„Bent“im Theater Nestroyhof: Schwul im KZ
Spürst du das? Mit einigen Metern Abstand stehen Max (Nicolas Streit) und Horst (Kai Götting) auf der Bühne, schauen aber nicht einander an, sondern starr ins Publikum und stellen sich vor, wie sie miteinander Sex haben. Mehr Spucke! Beim Steineschleppen im KZ ist dies das Höchste der Gefühle, die sich die schwulen Männer zurückerobern können. Denn seit 1934 sind die rauschenden Berliner Jahre vorbei. Hier in Dachau werden die Schwulen mit rosa Dreiecken („rosa Winkel“) markiert. Das Theaterstück Bent im Theater Hamakom erzählt davon.
Der in sattem Violett und Blau leuchtende Dschungel im Bühnenhintergrund (Patrick Loibl) ist zu Anfang des Abends noch Wohnzimmer des Paares Rudy (Götting) und Max. Sie erholen sich von einer Nacht im Club, von der sie sich einen mit glitzernden Kettchen behängten Gast mitgebracht haben. Doch das Wiedererkennen währt nicht lange. Als die Gestapo die Wohnung stürmt, um die Sache zu regeln, schaffen die beiden die Flucht. Schließlich werden aber auch sie nach Dachau deportiert. Rudy stirbt, und Max trifft Horst. Streit (eher keck) und Götting (gesetzter) sind toll besetzt, fungieren als sympathisches Duo mit der richtigen Chemie zum Beziehungsstreit sowie für intime Szenen.
Der Paragraf 175 bildete die Grundlage für die Verfolgung homosexueller Männer im Nationalsozialismus. Nach Kriegsende behielt Deutschland das Gesetz unverändert bei, in Österreich dauerte es bis 1971, ehe Homosexualität zwischen Männern entkriminalisiert wurde. Sebastian Meises famoser Film Große Freiheit (2021) erzählt von dieser Zeit. Bent (der Titel bedeutet im Englischen „gebeugt“, „gebrochen“oder abwertend auch „schwul“) wurde nicht viel später, 1979, uraufgeführt. Angesichts sich ausdifferenzierender Identitätsdiskurse holt die Produktion im Theater Nestroyhof Hamakom das Stück sachte ins Heute. Da muss man natürlich auch fragen: Was war mit lesbischen Frauen, transgeschlechtlichen oder nonbinären Menschen?
Verantwortlich zeichnet Wirgehenschonmalvor, Gewalt und Homophobie sind oft Thema in den Arbeiten der 2015 von Regisseur Matthias Köhler in Wien gegründeten Gruppe. Ohne in Fettnäpfchen zu tappen, spielt der Abend mit dieser Expertise im Rücken trotz des ernsten Anliegens auch selbstbewusst augenzwinkernd mit Klischees. Weniger Differenzierung verlangt der Abend von Birgit Stöger. Die vertritt im knautschenden Ledermantel die Mordmaschinerie.
Wenn Stöger Murder on the Dancefloor singt, ist das ein plakativer Witz. Unnötig überorchestriert gerät auch manche Choreografie der sechs Komparsen – etwa als Gestapo in schillernden Masken. Da wollte Köhler wohl Pepp in den Abend bringen, bringt ihn tatsächlich aber ästhetisch kurz durcheinander. Seine Stärke liegt in den subtilen Gesten, und sei es der Übermut von Jockstraps.