hauses etwas aufgenommen, das ihn unterwegs in die Königsdisziplin „Soloklavier“zeigte.
Im „Homeoffice“spielte er einige Stücke ein, die ihn als die „Einsamkeit in Echtzeit“erforschenden Musiker ausweisen. Auch Tontechniker Åke Linton, der quasi eine Art viertes Bandmitglied war, wusste nichts von der Existenz dieser Aufnahmen. Ungehört landete das Material denn auch auf einer Festplatte im persönlichen Archiv von Svenssons Frau Eva, die es verständlicher Weise gute zehn Jahre lang nicht durchforsten konnte.
Wie auch immer es nun und warum es geborgen wurde: Was sich für Svenssons Frau anfühlt wie „eine über die Grenze geschmuggelte Botschaft“, bestand aus einigen namenlosen Stücken, welchen nun durch die ersten neun Buchstaben des griechischen Alphabets Titel verliehen wurden. Von Alpha bis Jota durchstreifen die neun Stücke eine eklektische Landschaft, aus der man in Teilen eine Verwandtschaft zum Spielansatz von Keith Jarrett heraushören kann.
Ein wenig Blues ist dabei
Da sind jene poetischen Einleitungen, jene sanglichen in Akkorde getauchten Choräle, die – wie bei Jarrett – in Grooves münden, über die improvisiert wird. Da sind Stücke, deren friedvoll-nachdenkliches Sinnieren – wie bei der Komposition Gamma – in bluesige Sphären abheben. Abseits dessen ist viel kontrapunktisches Gewebe zu entdecken, das an barocke Inventionen erinnert. Bei Zeta meint man sogar, eine düstere Reminiszenz an Bachs Wohltemperiertes Klavier zu hören, wenn Svensson aus Akkord-Arpeggi Strukturen bildet.
Es sind da aber auch Stücke wie Epsilon, in denen Klarheit und Schönheit wie Rufzeichen der Individualität herausragen. Und wenn es bei Jota ins Finale geht, explodiert kontrastreich ein substanzvoller Gestaltungswille. Home.s. (bei Act) ist kein Requiem. Es wird auch die Jazzgeschichte des Klaviersolos nicht neu erfinden. Die Aufnahme ist aber weitaus mehr als eine lapidare, festgehaltene Stunde privaten Musizierens, der nun versucht wird, Bedeutungsschwere zu verleihen.
Das ganze Privatprojekt hat Profil und Qualität. Es gleicht der musikalischen Tagebucheintragung eines skrupulösen Musikers, der dabei war, sich einen Entwicklungsschub zu verpassen. Während Aufnahmen von Keith Jarretts weltweiten Solokonzerten etwas redundant Bibliotheken füllen, ist Home.s. die Einzige von Esbjörn Svensson. Und sie füllt eine Lücke, hat gefehlt.