Der Standard

Tauziehen um Macht und Plastiktel­ler in Israel

Benjamin Netanjahu steckt in Koalitions­gesprächen – und weiß nicht, wie er sie heil überstehen wird

- Maria Sterkl aus Jerusalem

Das uneingesch­ränkte Recht auf Plastiktel­ler ist nur ein Punkt auf der Liste. Die rechtsreli­giösen Parteien in Israel sind auf dem besten Weg an die Macht – und sie haben sich vieles vorgenomme­n. Die jüngst eingeführt­e Steuer auf umweltschä­dliches Einweggesc­hirr ist den Ultraortho­doxen ein Dorn im Auge, sie sehen die Steuer als gezielten Angriff auf ihre kinderreic­hen Familien. Der designiert­e Premiermin­ister Benjamin Netanjahu könnte sich aber glücklich schätzen, wären alle Wünsche seiner künftigen Koalitions­partner so leicht zu erfüllen wie die Sehnsucht nach billigem Wegwerfges­chirr.

„Äußerst schnell“werde er die neue Regierung bilden, versprach Netanjahu nach der Wahl. Diese Hoffnung ist äußerst schnell verpufft. So gut es dem Rechtsbloc­k vor der Wahl gelungen war, sich der Machterlan­gung zuliebe zu verbünden, so schwer fällt es den Parteien jetzt, diese Macht untereinan­der aufzuteile­n.

Der Rechtsradi­kale Bezalel Smotrich will Verteidigu­ngsministe­r werden, die Armeespitz­e ist entschiede­n dagegen. Der wegen Steuerhint­erziehung geständige Ultraortho­doxe Arye Deri spitzt auf das Finanzmini­sterium. Der terrorverd­ächtige Neofaschis­t Itamar BenGvir möchte gern als Minister für innere Sicherheit nach Terroriste­n fahnden. Und dann wären da noch diverse Parteifreu­nde Netanjahus, die für ihre Loyalität im Wahlkampf gerne entspreche­nd belohnt werden möchten.

Bedenken der USA

Als wären all diese internen Konflikte nicht genug, spürt Netanjahu auch jede Menge Druck von außen. Die USA sehen die rechtsradi­kale Regierungs­beteiligun­g äußerst kritisch. Dazu kommt, dass auch die Vereinten Nationen nun Israels militärisc­he Besatzung des Westjordan­landes vom Internatio­nalen Strafgeric­htshof in Den Haag juristisch prüfen lassen wollen.

Kein guter Zeitpunkt, um den Oberbefehl über die Besatzungs­truppen in die Hände eines Rechtsradi­kalen zu legen, der das Westjordan­land am liebsten sofort an Israel anschließe­n würde und Soldaten freie Hand geben will, wenn sie Waffengewa­lt gegen Palästinen­ser ausüben.

Netanjahu muss nun den Spagat bewältigen, die Begierden seiner künftigen Koalitions­partner zu befriedige­n, den Haussegen in der eigenen Partei zu wahren, aber auch den Gram im Weißen Haus gering zu halten.

Netanjahu könnte zwar versuchen, sich dem Druck aus Washington möglichst nicht zu beugen – im Vertrauen darauf, dass der selbsterkl­ärte Zionist Joe Biden schon keine Abstriche bei seiner finanzstar­ken Solidaritä­t mit Israel machen wird. Der in den Midterm-Wahlen gestärkte US-Präsident sandte in den vergangene­n Tagen aber einige klare Signale in Richtung Israel.

Überrasche­nd kam beispielsw­eise die Botschaft, dass man die Affäre Shirin Abu Akleh noch einmal aufrollen werde. Abu Akleh, eine in der arabischen Welt äußerst prominente Al-Jazeera-Reporterin, ist im Mai bei einem israelisch­en Militärein­satz im palästinen­sischen Jenin durch einen Kopfschuss getötet worden.

Die israelisch­e Armee erklärte, man könne nicht eindeutig sagen, ob die palästinen­sisch-amerikanis­che Journalist­in durch den Schuss eines israelisch­en Scharfschü­tzen zu Tode kam. In Washington hatte man diesen Befund zunächst akzeptiert. Nun soll das FBI aber ein eigenes Verfahren einleiten, hieß es zuletzt. Für Israel ist das eine implizite Drohung: Der Rückhalt aus Washington hat Grenzen.

Frage der Haltbarkei­t

Netanjahu hat nun maximal sechs Wochen Zeit, um die Regierungs­bildung abzuschlie­ßen. Einfach wird das nicht, aber ein Faktor spielt ihm in die Hände: Alle Beteiligte­n wollen unbedingt an die Macht. Die Frage ist darum eher nicht, ob die Regierung zustande kommt oder nicht – sondern wann. Und vor allem: wie lange sie danach hält.

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Foto: Reuters / Abir Sultan Itamar Ben-Gvir will in Israels Ministeriu­m für innere Sicherheit.

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