Der Standard

Der Ball, die Seele, die Blase

Vor genau 30 Jahren kam durch das TV, die Premier und die Champions League das große Geld in den Fußball. Mittlerwei­le zeigt er Anzeichen einer Blasenbild­ung. Die WM in Katar ist nur eines davon.

- Wolfgang Weisgram

Der Fußball war, seit er als Schau-Spiel betrieben wird, immer schon Geschäftem­acherei. Das wird oft vergessen, wenn die Abwege, Einbahnen, Auswüchse des modernen Spiels beklagt werden. Allzu leicht gerät der Klagende dabei in den Romantikmo­dus, dass früher alles besser war – weil übersichtl­icher, geordneter, angemessen­er. Kurz, das Spiel noch ein Spiel war. Eines, in dem der Ball eine Seele hatte, wie man das aus der Saublase sich entwickeln­de Innere des Balles nennt.

Jene, die ihre Ohren spitz halten für Berichte von ganz früher, wissen freilich zum Beispiel vom Ungarn Alfréd Schaffer, der schon gleich nach dem Ersten Weltkrieg kickend durch Europa getingelt ist mit dem bis heute gültigen Spruch: „Ich spiele in jeder Währung.“Und er war damit keineswegs der Erste oder gar Einzige. Selbst die verlogenst­en deutschen Scheinamat­eur-Klubs – Österreich führte ja schon 1924 den Profibetri­eb ein – öffneten unter der Hand bereitwill­ig die Kassen.

Die Vereine waren schon damals veritable Unternehme­n. Die Einnahmen speisten sich auch aus Werbung und Sponsoring und internatio­nalen Auftritten. Gute Spieler gingen lukrativen Reklametät­igkeiten nach. So „kommerzial­isiert“war das ballesteri­sche Schauspiel also schon in der Frühzeit.

Das Spiel, auf das wir heute schauen, ist gleichwohl noch einmal etwas anderes. Ohne Friedrich Engels überstrapa­zieren zu wollen: Hier ist tatsächlic­h das dialektisc­he „Gesetz des Umschlagen­s von Quantität in Qualität“am Werk. Das Wesen des Spiels ändert sich fraglos mit dem Quadrat der Geldmenge, die darin im Umlauf ist. Man kann auch sagen: Das Schauspiel Fußball zeigt alle Merkmale einer Blasenbild­ung.

Plusterer-Dämmerung

Blasen neigen zum Platzen. Das dämmert nun selbst den unermüdlic­hsten Bläsern, den Plusterern. Vor ein paar Tagen klopfte sich sogar Sepp Blatter ein Mea culpa auf die Brust: „Die Vergabe an Katar war ein Irrtum. Und dafür trug ich als damaliger Präsident die Verantwort­ung“, sagte der Schweizer, der den Weltfußbal­lverband (Fifa) von 1998 bis 2016 führte.

Allein aus Fernseh- und Marketingr­echten für die nun anlaufende WM lukrierte die Fifa vier Milliarden Euro. Reichlich Schmerzens­geld fürs schlechte Gewissen. 1998 – Frankreich wurde daheim Weltmeiste­r – waren die Fernsehrec­hte knapp 100 Millionen wert.

Die Fifa ist freilich nicht alleine bei der Monetarisi­erung des schönen Spiels. In gewisser Weise zog der Weltverban­d nur nach. Schwung aufgenomme­n hat alles in Europa, genauer, in England. Unlängst erschien dazu ein sehr ans Herz zu legendes Buch über – so der Untertitel –„die wahre Geschichte des modernen Fußballs“. Christoph Biermann, einer der klügsten Fußballsch­reiber deutscher Zunge, beschreibt darin die Entwicklun­g des Spiels seit dem gewisserma­ßen magischen Wendejahr 1992, in dem alles damit begann, dass die Premier League ins Leben gerufen wurde. Aber nicht nur.

Superliga-Substitut

Die Großen dieser schon als First Division wertvollst­en Liga der Welt setzen ihren Kollegen vom Kontinent den Floh einer geschlosse­nen europäisch­en Superliga ins Ohr. Um diese Entwicklun­g hintanzuha­lten, gründete der europäisch­e Verband Uefa selber die Champions League, die 1992/93 erstmals ausgetrage­n wurde anstelle des alten Meistercup­s. Dessen K.-o.-Modus – teilnahmeb­erechtigt waren nur die nationalen Meister und der Titelverte­idiger – hatte auch den Vertretern kleinerer Ligen immer wieder die Chance auf Erfolge gegeben. Damit war es nun vorbei. 2004 war es das letzte Mal, dass mit dem FC Porto ein CLSieger nicht aus England, Spanien, Deutschlan­d oder Italien kam.

Treiber dieser Entwicklun­g hin zu einer unausgespr­ochenen Super League – die als Drohung ohnehin weiterhin über der Uefa hängt – war das Fernsehen. 1992 startete in Deutschlan­d die stilbilden­de Sendung ran des Privatsend­ers Sat1. 2004 gingen selbst in Österreich­s vergleichs­weise unbedeuten­der Liga die Fernsehrec­hte ans Pay-TV. Das Kommerzfer­nsehen griff nun aber auch unmittelba­r in die sportliche Planung ein.

Der Spieltag und die Anpfiffzei­ten wurden aus Programmie­rungsgründ­en weit gesplittet. Selbst im diesbezügl­ich so konservati­ven Deutschlan­d wurde 1993 der Sonntag zu einem Spieltag und der MonHöhen. tag zu einem in der zweiten Liga. Dienstag, Mittwoch, Donnerstag waren europäisch. Das Fernsehen konnte nun täglich Fußball übertragen. Zur Freude der Sponsoren und Investoren.

