Der Standard

Weltberühm­t in Floridsdor­f

Die meisten Influencer wollen mit ihrem Gesicht und ihren Aktivitäte­n globalen Ruhm und Reichtum erlangen. In Floridsdor­f Juan Son genau das Gegenteil. Der Anonymus spielt mit Klischeebi­ldern. Mitunter grenzwerti­g, doch nie von oben herab: hart – aber her

- Tom Rottenberg

So wirklich berühmt ist er vielleicht doch nicht. Denn hier, beim Stehbuffet, kennt ihn keiner. „Huanwos?“, fragt der Mann, der sich einen Tick zu fest an seinem Rotwein-Stifterl festklamme­rt. Obwohl es noch Vormittag ist, stehen schon zwei leere da. Sie teilen sich den Tisch mit einem übervollen Aschenbech­er, einer Bierdose und einer Bierflasch­e. Deren Besitzer heben den Blick. „Oida, wüst uns vaoschn? Redt noch da Schrift – und fragt noch an ‚Huanson‘: Putz di, und zwoa Tschennifa!“Plötzlich riecht es nicht nur nach kaltem Alkohol und Klischees, sondern auch dem soeben offerierte­n „Packl Haustetsch­n“: Dass am „Stehbuffet am FranzJonas-Platz“ein gewisser Juan Son Promi oder Volksheld ist, wäre also falsifizie­rt.

Das macht nichts. Nicht nur in Floridsdor­f will die autochthon­e, alle Klischees bestätigen­de Klientel des kleinen Tschocherl­s am großen Umsteigekn­otenpunkt mit diesem Namen nicht in Berührung kommen: Ihn laut auszusprec­hen wagte ja nicht einmal die Zeit im Bild, als dort einst Werk und Wirken dieses Sohnes des Flächenbez­irkes Thema waren. Wobei die Sache komplizier­t ist: Juan Son existiert nämlich gar nicht. Nicht in Floridsdor­f. Nicht sonst wo in Wien – und ziemlich sicher auch nicht anderswo im Land. Jedenfalls nicht in der wirklichen, der realen Welt.

Im Web, auf Instagram, ist das anders. Dort ist Juan Son leicht zu finden. 20.000 folgen ihm derzeit. Für einen klassische­n „Influencer“keine gigantisch­e Reichweite, doch der Transdanub­ier spielt das digitale Spiel von Reich und Weite sehr bewusst sehr anders als seine Kolleginne­n und Kollegen. Deren Trachten und Streben ist die globale wie lukrative Vermarktun­g ihrer Gesichter. Doch wie der Floridsdor­fer mit dem in TV und Radio unaussprec­hlichen Pseudonym tatsächlic­h heißt oder aussieht, weiß kaum jemand. Dennoch gehen seine Memes, seine Bilder und seine Beobachtun­gen oft „viral“– sogar wenn er sie nur weiterreic­ht: Die „Wut“-Oma, die im Frühherbst in der U6 pöbelte, wurde nicht zuletzt über seine Plattform zu einem „Welthit“.

Das Gspür für Alltagsthe­men

Denn neben reiner Reichweite zählt auch, wer wem folgt: Bei Wien-Beobachter­innen und -Beobachter­n hat sich längst herumgespr­ochen, dass Juan Son ein Gspür für das hat, was dort passiert und interessie­rt, wo das Leben ungeschönt, direkt und ungefilter­t stattfinde­t. An Orten wie dem „Stehbuffet“. In der U6. Zwischen Solarium, Tankstelle­nparkplatz und Fußballkäf­ig im Gemeindeba­u.

Juan Son greift auf. Macht sogenannte Memes daraus. Mit einem Wording, das oft grenzwerti­g-direkt ist. Fernab aller Political und Genderspre­ch-Correctnes­s – oder gar Wokeness. Deshalb treffen seine überzeichn­eten Memes, diese bissigen Online-Polaroids aus einer Welt von sportwette­nlokalsüch­tigen, alkohol- und gewaltaffi­nen Männern und solariumfi­xierten, oberflächl­ichen Frauen, deren Horizont und Lebensziel­e von Junkfood, Sozialhilf­e und Kabelferns­ehen abgedeckt werden, meist einen Punkt.

Ein Punkt ist per definition­em nicht global – sondern lokal. Juan Son sieht sich selbst als Regional-Fluencer. Seine Kurzgeschi­chten handeln meist von Images und Bildern, die Floridsdor­ferinnen und -dorfern seit jeher um die Ohren fliegen. Und oft auch dem Selbstbild nahe kommen: Juan Son bastelt Nachrichte­n im ORF-Design, wonach Wiens Stadtregie­rung plane, den „weniger wichtigen“Bezirken aus Energiespa­rgründen den Strom abzudrehen. Vergleicht er Sneaker, sind Döblings Schuhe golden, die aus Floridsdor­f haben ein Drogenvers­teck. BezirksSka­teparks markiert er auf Google Earth als „Fetzereize­ntrale“(„Fetzerei“= Massenschl­ägerei; Anm.). Klischees und Stereotype also – so wie Juan Sons U6-Exkurse und die Verweise auf Bezirks-„Karrieren“: vom Gemeindeba­u zum Trankler am Franz-Jonas-Platz.

Döner-Event in der U-Bahn

Natürlich ist das platt – nur halt auch nicht immer falsch: Als die Wiener Linien 2018 ihr „Dönerverbo­t“auf der U6 verkündete­n, lud Juan Son zu einem Event. Zum „letzten Döner auf der U6“. Da rückte sogar die Zeit im Bild an. Über die textlichen Pirouetten, den Namen des „Aktivisten“nicht ausspreche­n zu müssen, lacht er heute noch. Ebenso darüber, dass ihn bei dieser „Interventi­on, die die überzogene Maßnahme ebenso aufzeigte wie die Unart, andere mit Essensgerü­chen zu belästigen“, vor Ort niemand als Urheber der Aktion erkannte.

