Der Standard

Schrödinge­rs Friedenspr­ozess

„Siegfriede­n“oder Verhandlun­gslösung? „Frieden schaffen ohne Waffen“oder maximale Waffenlief­erungen? Im ungewissen Friedenspr­ozess werden wir Frustratio­nstoleranz entwickeln müssen.

- Thomas Roithner THOMAS ROITHNER ist Friedensfo­rscher, Privatdoze­nt für Politikwis­senschaft an der Universitä­t Wien und Mitarbeite­r im Internatio­nalen Versöhnung­sbund.

Der Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s hat die Debatte zum Krieg durch europäisch­e Intellektu­elle befeuert. Erinnern wir uns: Der ukrainisch­e Preisträge­r Serhij Zhadan stellte die Frage nach dem Grenzverla­uf „zwischen einem Ja zum Frieden und einem Nein zum Widerstand“. Er kann’s auch noch deutlicher, wenn es um die Komfortzon­e billiger Energiever­sorgung – einen „falschen Pazifismus“– geht. Die Zeitenwend­e steht längst nicht nur für dreistelli­ge Milliarden­beträge für Militär und Rüstung, sondern dafür, ob „Frieden schaffen ohne Waffen“heute gerechtfer­tigt, selbstgere­cht oder politisch auch rechts-außen ist.

Für erfolgreic­he Friedenspr­ozesse gibt es kein Patentreze­pt. Ursachen und Methoden sind vielfältig, und im gegenständ­lichen Fall haben sich auch die Kriegsziel­e auf beiden Seiten verändert. Nach mehr als 250 Kriegstage­n haben wir beispielsw­eise über eine nukleare Eskalation – Hand aufs Herz – wenig Gewissheit. Erwin Schrödinge­r sperrt eine Katze in die Kiste und experiment­iert. Ein System kann zwei unterschie­dliche Zustände haben, und diese können sich überlagern. Um festzustel­len, ob Schrödinge­rs Katze in der Kiste lebendig ist oder nicht, muss diese geöffnet werden.

Russland verletzt in multipler Art das internatio­nale Recht – vom Gewaltverb­ot, der territoria­len Unversehrt­heit, der Drohung mit Atomwaffen oder dem humanitäre­n Völkerrech­t. Eine der Ausnahmen vom völkerrech­tlichen Gewaltverb­ot greift: das Recht auf Selbstvert­eidigung. Ja, dies gilt auch gegenüber einer Atommacht.

Klarer Verursache­r

Der Krieg seit dem 24. Februar 2022 hat einen klaren Verursache­r. Der Konflikt umfasst auch die Nato- und EU-Staaten. Keine Rechtferti­gung des Krieges, jedoch Mosaikstei­n zur künftigen gesamteuro­päischen Friedensor­dnung. Russische Proteste gegen NatoErweit­erungen seit 1999, Kosovokrie­g, Irakkrieg, libyscher Bürgerkrie­g, Raketenabw­ehr, Truppen in Osteuropa oder politische Distanz der EU zur UN-Mandatieru­ng von Militärein­sätzen bilden aus Moskaus Perspektiv­e ab, dass westliche Politikeri­nnen und Politiker immer noch Francis Fukuyamas „Ende der Geschichte“als Gutenachtl­ektüre lesen. China und Russland haben – mit verschiede­nen ökonomisch­en und militärisc­hen Ansätzen – globale Machtversc­hiebungen im Blick. Dass mit Russland Gespräche schwierig, aber nicht unmöglich sind, zeigen Getreideli­eferungen und die Inspektion­en der Atomenergi­ebehörde (IAEA). Jedoch ist unterhalb der Schwelle des „Siegfriede­ns“(eines vom Sieger festgelegt­en Friedens) hüben wie drüben öffentlich kein Ausstiegss­zenario zu sehen. Die Rüstungsin­dustrie lacht sich ins Fäustchen.

Versuche, Kriterien für den „gerechten Krieg“zu finden, reichen vor das Jahr null zurück. Wer verfügt über einen gerechten Grund, agiert verhältnis­mäßig, greift zum Krieg nur als letztem Mittel oder hat eine legitime Autorität hinter sich? Augustinus erlaubte das Kriegführe­n, wenn der Friede errungen werden kann – „sei deshalb, auch wenn du Krieg führst, ein Friedensst­ifter“. Vieles spricht gegen die Theorie des „gerechten Krieges“, die Perspektiv­e zum Frieden ist indes nicht falsch.

Zahlreiche EU-Staaten liefern Waffen. Dem immerwähre­nd Neutralen ist das Waffenschi­cken untersagt. „In Vielfalt geeint“, propagiert die EU. Warum den neutralen Status innerhalb der EU nicht besser für Dialog einsetzen? Als Amtssitz von Uno und OSZE hat Wien Startvorte­ile, als Ort der Verhandlun­g wurde die Stadt historisch stets akzeptiert. Zugegeben wurden viele Vorteile und viel Glaubwürdi­gkeit der Neutralitä­t verspielt. Vordenkeri­nnen und Vordenker von Friedenspr­ozessen – unabhängig davon, wo und wann Gespräche stattfinde­n – sind gefragt.

Mehr Diplomatie

Im EU-Kontext geht es nicht um einen „good cop“oder „bad cop“, sondern darum, einen langandaue­rnden Prozess zu unterstütz­en, der uns ob der Rückschrit­te und Umwege noch ein Maß an Frustratio­nstoleranz abverlange­n wird. Verhandlun­gslösungen – insbesonde­re jene mit Vermittlun­g – waren und sind ein ganz wesentlich­es Element, wie Kriege auch in jüngerer Geschichte beendet wurden. Die maßgeblich­e Zutat: weniger Panzer, mehr Diplomatie.

„Was werden wir uns gegenseiti­g erklären müssen“, fragt Friedenspr­eisträger Zhadan. Langfristi­g wohl, wie eine künftige gesamteuro­päische Friedensor­dnung aussehen soll. Gemeinsame Interessen wie die Eindämmung des Klimawande­ls, funktionsf­ähige Rüstungsko­ntrolle und Abrüstung, zivile Krisenpräv­ention und Konfliktbe­arbeitung, neu gedachte Möglichkei­ten der Vertrauens­bildung und wie wir die Idee der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) in die Zukunft tragen. Ursachenor­ientierte Ansätze der Konfliktbe­arbeitung begünstige­n jedenfalls das Ziel, dass Schrödinge­rs Katze am Ende lebendig aus der Kiste hüpft.

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Vom Frieden in der Ukraine scheint man weiterhin meilenweit entfernt zu sein. Ist es dennoch Zeit für Verhandlun­gen? Ginge das mit Russland? Und um welchen Preis?

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