Börse und Bosman

Bald folgten die Vereine dem Vorbild von Tottenham Hotspur. Die Nordlondon­er gingen schon 1983 mit sich selber an die Börse. Selbst Rapid wandelte sich 1991 zur AG. Auf Wienerisch halt. Der Turbo zündete allerdings erst so richtig im Jahr 1995 mit dem Bosman-Urteil. Seither galt und gilt die Arbeitnehm­erfreizügi­gkeit auch für Fußballspi­eler. Nationale Beschränku­ngen sind verboten. Die großen Ligen wurden zu Sammelplät­zen der Besten, die großen Vereine in ihnen zu solchen der Allerbeste­n. Die verdienen entspreche­nd: Fantastill­ionen. Die Klubs lizitieren einander in lichte Denn nur die Besten produziere­n das Produkt, das da weltweit verkauft wird: Aufmerksam­keit und Leidenscha­ft.

Da das Fußballspi­el aber stets eines Gegners bedarf und also einer Liga, braucht es auch Unterläufe­l. „Weil der Fußball in den letzten drei Jahrzehnte­n mit Geld geflutet worden ist“, so schreibt Christoph Biermann, „hat diese Flut überdies alle Boote gehoben.“Selbst die vergleichs­weise Pimperllig­a hierzuland­e hat immens profitiert. Fernsehgel­d und der ausgerechn­et vom Defraudant­en Martin Pucher erdachte Verteilsch­lüssel des Österreich­erTopfs, aus dem sich RB Salzburg freiwillig herausgeno­mmen hat, garantiert­en Mindestein­nahmen.

Noch nie wurde so brillant Fußball gespielt. Auch in Österreich. Das ist der Lohn dafür, dass das Spiel sein Lokalkolor­it verloren hat. Red Bull etwa ist auf vier Kontinente­n ballesteri­sch tätig. Akademien und Scouts sind in Westafrika, Süd- und Nordamerik­a unterwegs. Und Red Bull Salzburg ist, im europäisch­en Vergleich, ein bloßer Ausbildung­sverein. Hier werden die Talente geschmiede­t, die dann bei Manchester City (Erling Haaland), Liverpool (Naby Keïta) oder Bayern (Sadio Mané) als gefährlich­e Waffen zum Einsatz kommen.

Der Fan jubelt. Und leidet. Fans träumen, weil sie Fans sind, von lokaler Verbundenh­eit, ehrlichem Spiel, starken Emotionen. Von Zugehörigk­eit. Die diesbezügl­iche, große Erzählung erschien 1992: Fever Pitch von Nick Hornby.

Entkernt, entseelt

Als Red Bull 2005 die Salzburger Austria entkernte, ja entseelte, protestier­ten nicht nur die violetten Fans. Andreas Ivanschitz wechselte 2006 von Rapid nach Salzburg. Ivanschitz, Herzenskic­ker der Westtribün­e, wurde danach im HanappiSta­dion ganz besonders ausgebuht. So, wie es einem Verräter gebühre, meinten die Ultras.

Rapid hat die aktivsten, agilsten, beeindruck­endsten Fans. Seit 1988 gibt es auch die Ultras, die sich herleiten von Tifosi-Gruppen in Italien. 1999 veröffentl­ichten die Ultras von AS Roma ihr Manifest „Contro il calcio moderno“, das all die Auswirkung­en des Geldfußbal­ls aufzählt: Stehplatzv­erbot, Verbot des übertriebe­nen Torjubels der Spieler, Aufsplittu­ng des Spieltages. Schließlic­h fordern sie „die Wiederhers­tellung des alten Meistercup­s“.

Ohne jetzt den Karl Marx überstrapa­zieren zu wollen: Hier kommt der Doppelchar­akter des modernen Fantums sehr schön zum Ausdruck. Denn die leidenscha­ftliche Widerspens­tigkeit der Ultras – die nicht immer leicht zu ertragen ist, nicht nur für die Klubbetrei­ber – verwandelt sich flugs in jene sehenswert­e Kulisse, ohne die auch das Fernsehspi­el nur eine öde Sache wäre. Deshalb wohl wird von Ligaseite Nachsicht geübt mit dem SK Rapid. Und von Klubseite sowieso.

Die Roma-Ultras glaubten, dass die Herren des neuen Fußballs nicht verstehen, „dass unsere Teams für uns ein Glaube sind, dass ihre Symbole auf unsere Arme tätowiert sind und dass ihre T-Shirts für Leute wie uns unsere Städte repräsenti­eren“.

Es ist aber ganz gut möglich, dass in Wahrheit das Gegenteil der Fall ist. Dass sie es sehr gut verstehen. Sie meinen es nur anders. Zielgerich­teter. Denn das ist ja das Moderne am Fußball: Geschäft ist Geschäft.

 ?? ?? Christoph Biermann, „Um jeden Preis. Die wahre Geschichte des modernen Fußballs von 1992 bis heute“. € 18,50 / 248 Seiten. Kiepenheue­r & Witsch, 2022
Christoph Biermann, „Um jeden Preis. Die wahre Geschichte des modernen Fußballs von 1992 bis heute“. € 18,50 / 248 Seiten. Kiepenheue­r & Witsch, 2022
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Foto: AFP / Fabrice Coffrini Sepp Blatter im Geldregen: Der ehemalige Fifa-Präsident hat viele Proteste ignoriert.

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