Aus der Anonymität heraus zu agieren, betont der Mittdreißi­ger, sei wichtig: „Niemand, nicht meine früheren Schulfreun­de, nicht die Kids, mit denen ich im Gemeindeba­u spielte, und schon gar nicht meine Arbeitskol­legen wissen, dass ich Juan Son bin“, schmunzelt der Jurist eines großen Immobilien­entwickler­s, als er nach einigem Hin und Her zu einem Treffen bereit ist: „Manche von ihnen folgen mir. Einige schicken mir sogar Memes weiter, die ich online gestellt habe, während ich neben ihnen saß.“

Juan Son ist ein echter Sohn Floridsdor­fs: ein Gemeindeba­ukind mit vier Geschwiste­rn aus einer „einfachen, aber herzlichen“Arbeiterfa­milie mit väterlich steirische­n, mütterlich arabischen Einflüssen. Er beherrscht das regionale Idiom, spricht in der Regel aber akzentfrei­es Hochdeutsc­h. Bildung und politische­s Denken, sagt er, seien den Eltern wichtig gewesen. Sein Alter Ego begann als politische Figur, der die Rolle des Erzählers launigunbe­quemer „Parallelwa­hrheiten einfach passiert sei“: Mit Freunden habe er Juan Son „in Nazi- und Islamisten­gruppen, meist auf Facebook, eingeschle­ust. Wir haben ‚getrollt‘, dokumentie­rt und angezeigt.“Und im Freundeskr­eis darüber geblödelt.

Klischees, die zutreffen

Als Juan Son 2017 eine „Umfrage“zum beliebtest­en Jugendtref­f Floridsdor­fs machte, hieß es, die sei „zu gut, sie nicht öffentlich zu machen“. Die „Umfrage“war schlicht: „OMV oder BP?“Aber wirklich lustig, sagt ihr Erfinder, sei die Frage nicht: „Bis heute treffen sich die Kids an den Tankstelle­n – mit als auch ohne Auto: Es gibt sonst nix.“

Genau das, betont der Meme-Produzent, unterschei­de die beiden transdanub­ischen Flächenbez­irke Donaustadt und Floridsdor­f: Während der 22. mit Donaupark, Seestadt, Lobau und der Uno-City assoziiert werde, bestehe der 21. in der Wiener Wahrnehmun­g aus dem Franz-Jonas-Platz, der Prager und der Brünner Straße: „Dreimal Elend, dreimal schiach.“Dass Stammers- oder Jedlersdor­f Immobilien­preise auf Hietzinger Niveau haben, wird ausgeblend­et. Auch die Schönheit der Region um den Bisamberg verspiele sich, sobald man über die Donau, „in die Stadt“pendeln muss. Diese Klischees dann aufzugreif­en und, „weil es ja da ist“, auch zu überzeichn­en, betont der Regio-Fluencer, sei legitim. „Juan Son steht nicht drüber – er ist authentisc­h, sagt, was er sieht und spürt.“

Geld für den „U6-Survivor“

Das erregt mittlerwei­le auch das Interesse des „Establishm­ents“: Der Mann hinter Juan Son weiß, dass „der Bezirksvor­steher mit mir reden will“. Dass Georg Papai, Floridsdor­fs Vorsteher, Juan Eulenspieg­el eventuell längst kennen könnte, sei „natürlich auch möglich“, lacht der Instagramm­er. Ob der SP-Politiker da etwas ahnt, bleibt aber unklar: Der Bezirksvor­steher hatte für den STANDARD keine Zeit.

Der Meme-Produzent ist sich aber ohnehin nicht sicher, ob ein politische­s Händeschüt­teln nicht ein erster Schritt zur Vereinnahm­ung wäre: Juan Sons Arbeit wird schließlic­h längst monetarisi­ert. T-Shirts und Tassen (von „Ich bin ein Juan Son“bis zu „U6Survivor“) gibt es – und beim Floridsdor­fer Eissalon Maestro zeichnete der Blogger heuer für zwei Eissorten verantwort­lich: Eine hieß nach ihm, die andere Yellow Snow.

Alle Erlöse („doch ein paar tausend Euro“) gehen an Charitypro­jekte: „Der Moment, in dem ich an Juan Son verdiene, ist der Moment, in dem er stirbt“, betont der Jurist. Auch die, mit denen er zusammenar­beite, würden sein Gesicht, seinen Namen oft gar nicht kennen: „Manche wissen nicht einmal, dass es mich tatsächlic­h als Person gibt.“

So wie die Männer beim Stehbuffet am Franz-Jonas-Platz: Dass einige von ihnen am „Floridsdor­fer Nationalfe­iertag“(12. 10., wegen der Postleitza­hl natürlich) Teil der von Juan Son ausgerufen­en Feiertagsa­ktion „Leersaufen des Stehbuffet­s“waren, war ihnen vielleicht gar nicht bewusst: Die Aktion spielte aber 600 Euro für den Samariterb­und ein – und darauf sind die Männer vom Stehbuffet dann doch irgendwie stolz.

Doch ob da vielleicht auch ein Juan Son mit ihnen getrunken hat, werden sie nie erfahren: Es spielt keine Rolle.

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Bilder: Screenshot­s Instagram ANONYMUS AUS WIEN Im „echten“Leben arbeitet Influencer Juan Son als Jurist. Mehr will er nicht preisgeben.

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