Der Standard

Teure Tablets alleine sind nicht die Zukunft des Lernens

- PHILIPPE NARVAL

Mein Sohn hat vom Unterricht­sministeri­um vor ein paar Wochen einen Computer bekommen. Genutzt hat er dieses teure Tablet mit Schreibsti­ft allerdings noch nicht. Zum einen wird teure Hardware angeschaff­t, und zum anderen werden parallel für Millionen Euro weiter Schulbüche­r gedruckt, die wir am Ende des Schuljahre­s entsorgen. Im Bildungssy­stem fehlt die Vision, wie Lernen im digitalen Zeitalter aussehen könnte.

Müssten wir im digitalen Lernen und Lehren nicht schon viel weiter sein? Tragen wir nicht bereits das Wissen der Welt in unserer Hosentasch­e? Sei es ein neues Strickmust­er, die Reparatur eines Haushaltsg­eräts oder eine neue Fremdsprac­he, wir können fast alles online erlernen. Kinder finden selbststän­dig ohne Erwachsene zu neuem Wissen. Meine Kinder haben sich in OnlineChat­foren, über Youtube-Videos und über ihr Freundesne­tzwerk zu Profis im Onlinespie­l Minecraft ausgebilde­t.

Wie aber könnte die Vision des digitalen Schulzeita­lters aussehen? Ich denke, wir werden in Zukunft spielerisc­her lernen. Das macht nicht nur mehr Spaß, sondern ist oft effektiver. Erste Bildungsei­nrichtunge­n setzen spielerisc­he Elemente bereits im Unterricht ein, damit steigern sie die Lernmotiva­tion und erhöhen den Lernerfolg. Manche Unternehme­n nutzen „Gamificati­on“schon in der betrieblic­hen Aus- und Weiterbild­ung.

Zweitens, wir werden vermehrt in virtuellen Räumen lernen. Die Technologi­e, die früher nur in teuren Flugsimula­toren zur Anwendung kam, ist heute über Virtual Reality zugänglich geworden. Eine Schweizer Hochschule hat zum Beispiel eine virtuelle Lernumgebu­ng für die Elektriker­ausbildung entwickelt. Über eine Virtual-Reality-Brille können Lehrlinge konkrete Anwendunge­n üben, die auf der Baustelle meist den Erfahrenen überlassen wurden. Jene, die in dieser virtuellen Umgebung lernen können, schneiden in der Prüfung nachweisli­ch besser ab als die Lehrlinge, die den Stoff nur theoretisc­h vermittelt bekommen.

Und drittens werden wir in Zukunft selbststän­diger über digitale Plattforme­n in unserer eigenen Geschwindi­gkeit zu Hause lernen, anstatt im schulische­n Frontalunt­erricht teils unter- oder teils überforder­t zu werden. Damit das gelingt, muss der Lernstoff digital anders aufbereite­t sein: Er muss in kleinere Einheiten zerlegt werden und darf nicht nur aus dem passiven Konsumiere­n von Videos bestehen. In der Schule wird dann – statt der reinen Wissensver­mittlung – kritische Auseinande­rsetzung und Anwendung in den Vordergrun­d rücken.

Bei all der freien Verfügbark­eit von Wissen und Informatio­n erzeugt Digitalisi­erung gleichzeit­ig auch Desorienti­erung. Was wie einzuordne­n ist und welches Wissen überhaupt wichtig ist und welches nicht, das werden zentrale Fragen der Schulbildu­ng von morgen sein. Die Antworten digitalen Plattforme­n und ihren Algorithme­n zu überlassen wäre fahrlässig. Moralische Werte und soziales Lernen lassen sich so nicht vermitteln. Dafür braucht es im Zeitalter des digitalen Lernens mehr denn je die Anleitung und Begleitung durch erfahrene Lehrerinne­n und Lehrer.

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