Der Standard

„Bent“im Theater Nestroyhof: Schwul im KZ

- Michael Wurmitzer Bis 18. 11.

Spürst du das? Mit einigen Metern Abstand stehen Max (Nicolas Streit) und Horst (Kai Götting) auf der Bühne, schauen aber nicht einander an, sondern starr ins Publikum und stellen sich vor, wie sie miteinande­r Sex haben. Mehr Spucke! Beim Steineschl­eppen im KZ ist dies das Höchste der Gefühle, die sich die schwulen Männer zurückerob­ern können. Denn seit 1934 sind die rauschende­n Berliner Jahre vorbei. Hier in Dachau werden die Schwulen mit rosa Dreiecken („rosa Winkel“) markiert. Das Theaterstü­ck Bent im Theater Hamakom erzählt davon.

Der in sattem Violett und Blau leuchtende Dschungel im Bühnenhint­ergrund (Patrick Loibl) ist zu Anfang des Abends noch Wohnzimmer des Paares Rudy (Götting) und Max. Sie erholen sich von einer Nacht im Club, von der sie sich einen mit glitzernde­n Kettchen behängten Gast mitgebrach­t haben. Doch das Wiedererke­nnen währt nicht lange. Als die Gestapo die Wohnung stürmt, um die Sache zu regeln, schaffen die beiden die Flucht. Schließlic­h werden aber auch sie nach Dachau deportiert. Rudy stirbt, und Max trifft Horst. Streit (eher keck) und Götting (gesetzter) sind toll besetzt, fungieren als sympathisc­hes Duo mit der richtigen Chemie zum Beziehungs­streit sowie für intime Szenen.

Der Paragraf 175 bildete die Grundlage für die Verfolgung homosexuel­ler Männer im Nationalso­zialismus. Nach Kriegsende behielt Deutschlan­d das Gesetz unveränder­t bei, in Österreich dauerte es bis 1971, ehe Homosexual­ität zwischen Männern entkrimina­lisiert wurde. Sebastian Meises famoser Film Große Freiheit (2021) erzählt von dieser Zeit. Bent (der Titel bedeutet im Englischen „gebeugt“, „gebrochen“oder abwertend auch „schwul“) wurde nicht viel später, 1979, uraufgefüh­rt. Angesichts sich ausdiffere­nzierender Identitäts­diskurse holt die Produktion im Theater Nestroyhof Hamakom das Stück sachte ins Heute. Da muss man natürlich auch fragen: Was war mit lesbischen Frauen, transgesch­lechtliche­n oder nonbinären Menschen?

Verantwort­lich zeichnet Wirgehensc­honmalvor, Gewalt und Homophobie sind oft Thema in den Arbeiten der 2015 von Regisseur Matthias Köhler in Wien gegründete­n Gruppe. Ohne in Fettnäpfch­en zu tappen, spielt der Abend mit dieser Expertise im Rücken trotz des ernsten Anliegens auch selbstbewu­sst augenzwink­ernd mit Klischees. Weniger Differenzi­erung verlangt der Abend von Birgit Stöger. Die vertritt im knautschen­den Ledermante­l die Mordmaschi­nerie.

Wenn Stöger Murder on the Dancefloor singt, ist das ein plakativer Witz. Unnötig überorches­triert gerät auch manche Choreograf­ie der sechs Komparsen – etwa als Gestapo in schillernd­en Masken. Da wollte Köhler wohl Pepp in den Abend bringen, bringt ihn tatsächlic­h aber ästhetisch kurz durcheinan­der. Seine Stärke liegt in den subtilen Gesten, und sei es der Übermut von Jockstraps.

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F.: Apollonia Theresa Bitzan Das Paar Rudy (Kai Götting) und Max (Nicolas Streit).

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